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Wider den Mangel

Heinrich Bergstresser18. Oktober 2002

Den Welternährungstag begeht die UNO seit 1980. Damit symbolisiert die Weltorganisation, im Kampf gegen Hunger und Unterernährung nicht nachzulassen. Ein Kommentar von Heinrich Bergstreser.

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Bild: AP

Betrachtet man landwirtschaftliche Produktion und Ernährungssituation im globalen Maßstab, so stellt man schnell extreme regionale Ungleichheiten fest. Schon die beiden Begriffspaare Überernährung/Unterernährung und Überproduktion/Unterproduktion vermitteln einen ersten Eindruck über diesen Sachverhalt. Dabei stehen Überernährung und Überproduktion für die Industriestaaten, wo aber nur ein Viertel der Weltbevölkerung lebt. Dieses Viertel konsumiert aber die Hälfte der Weltagrarproduktion. Kein Wunder, denn es verbraucht pro Kopf und Tag die unglaubliche Menge von 3500 Kalorien. Das ist fast doppelt so viel wie der Verbrauch in den afrikanischen Staaten südlich der Sahara.

Soziale Spannungen

Unterernährung und Unterproduktion stehen für die ärmsten Entwicklungsländer, wo sich die Menschen auf einem Niveau ernähren, das etwa dem Europas von vor 200 Jahren entspricht. Trotz der erbärmlichen Situation dieser Menschen gibt es aber auch in Entwicklungsländern dank moderner Techniken und Anbaumethoden Fortschritte - besonders in Asien, Lateinamerika und im Nahen Osten. Das heißt, dort differenziert sich das Bild, liegen Überernährung und Unterernährung, Überproduktion und Unterproduktion dicht beieinander, was wiederum soziale und politische Spannungen erzeugt und verschärft. Dieses Spannungsverhältnis gilt leider auch weltweit, denn der Überfluss in den Industriestaaten wird zum großen Teil mit dem Mangel in den Entwicklungsländern erkauft.

Westliche Welt nicht unschuldig

Kritiker mögen einwenden, dass die Industriestaaten selbst ihre Nahrungsmittel erzeugen und einiges davon sogar exportieren können. Die Entwicklungsländer seien im wesentlichen selbst schuld an ihrer Misere. Die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Denn im Westen besteht die im Grunde perverse Situation, den Bürger als Steuerzahler zur Kasse zu bitten, um mit riesigen Subventionen für die Agrarfabriken billige Nahrungsmittel zu produzieren. Der Konsument wiegt sich somit im festen Glauben, sich kostengünstig ernähren und sich gleichzeitig dem Konsumrausch hochwertiger Artikel hingeben zu können.

Export entzieht den Einheimischen Nahrung

Bisher funktioniert der Trick und überdeckt zugleich die andere Seite der Medaille: Die Entwicklungsländer exportieren landwirtschaftliche Rohprodukte in die Industrieländer, wo sie veredelt, konsumiert und zum Teil als veredeltes Produkt - wie zum Beispiel Schokolade, geschälter Reis, Fischkonserven oder Alkohol - wieder in die Entwicklungsländer zurückexportiert werden. Hier schließt sich der Kreis. Denn der Markt für die Entwicklungsländer liegt in den Industriestaaten, und der entzieht den eigenen Menschen erschwingliche Nahrungsmittel. Dieser Markt wird aber von internationalen Konzernen beherrscht, die immer mehr lukrative Agrarbereiche in den Entwicklungsländern übernehmen, wie beispielsweise den Erdnussanbau im Senegal, den die Konzerne weltweit vermarkten. Die Verlierer sind die Bauern, die sich gegen diese Entwicklung nicht wehren können und in die Slums der Städte abwandern, ohne Aussicht auf Arbeit und Brot.

Gegen den Billigtrend

Die FAO, die internationale Food and Agriculture Organization, wäre gut beraten, den Irrglauben an billige Nahrungsmittel als taugliches Instrument zur Beseitigung von Hunger und Unterernährung zu bekämpfen, an denen rund 800 Millionen Menschen leiden. Erster Adressat müssen die Industriestaaten sein. Denn dort fallen heute die Entscheidungen von morgen, sei es in den Anbaumethoden, der Vermarktung oder in der Gentechnik. Und Landwirtschaft hat auch viel mit Umwelt zu tun, denn die Böden sind nicht beliebig ausweit- und ausbeutbar.