Wie die Metro versucht, ihr Russlandgeschäft zu retten
23. April 2023Der deutsche Handelskonzern Metro AG hat in Russland ein prominentes Werbegesicht gewinnen können: die TV-Moderatorin Xenia Sobtschak. In einem Clip auf ihrem Youtube-Kanal legt sie den russischen Verbrauchern in recht humorvoller Weise nahe, dass der Zutritt zu den Metro-Märkten nun allen Käufern offensteht und man dafür künftig keine extra ausgestellte Kundenkarte mehr braucht.
Die neue Regelung gilt seit Mitte März. "Unser Ziel besteht darin, das Klischee von der Unzugänglichkeit der Metro-Märkte zu zerstören", erklärt in einer Pressemitteilung auf der Homepage von Metro Russland ihr neuer Chef Johannes Tholey. Diese Kursänderung verwundert, denn sie sieht wie eine Absage an das weltweite Geschäftsmodell des Unternehmens aus und zeugt von einer ernsten Krise der russischen Tochter. Diese wurde im Jahr 2000 gegründet und führt ihr Geschäft weiter - trotz des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und internationaler Kritik.
"Alle Segmente wachsen außer Russland"
In der Düsseldorfer Zentrale wird die Krise des Tochterunternehmens auch nicht geleugnet. In der Pressemitteilung zum 1.Quartal des Geschäftsjahres 2022/2023 wurde im Februar von "steigenden Umsätzen in allen Segmenten außer Russland" berichtet: "Der russische Krieg in der Ukraine und die damit verbundene Kaufzurückhaltung wirken sich negativ aus".
Und eine Besserung ist vorerst nicht in Sicht. In der Prognose der Konzernleitung für das ganze Jahr heißt es, dass "der Umsatz in Russland im Vergleich zum Vorjahr zurückgehen wird" und dass der Ebitda-Gewinn (Ergebnis vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen) dort "stark zurückgehen wird".
Metro hat also ein eindeutiges Problem mit seinen russischen Kunden. Dabei bedient der Konzern in all den 22 Ländern, in denen er Märkte unterhält, eine ganz spezielle Kundengruppe. Er positioniert sich als "internationaler Spezialist im Lebensmittelgroßhandel", sein Geschäftsmodell ist also nicht auf den Normalverbraucher ausgerichtet, sondern auf professionelle Einkäufer, in erster Linie aus dem Bereich Hotels, Restaurants, Catering (HoReCa) sowie kleine Lebensmittelhändler und Kioske.
Dieses B2B-Geschäftsmodell des 1963 gegründeten Konzerns kann somit nur dort funktionieren, wo es einerseits einen gut entwickelten Dienstleistungssektor mit einer Vielzahl von mittleren und vor allem kleinen Unternehmen gibt, wo aber andererseits auch eine kaufkräftige Mittelschicht existiert, die diese Dienstleistungen regelmäßig in Anspruch nimmt.
Das Metro-Geschäftsmodell braucht einen starken Mittelstand
Daher war der Eintritt des deutschen Unternehmens in den russischen Markt vor über zwei Jahrzehnten und die darauffolgende schnelle Expansion dort auch ein eindeutiger Beleg für den damals schnell wachsenden Wohlstand in Russland. Ein jeder neuer Großmarkt Metro Cash & Carry in einer weiteren russischen Stadt zeigte, dass auch hier die Marktwirtschaft einen bestimmten Reifegrad erreicht hatte.
So wurde die Metro AG zu einem der größten ausländischen Investoren in Russland und unterhält dort heute in 51 Regionen 93 Märkte (auf dem deutschen Heimatmarkt sind es nicht viel mehr, nämlich 102). Und sie alle werben nun mithilfe von Xenia Sobtschak um eine breite Käuferschicht, denn die Fokussierung auf ein blühendes Kleinunternehmertum funktioniert offensichtlich nicht mehr in einem Russland, das Krieg führt und seine ruinösen wirtschaftlichen Folgen immer mehr zu spüren bekommt.
Das sieht man in der Düsseldorfer Zentrale allerdings anders. Die russische Tochtergesellschaft, so die Pressestelle der Metro AG auf Anfrage der DW, arbeitet im Rahmen der globalen Konzernstrategie "und konzentriert sich daher auf die Unterstützung und Betreuung von Geschäftskunden - hauptsächlich Restaurants und unabhängige Einzelhändler". Das Metro-Geschäft, heißt es weiter in der schriftlichen Stellungnahme, "ist multikanalfähig. Die professionellen Kunden des Unternehmens kaufen im Großhandel über verschiedene Kanäle ein: nicht nur im Markt, sondern auch über Apps, online oder über persönliche Kundenmanager".
Vor kurzem habe Metro Russland mobile Applikationen für B2B-Kunden eingeführt, über die diese Bestellungen aufgeben können, so die Pressestelle. Die Öffnung der russischen Märkte für einen breiten Kundenkreis erklärt sie folgendermaßen: "Die Entscheidung zum Wegfall des Kartenzugangs zu den Märkten zielt auf die Verschlankung und Digitalisierung von Prozessen mit dem gemeinsamen Ziel, sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können, nämlich den weiteren Ausbau der Unterstützung für kleine Unternehmen."
Der Konzern scheint also nach wie vor überzeugt zu sein, dass sein Geschäftsmodell weiterhin in Russland funktionieren kann, obwohl sich dort immer mehr eine Kriegswirtschaft etabliert. Dabei wird anscheinend die Tatsache ausgeblendet oder verdrängt, dass die Probleme der Metro AG auf dem russischen Markt nicht erst vor einem Jahr begannen, nach dem Großangriff Russlands auf die Ukraine, sondern zumindest vor neun Jahren, nach der Annexion der Krim.
Die Probleme begannen nach der Annexion der Krim
Die starke Abwertung des Rubels 2014 war damals ein schwerer Schlag für alle ausländischen Investoren. Bei dem deutschen Lebensmittelgroßhändler, der viele importierte Waren im Angebot hatte, kam erschwerend das russische Einfuhrverbot für Lebensmittel aus der EU hinzu. Das damals verhängte Embargo war die Antwort Moskaus auf westliche Sanktionen und gilt bis heute. Zu einem weiteren ersten Problem für Metro wurde zudem die Konkurrenz seitens immer stärker werdender russischer Supermarkketten.
Die Diskrepanz zwischen dem deutschen Geschäftsmodell und der sich schnell ändernden russischen Realität wurde spätestens im Frühjahr 2018 offensichtlich, als der Aktienkurs einbrach, und zwar hauptsächlich wegen Russland. Die damalige Konzernführung räumte Fehler ein, sah sie aber nicht darin, dass man nach der Krim-Annexion die Warnzeichen nicht erkannte und auf weitere Expansion und nicht zumindest auf Zurückhaltung auf dem russischen Markt setzte.
Stattdessen meinte man, das HoReCa-Geschäftsmodell weiter stärken zu müssen. Also jenes Business Modell, von dem man sich nun, fünf Jahre später, faktisch verabschiedet, indem man die riesigen Cash-&-Carry-Märkte für jedermann öffnet und das B2B-Geschäft ins Digitale verschiebt.
Kein Rückzug aus Russland wegen des Krieges
An einen Rückzug aus Russland wird bei der Metro AG dagegen weiterhin offenkundig nicht gedacht, trotz des Image-Schadens wegen der Fortführung des russischen Geschäftes. So fand sich das deutsche Unternehmen unlängst in der Ukraine in einer Liste der "Sponsoren des Krieges" wieder.
Auch auf der Hauptversammlung der Aktionäre im Februar musste sich die Konzernführung Kritik anhören. Der Vorstandsvorsitzende Steffen Greubel verteidigte die "nicht leicht gefallene" Entscheidung zum Verbleib in Russland mit den Worten: "Es war die richtige Entscheidung. Nicht nur, aber auch im Interesse der Werterhaltung dieses Unternehmens für seine Aktionärinnen und Aktionäre".
Allerdings gehören über 45 Prozent der Aktien der Firma EP Global Commerce, die der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky kontrolliert, und der scheint ein eindeutiges Interesse am Engagement in Russland zu haben. Zumal die Metro AG dort im vorigen Geschäftsjahr mit 2,9 Milliarden Euro beachtliche zehn Prozent ihres globalen Umsatzes und immerhin, trotz Rückgangs um ein Viertel, 60 Millionen Gewinn vor Steuern erwirtschaftete. In diesem Jahr jedoch wird der Gewinn, wie prognostiziert, stark zurückgehen. Angesichts des seit Februar schwachen Rubels wird sogar ein Verlust immer wahrscheinlicher.
Einen "geschätzten Umsatzverlust im niedrigen dreistelligen Millionen Euro-Bereich und geschätzten negativen Effekt für den Vorsteuergewinn im mittleren bis hohen zweistelligen Millionen Euro Bereich" hat die Metro AG im 1. Quartal des neuen Geschäftsjahres bereits wegen eines massiven Cyberangriffs verbuchen müssen. Von ihm waren im Oktober 2022 hauptsächlich die Aktivitäten in Deutschland und Russland betroffen.
Weiterhin wollte die DW von der Metro AG wissen, ob es mittlerweile mehr Erkenntnisse darüber gibt, was dieser Cyberangriff war - ein rein krimineller Erpressungsversuch oder eher eine politisch motivierte Racheaktion angesichts des Ukraine-Krieges? Auf diese Frage gab es keine Antwort von der Metro-Pressestelle.
Lebensmittelspende für die ukrainische Armee
Stattdessen wurde auf die Homepage des Konzerns verweisen mit der Extraseite #WeStandWithUkraine - Wir sind ONE METRO. Sie dokumentiert die Verurteilung des russischen Angriffskriegs durch CEO Steffen Greubel sowie zahlreiche Hilfsprogramme für die Ukraine und für ukrainische Flüchtling. An diesen Programmen beteiligen sich Metro-Tochtergesellschaften in verschiedenen Ländern.
In der Ukraine, wo der deutsche Konzern 3400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat und trotz Krieg 23 von 26 Märkten geöffnet hält, wurden bis Ende 2022 beispielsweise 525 Tonnen Lebensmittel für die ukrainischen Streitkräfte gespendet. Für jene Armee also, die ihr Land gegen die aus Russland eingedrungenen Truppen verteidigt, in deren Reihen mittlerweile mobilisierte Mitarbeiter der russischen Metro-Tochtergesellschaft dienen.