Wie Berlin im Afghanistan-Krieg vermitteln will
5. Juli 2019Die Liste der eingeladenen Teilnehmer ist ein großes Geheimnis. "Die deutsche Botschaft hält sie unter Verschluss und hat allen Teilnehmern gesagt, dass sie sich nicht dazu äußern sollen", kommentiert ein Beobachter aus Kabul augenzwinkernd. Auch in Berlin gibt es keine Auskunft über Namen. Erst im April war ein Vermittlungsversuch im letzten Moment gescheitert, weil es Streit über die Teilnehmerliste gab, die am Ende auf rund 250 Namen angeschwollen war.
Eine rein private Reise nach Doha
Jetzt sollen nur rund 60 Personen auf der hoch geheimen Liste stehen: ausgewählte Männer und Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft und aus allen Teilen des Landes – aber keine ehemaligen oder aktuellen Präsidentschaftskandidaten, wie es heißt. Die politische Elite Afghanistans ist in viele interne Machtkämpfe verstrickt. Es gibt ethnische Konflikte. Außerdem ist für Ende September eine Präsidentschaftswahl geplant. Es soll verhindert werden, dass Doha als Bühne missbraucht wird – entweder, um Wahlkampf zu betreiben oder um eine Annäherung zu torpedieren, weil die eigene Macht in Gefahr ist.
"Deutschland und Katar haben gemeinsame Einladungen an die afghanischen Teilnehmer ausgesprochen, die nur in ihrer persönlichen Eigenschaft und auf gleicher Augenhöhe teilnehmen werden", teilt Deutschlands Sondergesandter für Afghanistan, Markus Potzel, in einer Erklärung mit. Aus Kabul hört man aus Teilen des Regierungslagers, es reise nur die zweite Reihe an.
Ein Punktsieg für die Taliban: Sie weigern sich nach wie vor, mit Vertretern der afghanischen Regierung offiziell zu verhandeln. "Die Teilnehmer der Konferenz werden nur ihre persönlichen Ansichten darüber austauschen, wie der afghanische Konflikt durch eine friedliche Lösung beendet werden kann. Sie werden keine Regierung oder Organisation vertreten", betont Taliban-Sprecher Suhail Shaheen gegenüber der Deutschen Welle.
"Wir müssen mit dem Feind sprechen"
Die Konfliktparteien unterhalten diskrete inoffizielle Kontakte, doch den Taliban ist es wichtig zu behaupten, dass sie nicht mit der afghanischen Regierung verhandeln, die sie für eine "korrupte Marionette" des Westens halten. Shaheen vergleicht die geplante Runde in Doha mit zwei Begegnungen, die es zuletzt in Moskau gab. Dort saßen Vertreter der Taliban im Februar und im Mai unter anderem mit Ex-Präsident Hamid Karsai und mehreren politischen Gegnern des amtierenden Präsidenten Ashraf Ghani zusammen. Greifbare Ergebnisse gab es nicht.
Sima Samar gehört zu den Persönlichkeiten, die keine Einladung für Doha erhalten haben. Sie ist die Chefin der afghanischen Menschenrechtskommission, und sie war die erste Frauenministerin Afghanistans. "Es gibt keine militärische Lösung, wir müssen mit dem Feind sprechen", sagt sie der Deutschen Welle. Auch Samar sagt, dass sie die Namen der Teilnehmer nicht kennt. "Wer auch immer geht - es ist der Beginn eines Prozesses."
Deutschland hat ein Flugzeug gechartert, um die Delegation von Kabul nach Doha zu bringen. In der Hauptstadt des Emirats Katar unterhalten die Taliban ein politisches Büro. In Doha verhandeln sie derzeit auch mit den USA über die Bedingungen für einen afghanischen Frieden.
Rückkehr zum Gottesstaat?
Im Zentrum der Gespräche stehen vier Kernelemente: Die USA verlangen ein klares Bekenntnis der Taliban, dass Afghanistan nie wieder ein sicherer Rückzugsort für Terroristen wird. Außerdem sollen die Waffen dauerhaft schweigen, und die Taliban sollen direkte Verhandlungen mit der afghanischen Regierung aufnehmen.
Die Amerikaner wollen nach 18 Jahren Krieg so schnell wie möglich aus Afghanistan abziehen. Es ist ihr bisher längster Krieg. Mehr als 2400 US-Soldaten sind ums Leben gekommen. Präsident Trump drückt aufs Tempo. Er kämpft um seine Wiederwahl, ein Abzug käme im kriegsmüden Land gut an.
Die radikalen Islamisten ihrerseits verlangen den bedingungslosen Abzug aller internationalen Truppen. Sie lehnen den afghanischen Staat ab, der nach dem amerikanischen Einmarsch vor bald 18 Jahren entstanden ist. Sie sehen sich nach wie vor als die rechtmäßigen Vertreter des afghanischen Volkes. Ihr Ziel: die Rückkehr zu einem fundamentalistischen Gottesstaat. Sie geben sich selbstbewusst, weil sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren - so viel wie noch nie seit dem amerikanischen Einmarsch.
Geschlossene afghanische Gesellschaft
Der inner-afghanische Gipfel, den Deutschland mit Hilfe Katars organisiert, soll dabei helfen, den langen Weg zum Frieden zu ebnen. Es wäre schon ein Erfolg, wenn diese Begegnung überhaupt zustande kommt, selbst wenn sie nach wenigen Minuten wieder endet, heißt es in Berlin. Sobald es in Doha losgeht, sollen nur noch Afghanen im Raum sein. Einzige Ausnahme: ein deutscher Mediator der Berliner Berghof Foundation. Die unabhängige Organisation ist auf die Schlichtung von Konflikten spezialisiert.
"Deutschland wird erst dann ein guter Gastgeber sein, wenn es seine Truppen aus Afghanistan abzieht", sagt Taliban-Sprecher Shaheen der Deutschen Welle. "Aber gleichzeitig begrüßen wir alle Bemühungen, die darauf abzielen, den andauernden Krieg in Afghanistan und die Präsenz ausländischer Truppen im Land zu beenden." Deutschland hat derzeit rund 1300 Soldaten in Afghanistan stationiert und ist nach den USA der zweitgrößte Truppensteller.
Eine Stimme für die Opfer
Die Lage in Afghanistan ist kompliziert. "Es wird viel Zeit brauchen, Frieden zu schaffen", warnt Menschenrechtlerin Sima Samar. Sie beobachtet die amerikanische Ungeduld mit Sorge. Die Afghanen haben insgesamt vier Jahrzehnte Krieg hinter sich – darunter den Einmarsch der Sowjetunion 1979 und den grausamen Bürgerkrieg der 1990-er Jahre, der die Taliban an die Macht brachte.
Die westliche Intervention unter Führung der USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist nur das jüngste Kapitel. Und auch andere Länder haben eigene Interessen in der Region - wie Pakistan, Indien, Iran, China, Russland und Saudi-Arabien. Alle wollen an Afghanistan-Gesprächen beteiligt werden.
"Wir müssen vor allem die Opfer des Konflikts einbeziehen", fordert Sima Samar. In Afghanistan seien jahrzehntelang Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden - straffrei. "Wir müssen sehr vorsichtig sein, dass die Kultur der Straflosigkeit nicht aufrechterhalten wird."
Das Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) der britischen University of Sussex hat für das Jahr 2018 mehr als 41.000 zivile und militärische Todesopfer dokumentiert. Damit war der Afghanistan-Krieg im vergangenen Jahr der tödlichste Konflikt - mit fast ebenso vielen gemeldeten Todesfällen wie in Syrien und Jemen zusammen.
Die Gewalt hat auch in diesem Jahr nicht nachgelassen. Wenn jetzt in Doha zum ersten Mal Vertreter der afghanischen Regierung in privater Eigenschaft mit Repräsentanten der Taliban über die Zukunft reden, werden die Waffen in Afghanistan nicht schweigen. Als das Treffen am 1. Juli angekündigt wurde, explodierte in Kabul eine Autobombe. Die Taliban bekannten sich zu dem tödlichen Anschlag.