Wie der AfD begegnen? Antworten aus Dresden
29. September 2017In Sachsen war die Zustimmung für die rechtspopulistische AfD besonders hoch: Bei der Bundestagswahl holte sie hier drei Direktmandate und war stärkste Kraft bei den Zweitstimmen. DW-Reporterin Sönje Storm hat in der Landeshauptstadt Dresden - der Stadt, in der vor 3 Jahren die Pegida-Bewegung gegründet wurde - mit Verantwortlichen aus dem Kulturbetrieb über Konsequenzen für die Kulturarbeit im Lande gesprochen.
DW: Wie waren Ihre Reaktionen auf den Erfolg der AfD?
Joachim Klement (Intendant Staatsschauspiel Dresden): "Ich finde es überraschend, dass die AfD hier (in Sachsen, Anmerk. d. Red.) stärkste Partei geworden ist. Das hätte ich nicht erwartet. Für mich ist es erschreckend, weil wir in Dresden auf Pegida-Demonstrationen erleben, was AfD auch bedeutet: In den letzten Wochen und Monaten gab es einen Schulterschluss zwischen AfD und Pegida. Dass sich dieses reaktionäre und erzkonservative Gedankengut am Ende mit offenen Rassisten zusammentut, das finde ich unerträglich."
Dieter Jaenicke (Intendant des Europäischen Zentrums der Künste, Dresden): "Das ist ein erschreckend genaues Ergebnis. Jeder konnte vorher wissen, was einen erwartet. Insofern bin ich auch konsterniert, wie aufgeregt die ganzen Parteien durch die Gegend laufen, als hätten sie vorher nicht gewusst, was uns erwartet. Jeder, der hier im Osten arbeitet, weiß, dass er sich mit dieser Situation auseinandersetzen muss. Ich finde, ein großes Problem ist, dass wir und viele Politiker sich damit erschreckend geschichtslos auseinandersetzen. Dass sie sich nicht trauen, eine reale Analyse zu machen: Warum ist das hier so?"
DW: Was ist da passiert im Osten, woher kommen die AfD-Wähler?
Dieter Jaenicke (Intendant des Europäischen Zentrums der Künste, Dresden): "Es ist nicht so, dass sich Prozente verschoben haben und es auf einmal einen kleinen Teil von sehr laut schreienden Mitbürgern gibt. Sondern der ganze Ton verändert sich täglich, in allen Situationen. Da ist etwas. Ich bin vor neun Jahren hierher gezogen und seit vier Jahren spüre ich, wie sich der Ton in der Stadt radikal verändert. Diejenigen, die schon immer so gedacht haben, die haben jetzt den Mut, einen mitten auf der Straße anzupöbeln."
Marion Ackermann (Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden): "Was zu beobachten ist, dass bei den Montagsdemonstrationen von Pegida Ängste eine große Rolle spielen. Das sind auch oft Ängste der älteren Menschen, die meines Erachtens auch die Zukunft der Jüngeren belasten und zerstören können - wie man es beim Brexit jetzt gesehen hat. (...) Sehr viele sind auch wirklich Verlierer der Wende geworden und haben jetzt - immerhin fast 30 Jahre danach - das Gefühl, sie haben im Leben nicht die Laufbahn erklimmen können, die sie sich erträumt haben. Sie fühlen, dass sie zu kurz gekommen sind. Ich glaube schon, dass es da eine sehr starke Unzufriedenheit bei den Menschen gibt."
Joachim Klement (Intendant Staatsschauspiel Dresden): "Es wird jetzt - nach einer Generation - sichtbar, was die Wiedervereinigung tatsächlich gekostet hat. Da hat es auch eine Reihe von Enttäuschungen gegeben. Die werden überproportional sichtbar. Auf der anderen Seit darf man nicht vergessen, wie viel an Positivem, an Wirtschaftskraft, an Aufbruch auch dazu gekommen ist. Ich finde, da muss man ein bisschen aufpassen, dass einen die eigene Mentalität nicht dazu verführt, wehleidig zu sein."
Marcel Beyer (Schriftsteller): "Der Wohlstand ist an der Oberfläche, wie im Westen. Aber es gibt hier diese Sicherheit im Hintergrund nicht. Man kann sich nicht auf etwas berufen, was man ohnehin als Finanzkraft im Hintergrund hat. Das sehen die Menschen als großen Unterschied. Man sieht das auch, wie sich jemand bewegt, an der Körperhaltung. (...) "Wenn ich im Westen unterwegs bin, merke ich immer, dass die Leute auf eine bestimmte Weise gelassen da sitzen, im ICE, es kann ihnen eh nichts passieren. Das haben die Leute im Osten nicht. Man hat das Gefühl, man muss sich enorm anstrengen, um ein gewisses Niveau zu erreichen und dieses Niveau ist immer gefährdet. Das macht anfällig für Extreme."
DW: Welche Strategien haben Sie sich als Kulturleute überlegt?
Marion Ackermann (Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden): "Die Strömungen von Nichttoleranz, Akzeptanz gegenüber ausländischen Mitbürgern, Dinge, die einen kritischen Begriff der Moderne und der Kunst in Frage stellen, das lehnen wir ab. Und das ist unsere Aufgabe, da permanent auch zu einer Sensibilisierung beizutragen. (...) Man muss einfach Bescheid wissen über Geschichte und über die Zusammenhänge der Welt. Und wir wollen versuchen, eine Art Akademie oder eine Schule alternativen Lernens einzurichten, wo man reflektiert, wie man eigentlich Wissen teilen kann, wie man an Wissen gelangen kann, auch medienkritisch, und dadurch einfach ein differenziertes Weltbild sich errichtet, dass keine Schwarz-Weiß-Malerei mehr möglich ist. (...) Außerdem wollen wir uns verstärkt an die jungen Menschen richten. Vielleicht nicht im Zwangsverband von Schulklassen, sondern alleine, damit sie als Einzelne angesprochen werden. Und wir wollen sogar eine Kinderbiennale einführen."
Joachim Klement (Intendant Staatsschauspiel Dresden): "Wir reden im Moment intensiv darüber, ob wir neue Formate öffnen müssen, weil ich glaube, dass es sinnvoll ist, diese Menschen, die sich so abgewendet haben von den etablierten Parteien oder auch im hohen Maße unzufrieden sind mit der Demokratie, einfach ins Gespräch zu bringen. (...) Und es macht schon Sinn, dass wir uns fragen, ob wir nicht "Streit-Räume" aufmachen müssen, in denen auf eine ganz andere Art und Weise Menschen eingeladen werden, ins Gespräch zu kommen. Hier ist allerdings die Erfahrung die, dass sich die Leute, die sich montags zum Demonstrieren versammeln, nicht für Gespräche interessieren. Das ist ganz eindeutig so. (...) Das Theater hat den Vorteil, dass es als lebendigste aller Künste, und als einer der wirklich freien Räume unserer Gesellschaft, in denen man unvoreingenommen über unsere Zukunft nachdenken kann, also auch über die Zukunft von Gesellschaft, ganz offen mit diesen Themen umgehen kann. Wir werben mit unserer Arbeit sehr empathisch für eine offene Gesellschaft. Das werden wir auch in Zukunft tun. Wenn wir diese Kraft nicht hätten, müssten wir diesen Beruf nicht machen."
Marcel Beyer (Schriftsteller): "Ich finde ja Nachdenken schon viel, das Begleiten von Prozessen. Das Nachspüren auch von kleinen Beben, die auf ein kommendes großes Beben hinweisen, finde ich viel wichtiger, als Parolen zu entwerfen, die das Unheil verändern. Das können alle machen. Dafür muss man nicht Künstler sein. Schon gar nicht Schriftsteller. (...) Meine konkreten Schritte sind: Seit ich im Osten unterwegs bin, ist immer wieder das Publikum im Zentrum - sei es bei einer Veranstaltung oder das imaginäre Publikum, das ich vor Augen habe, wenn ich schreibe. Dieses Publikum nicht in Sicherheit zu wiegen, ihm nicht zu signalisieren, ihr macht schon alles richtig, so wie ihr es macht, die Welt wird schon in Ordnung sein. Auch ein bisschen provozieren. Nicht mit provokanten Aussagen, aber dadurch, dass ich Dinge schreibe, die wie vom Mond wirken. Aber ich kann bezeugen: Nein, das ist auch die Wirklichkeit. Ihr wollt sie nur nicht sehen oder es ist Euch unbequem. Eine andere Wirklichkeit, so unschön sie aussehen mag, aber sie wird Auswirkungen haben auf Eure Wirklichkeit. Und genau das haben wir jetzt gesehen bei dieser Bundestagswahl."