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Wie aus Wissenschaftlern Klimaaktivisten wurden

Ellie Broughton
12. Dezember 2019

Emotionaler Stress und Sorge, nichts zu tun. Darum gehen einige Wissenschaftler andere Wege im Kampf gegen den Klimawandel. DW sprach mit drei Forschern, die ihren Job an den Nagel hängten, um Klimaaktivisten zu werden.

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Silhouetten eines Feuerwehrmannes vor dem Hintergrund eines Feuers
Bild: picture-alliance/dpa/AP/San Jose Mercury News/J. Carlos Fajardo

Ablenkung hilft immer, auch ein "Einfach-nicht-dran-denken". Zum Beispiel bei erschreckenden Fernsehberichten über die Auswirkungen des Klimawandels auf unseren Planeten. Was bei den meisten Menschen vielleicht gut funktioniert, ist für Umweltwissenschaftler nicht so einfach. Auch nicht für jene Forscher, die sich tagtäglich mit den Auswirkungen des Klimawandels beschäftigen. Für sie funktioniert Ablenkung nicht.

In einem Brief, der im Oktober dieses Jahres im Science Magazine veröffentlicht wurde, machten die Biologen Andy Radford, Stephen Simpson und Tim Gordon ihren Frust publik. Der Verlust der Natur habe bei Menschen mit einer engen Verbindung zu diesem Thema "starke Trauerreaktionen" ausgelöst.

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Sie forderten, dass Forschungsinstitute für ihre Umweltwissenschaftler ganz ähnliche Fürsorgestrategien entwickeln, wie sie im "Gesundheitssystem, der Katastrophenhilfe, der Strafverfolgung und beim Militär" existieren. Dadurch sollen die Forscher lernen können, ihren "emotionalen Stress" zu bewältigen.

Die Resonanz auf das Schreiben war groß. So wandten sich eine Reihe von Kollegen an Andy Redford, einen Professor an der University of Bristol, und bekundeten ihre Zustimmung zu den veröffentlichten Forderungen.

So manch ein Umweltwissenschaftler befindet sich im Zwiespalt. Zwischen Klimaforschung und Politik auf der einen Seite und der Hoffnung, die von den globalen Klimaprotesten des vergangenen Jahres ausging, auf der anderen.

DW sprach mit drei Wissenschaftlern, die der Forschung den Rücken kehrten, um Klimaaktivisten zu werden.

Wolfgang Knorr: "Wir wissen viel weniger, als wir behaupten"

Wolfgang Knorr
Wolfgang Knorr hofft, seine wissenschaftlichen Fähigkeiten auf eine neue Weise einzusetzenBild: Elisabeth Kreitmeier

Dr. Wolfgang Knorr, 53, Forscher, Physische Geographie und Ökosystemwissenschaften, Grundlagenforscher (BECC), Universität Lund, Schweden

Nach 27 Jahren in der Forschung hat Wolfgang Knorr im September 2019 seinen Job an den Nagel gehängt. Er glaubt, seine Fähigkeiten als Umweltaktivist besser einsetzen zu können. Noch weiß er nicht, wie genau das aussehen könnte.

"Mein Verhältnis zur Wissenschaft war immer schon ein emotionales. Aber in der Wissenschaft geht es darum, Gefühle außen vor zu lassen. Ich jedoch habe dieses starke Gefühl, dass es da draußen für unsere Welt enorme Risiken gibt. Vor allem wissen wir viel weniger, als wir meinen.

Im Jahr 2005 wurde ich Mitglied des britischen Natural Environment Research Council. Täglich saß ich in wichtigen Meetings, diskutierte über Themen wie erneuerbare Energien. Abends im Zug auf dem Weg nach Hause las ich Zeitungsberichte über den Klimawandel. Blätterte ich eine Seite weiter, las ich im Wirtschaftsteil Meldungen über Geschäftserweiterungen oder Wirtschaftswachstum. Damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es da eine große Diskrepanz gibt zwischen meiner Arbeit und dem, was da draußen in der Welt wirklich passiert.

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Dieses Gefühl von damals hielt an – bis die Jugendlichen anfingen gegen den Klimawandel zu protestieren. Durch diese Proteste kam es zu einem echten Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich würde sagen, als Klimawissenschaftler folgen wir in gewisser Weise dem Beispiel dieser Demonstranten. Durch die Proteste habe ich mein Potenzial erkannt, ein Anwalt für das Klima zu sein. Damit hat sich mir eine völlig neue Perspektive eröffnet, was ich mit meinen Fähigkeiten machen könnte.

Nun hoffe ich, bessere Einsatzmöglichkeiten für meine Fähigkeiten zu finden, als ich sie in der Wissenschaft je hatte. Und ich will mein Wissen dafür besser nutzen."

Jess Spear: "Ich war wirklich demoralisiert"

Jess Spear verließ die Wissenschaft für die Klimabewegung
Von der Umweltwissenschaftlerin zur Umweltaktivistin Jess Spear Bild: Leanne Fay

Jess Spear, 38 Jahre alt, Wissenschaftlerin, Pädagogin und sozialistische Aktivistin, RISE, Dublin

Spear hörte 2013 auf als Klimawissenschaftlerin zu arbeiten. Seitdem arbeitete sie an einer Kampagne im amerikanischen Seattle. Die hatte gerade ihren ersten sozialistischen Stadtrat seit einem Jahrhundert gewählt. 2017 zog Spear nach Dublin in Irland. Dort arbeitet sie für eine neue irische linke Gruppe namens Radical Internationalist Socialist Environmentalist (RISE).

"Früher habe ich beim US Geological Survey gearbeitet. Es ist viel einfacher, ein verbeamteter Wissenschaftler zu sein. Es war nicht so stressig. Das Geld hat gestimmt. Aber es war nicht das, was ich in dieser Welt tatsächlich erreichen wollte.

Anfang 2011 war ich dann ziemlich demoralisiert, vor allem was den Zustand der Klimabewegung betraf. Es schien nicht sehr viele Leute zu geben, die sich Gedanken über unser Klima machen.

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Zu sehen, wie die Emissionen permanent steigen. Zu sehen, wie die Regierungen versagen. Das war wie zuschauen, wie ein Zug in Zeitlupe die Klippe hinunterstürzt. Du weißt ganz genau, was passieren wird. Aber du fühlst dich so machtlos. Als Einzelperson kannst du nichts tun.

Ich erinnere mich an eine Situation, als ich gerade als Aktivistin zu arbeiten begonnen habe. Ich stand in meiner Küche und habe mir Videos von Occupy Wall Street angesehen habe. Da ist mir ein Licht aufgegangen. Es war der Moment, der mein Leben verändert hat. Ich begriff, dass es die Möglichkeit gab, wegzukommen. Wegzukommen vom "nach Lösungen suchen" hin zu "in der Gemeinschaft können wir etwas ändern."

Mathieu Munsch: "Was ich jetzt tue, ist viel sinnvoller"

Drei Frauen und ein Mann, Mathieu Munsch, sitzen auf einem Holzgerüst
Mathieu Munsch baut mit Freunden ein Öko-HausBild: Mathieu Musch

Mathieu Munsch, 30, Bauherr, Erzieher und Gemeindeaktivist, Frankreich

Mathieu Munsch hat im September 2018 nach zweieinhalb Jahren seine Doktorandenstelle im Bereich Klimawandel an der Strathclyde Universität in Schottland gekündigt. Jetzt baut er in Frankreich ein umweltfreundliches Haus auf dem Land. Und er engagiert sich in der Lokalpolitik.

Als Akademiker sah er sich früher in einem Konflikt. Sein eigenes Umweltbewusstsein war unvereinbar mit seinem eingeschlagenen Karriereweg geworden.

"Strathclyde hat eine große technische Abteilung. Hier wird Fracking-Forschung betrieben. Es wird also darüber geforscht, wie mit Chemikalien Erdöl aus Gesteinsformationen tief im Inneren der Erde gefördert werden kann. Das Geld für diese Forschung bekommt die Universität von der Ölindustrie. Die Pensionskassen der Professoren meines Lehrstuhls investieren in fossile Brennstoffindustrie.

Im ersten Jahr glaubte ich noch, das Richtige zu tun. Aber dann wurde mir mehr und mehr klar, dass ich niemals eine erfolgreiche Karriere haben werde, dass ich niemals überhaupt eine Pension bekommen werde und alle anderen sich für mich daraus ergebenden Vergünstigungen. Denn dafür müsste das derzeitige Wirtschaftssystem weiter funktionieren. Das aber würde bedeuten, dass wir so weitermachen wie bisher. Und das hieße wiederum, dass wir uns in einen katastrophalen Klimawandel hineinbewegen. Diese Erkenntnis war für mich wie ein Weckruf. Ein Weckruf: raus aus diesem System.

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Ich hatte einen Burnout. Ich verbrachte acht Stunden meines Arbeitstages am Computer und las unzählige Dokumente über den Klimawandel. Das war emotional nur schwer zu ertragen. Auch wenn ich glaube, dass ich bei weitem nicht so verzweifelt war, wie andere Menschen, die diese Erfahrung erleben.

Mir hat die Zeit mit den Aktivisten sehr geholfen. Das Verlassen eines Weges, was Neues und völlig anderes zu finden – das hat mir geholfen, den Stress und den Burnout zu überwinden.

Seit ich gegangen bin, haben mich immer wieder Leute über Twitter angeschrieben. Gerade wegen meiner Entscheidung, zu gehen. Einer schrieb:  "Oh, ja, vor zwei Jahren habe ich genau das Gleiche getan. Heute habe ich das Gefühl, dass das, was ich jetzt tue, viel bedeutungsvoller ist."

Diese Interviews wurden redaktionell bearbeitet und aus Gründen der Klarheit und Länge verdichtet.