Widerstand gegen Kinderschutzgesetz im Iran
22. November 2018Der Weg zu einem besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen, insbesondere vor sexueller Misshandlung, ist im Iran weiterhin ein mühsamer. Selten genug werden solche Fälle publik, und wenn, so hat das bislang nicht zu einer Anpassung der islamisch-konservativen Gesetzgebung im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention geführt, die der Iran bereits vor 25 Jahren unterzeichnet hat.
Erst vor wenigen Wochen hatte ein Iraner über seinen sexuellen Missbrauch als Schüler auf Twitter berichtet, 17 Jahre nach dem traumatischen Erlebnis. "Er war mein Physiklehrer in der 10. Klasse. Nach einer Prüfung lud er mich zu sich nach Hause ein …" So beginnt die Geschichte des anonymen Internet-Nutzers.
Schockierende Fotos als Auslöser
Nachdem er vor kurzem veröffentlichte schockierende Fotos von Kindern und Jugendlichen gesehen habe, die in einer Kleinstadt im Süden des Iran sexuell missbraucht worden waren, habe er nicht länger schweigen wollen. In den sozialen Netzwerken bekam der Betroffene Lob für seinen "Mut" und fand Nachahmer, die sich ermutigt fühlten, ähnliche Erfahrungen mitzuteilen, und fehlende Unterstützung ihrer Mitwelt beklagten.
Bei den auslösenden Fotos ging es um Jugendliche oder Kinder, die von einem Gärtner in der südiranischen Kleinstadt Shoushtar sexuell missbraucht wurden und dabei von dem Täter sogar fotografiert wurden. Er soll die Fotos als Mittel zur Erpressung der Eltern gemacht haben. Eine Journalistin hatte die Fotos ins Netz gestellt, jedoch ohne sich um die Persönlichkeitsrechte der Opfer und ihrer Familien zu kümmern.
Der mutmaßliche Täter soll bereits zwei Wochen vor der Veröffentlichung der Fotos verhaftet worden sein und "psychische Probleme haben", wie die Behörden der Stadt Shoushtar mitteilten.
Der Fall Said Tousi als Beispiel für Vertuschung
Der Parlamentsabgeordnete Mahmoud Sadeghi erinnerte an den bislang letzten Fall von sexuellem Missbrauch, der in Iran Wellen geschlagen hatte: "Wenn der Fall Tousi nicht auf Anweisung höchster Justizbehörden eingestellt worden wäre, würden solche Vergewaltiger es nicht wagen, sich so dreist zu benehmen", twitterte Sadeghi vor wenigen Tagen.
Said Tousi, ein prominenter Koran-Rezitator, war 2015 wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen angeklagt worden. Mindestens 16 Jugendliche waren bereit, sich der Anklage anzuschließen beziehungsweise als Zeugen aufzutreten. Tousi hatte jedoch gute Verbindungen zum geistlichen Führer Ayatollah Chamenei, mit der Folge, dass sein Fall auf dem Schreibtisch des Chefs der iranischen Justizbehörde landete. Dieser stellte im Februar 2018 das Verfahren gegen Tousi ein. Zwei Monaten später behauptete einer der Stellvertreter des Justizchefs: "Kindesmissbrauch und sexueller Missbrauch von Kindern ist unserem Land nicht verbreitet. Im Vergleich zu westlichen Ländern haben wir sehr wenige Missbrauchsfälle, aufgrund unserer kulturellen und religiösen Prägung."
Abgesehen von Angst und Scham der Opfer ist es tatsächlich die Rechtslage im Iran, welche die Täter vor Verfolgung schützt und die "geringe Zahl" der Fälle erklärt. "Laut dem islamischen Gesetz sind Jugendliche über 15 Jahren keine Kinder mehr, sondern Erwachsene. Mädchen sind im Iran schon ab neun Jahren, Jungen ab 15 Jahren strafmündig", erläutert der Politikwissenschaftler und Experte für islamisches Recht Mohammad Mohebi im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Die Scharia ist die Hauptquelle der Rechtsprechung. Sexueller Missbrauch von Kindern ist in der Scharia aber nicht einmal definiert. Die islamischen Gelehrten im Iran tun sich deshalb ebenfalls schwer, das zu definieren. Deswegen sind sie auch gegen den jüngsten Gesetzentwurf des Parlaments für den Schutz der Rechte von Kindern im Iran."
Änderung der Gesetzeslage dringend geboten
Für den Vergewaltiger von Shoushtar ist die geltende Rechtslage günstig. Seine Opfer müssen beweisen, dass die Sexualhandlungen nicht einvernehmlich und gegen ihren ausdrücklichen Willen geschahen. Sie könnten sogar ihrerseits wegen "verbotenen Verhaltens" angeklagt werden, mit möglichen Geld- oder Gefängnisstrafen. Dem Vergewaltiger hingegen droht maximal ein Jahr Gefängnis, ebenfalls wegen "verbotenen Verhaltens."
Der neue Gesetzentwurf für den Schutz der Kinderrechte will das ändern. Er definiert verschiedene Kategorien von Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Auch Kinderhandel für Zwecke der Prostitution und Pornografie wird sanktioniert, mit Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und 25 Jahren.
Obwohl der Gesetzentwurf bereits vom Parlament verabschiedet wurde, kann es bis zu seinem Inkrafttreten dauern – wenn es überhaupt soweit kommt. Denn der Wächterrat hat den Entwurf als "nicht mit dem Islam vereinbar" ans Parlament zurückgeschickt. Der Entwurf muss nun an die Scharia angepasst werden. Zum Beispiel ist es für den Wächterrat wichtig, dass der Vater eines Kindes das letzte Wort hat und diese Verantwortung bei ihm bleibt, selbst wenn er sein Kind misshandelt. Sollte das Parlament die geforderten Änderungen nicht vornehmen, wird der Schlichtungsrat eingeschaltet, mit ungewissem Ausgang.