Wie die Deutschen sterben
17. Oktober 2013"Plötzlich und unerwartet…", "Nach langer, schwerer Krankheit…", so oder so ähnlich formuliert, stehen sie täglich in den Zeitungen – Todesanzeigen. Etwa elf pro tausend Einwohner sterben jedes Jahr in unserem Land. In der Summe sind das beinahe 900 000 Todesfälle. Der Tod ist die größte und zumeist schrecklichste Zäsur im Leben des Betroffenen. Die Mechanismen von Krankheit, Leiden, Tod und Trauer sind in der Menschheitsgeschichte die gleichen geblieben – bis ins 21. Jahrhundert hinein.
Angst vor dem Tod
Was sich allerdings verändert hat, ist der Umgang mit dem Tod und den Dingen, die ihm vorausgehen. Die starke Tendenz, das Sterben aus dem Leben verbannen zu wollen – hinter die Türen von Intensivstationen und Altenheimen - beobachten etwa die Mitarbeiter in der Begleitung Schwerstkranker. "Eine sehr junge Krebspatientin sagte mir, dass sich ihre Freunde von ihr distanziert hätten. Darüber ist sie sehr traurig", berichtet Birgit Klein. Die evangelische Seelsorgerin des Kreiskrankenhauses Waldbröl betreut auch die Patienten der Palliativstation. Sie beobachtet, dass Menschen, die an einer tödlichen Krankheit leiden, generell erleben, dass große Teile ihrer Umwelt mit Rückzug reagieren oder von vornherein auf Distanz bleiben. Dabei war der Tod bis weit ins vorige Jahrhundert hinein ein natürlicher Vorgang und selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Geburt, Leben und Sterben gehörten untrennbar zusammen und geschahen vielfach unter einem Dach. "Bei uns ist das Sterben meist eine Katastrophe, etwas, was nicht sein soll oder sogar etwas, was nicht sein darf", sagt Reiner Sörries. Der Professor ist Direktor des Museums für Sepulkralkultur, seit genau 20 Jahren Kompetenzzentrum für das Wissen um Themen wie Sterben, Tod, Trauer und Gedenken.
Selbstbestimmt sterben
Als Zeitraum gravierender Veränderungen definiert Sörries die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Durch den Aufbau einer ausgezeichneten Intensivmedizin seien viele Menschen in Deutschland geneigt gewesen, zu glauben, das Sterben könne medizinisch bewältigt werden. Ein Irrglaube. Mitte der 1980er Jahre dann der Beginn eines weiteren Veränderungsprozesses: Die aufkommende Hospizbewegung forderte sehr stark das Recht des Sterbenden auf ein menschenwürdiges Ende ein, was wesentlich mehr umfasst als nur eine optimale medizinische Versorgung. Dazu gehören auch Lebensqualität, Eigenständigkeit und Autonomie. Diese Selbstständigkeit im Sterben, sei heute eine der Hauptmerkmale postmoderner Sterbekultur, so der Leiter des Kasseler Museums. Beide - Palliativmedizin und Hospizbewegung leisteten inzwischen Beträchtliches, damit immer mehr Menschen dieser Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben erfüllt werden kann.
Menschliche Zuwendung unverzichtbar
Das Palliativstationen und Sterbehospize zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist auch den völlig veränderten heutigen Familienstrukturen geschuldet. Die Pflege von Todkranken daheim kann zumeist aus beruflichen Gründen kaum geleistet werden. Häufig wohnen erwachsene Kinder weit weg von ihren kranken Eltern. Dennoch versuchen Seelsorgerinnen wie Birgit Klein, so gut es geht, die Angehörigen in die Betreuung der Schwerstkranken einzubeziehen: "In diesem geschützten Raum unserer Palliativstation, wo die professionelle Hilfe da ist, sind die Familienmitglieder mit dabei. Wir haben auch Angehörigenzimmer, in denen sie übernachten können. Das hat ein großes Gewicht in der Arbeit." Eine bis drei Wochen bleiben die Patienten durchschnittlich auf der Palliativstation im Süden des Oberbergischen Kreises, bevor dann das Hospiz die letzte Station ist. Sechs Betten stehen zur Verfügung. Die Einzelzimmer sind wohnlicher eingerichtet, wärmer gestaltet als die Zimmer der normalen Stationen des Krankenhauses. Der Ablauf der Betreuung ist ruhiger und intensiver. Alles Dinge, die die psycho-soziale Begleitung der Patienten erleichtern sollen. Mal ist Birgit Klein mehr beraterisch tätig, erklärt welche Art von Hilfe für das Leben organisiert werden kann. Dann wieder ist die Diakonin wichtige Gesprächspartnerin im persönlichen Prozess der Krankheitsverarbeitung eines Patienten, damit er die Situation, die entstanden ist, annehmen kann. "Die Seelsorge spielt für mich gut mit da rein. Da ist es dann die spirituelle Dimension, verbunden mit den Fragen: Was trägt mich jetzt? Wie bin ich verankert? Worauf kann ich meine Hoffnung jetzt setzen?"
Lebensbilanz und Glaubensbindung
In tausenden Gesprächen hat die Krankenhausseelsorgerin fast immer die Erfahrung gemacht, dass sterbende Menschen sich geradezu damit beschäftigen müssen, eine Bilanz ihres Lebens zu ziehen. "Oft ist es auch so, dass die Menschen in dieser letzten Phase noch einmal Dinge erzählen, die ich vorher nie erfahren habe, oder die vorher keine Rolle gespielt haben. Und dazu zählen natürlich auch Fragen von Schuld, von Versäumnissen, aber auch viel Positives. Manchmal sind es genau solche Gespräche, die den Menschen dabei helfen, dass ihr Sterben ein friedvoller Prozess wird." Im Laufe der Jahrzehnte ist bei der Seelsorgerin die Meinung gereift, dass in jedem Menschen die Fähigkeit angelegt ist, mit seinem Sterben und mit seinem Tod umzugehen. Die Frage sei jedoch, ob er die abrufe. "Das Sterben wird vielleicht ab einem bestimmten Zeitpunkt gar nicht mehr so feindlich erlebt und manchmal wird der Tod sogar zu einem Verbündeten."
Deutlich merken Mitarbeiter in der Krankenhausseelsorge und Sterbebegleitung, dass immer weniger Menschen in Deutschland kirchlich gebunden sind. Auch Birgit Klein: "Bei Menschen, die noch stark im christlichen Glauben verwurzelt sind, ist die Akzeptanz des Sterbens manchmal früher da. Da ist es oft so ein: 'Ich geh nach Hause'. Und: 'Ich weiß, Gott meint es gut mit mir und ich lege mein Leben in diese Hände." Allerdings betont die 51-Jährige, dass bei fast allen Menschen irgendeine Hoffnung existiert auf etwas, das noch kommt. "Ich könnte die Patienten an einer Hand abzählen, die gesagt haben: Ich glaube an gar nichts und mit dem Tod ist alles zu Ende."
Kritik an der Hospizbewegung
So sehr Birgit Klein die Arbeit der Hospizbewegung schätzt – einen wesentlichen Kritikpunkt benennt sie dennoch, nämlich, "dass ich manchmal den Eindruck gewinne, dass das Sterben sehr idealisiert wird, wenn nur die Bedingungen richtig sind. Das erlebe ich in meinem Alltag anders." Und Museumsdirektor Reiner Sörries unterstreicht: "Die Hospizbewegung ist in der Gefahr, in den Dunstkreis zu geraten, den ich allgemein als Verharmlosung des Todes bezeichne. Wir sind tatsächlich kulturell schon auf einer Schiene, wo wir das Sterben, den Tod und auch die Bestattung so sanft, so verträglich, so harmonisch machen möchten wie nur irgend möglich."
Doch der Tod ist für den Betroffenen hart und rau. Ein Abschied für immer, unter dem auch Angehörige und Freunde leiden. Dies belegen auch die täglichen Todesanzeigen.