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Das Tank Man-Foto

Gabriel Dominguez/ cb30. Mai 2014

Sein Bild eines Mannes, der sich einer Panzer-Kolonne in den Weg stellt, symbolisiert das Massaker auf dem Tiananmen-Platz von 1989. Fotojournalist Jeff Widener erzählt der DW die Geschichte hinter dem berühmten Foto.

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Tank Man: Ein einzelner Chinese stellt sich vier Panzern auf dem Tiananmen Platz entgegen. (Foto: Jeff Widener/Associated Press)
Bild: Jeff Widener/AP

Im Juni 1989 demonstrieren mehrere tausend chinesische Studenten und unzufriedene Bürger auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tiananmen) in Peking. Sie wollen, dass die Regierung mehr Verantwortung übernimmt und fordern Pressefreiheit sowie ein Ende der Korruption in ihrem Land.

Als die Demonstration immer größer wird, schickt die chinesische Regierung das Militär auf den Platz, um die Bewegung niederzuschlagen. Die Soldaten schießen auf unbewaffnete Zivilisten, die sich für mehr Demokratie eingesetzt hatten. Schätzungen gehen von mehreren hundert Toten aus - die chinesische Regierung hat bis heute keine Zahlen veröffentlicht.

In dem großen Chaos auf dem Tiananmen-Platz stellt sich ein einzelner Mann einer Panzer-Kolonne entgegen. Das Schicksal dieses Mannes, der als "Tank Man" (zu deutsch: Panzer-Mann) bekannt wird, hat viele Menschen bewegt - vor allem Jeff Widener, den Mann, der diesen historischen Moment auf Film gebannt hat. DW hat mit dem Fotografen gesprochen.

DW: Was ist die Geschichte hinter dem "Tank Man"-Foto?

Jeff Widener: Die Associated Press Agentur in New York bat mich, Bilder vom Tiananmen-Platz zu machen, der zu dieser Zeit bereits vom Militär besetzt war. Dafür war das Beijing Hotel am besten geeignet. Mit Hilfe eines amerikanischen Studenten schlich ich mich in das Hotel und auf den Balkon im 5. Stock. Von da gelang es mir, mit einem 800 Millimeter Zoom-Objektiv ein ziemlich scharfes Bild zu schießen. Am Abend hatte ich dann nicht nur meinen Auftrag erfüllt, sondern auch noch einen Bonus: Das Foto des "Tank Man".

Was glauben Sie hat "Tank Man" zu seinem Handeln bewegt?

Was er getan hat, war unglaublich, einfach überwältigend. Jeder sagt, er war mutig und das finde ich natürlich auch. Aber manchmal frage ich mich, wie er sich wohl gefühlt hat, was er gedacht hat. Wenn er verzweifelt war, weil vielleicht seine Freundin oder ein Verwandter bei den Protesten ums Leben gekommen war, hat er in dem Moment nicht an sich selbst gedacht. Vielleicht hat er einfach nur auf seine Gefühle reagiert. In einer solchen Situation zählt nichts mehr, außer, dass man jemanden verloren hat, den man liebt.

Jeff Widener mit Kamera in Angola (Foto: Jeff Widener/Associated Press)
Jeff Widener: In Krisengebieten weltweit unterwegsBild: Jeff Widener/AP

Was könnte ihm passiert sein, nachdem er von vier Männern fortgezerrt wurde?

Das werden wir vielleicht nie erfahren. Ich glaube aber, dass es irgendjemand weiß und es nicht verrät.

Wie war die Situation in Peking an dem Tag, an dem Sie das Bild machten?

Niemand traute sich auf die Straße. Alle hatten Angst nach den Ereignissen der vergangenen Tage. Ich hatte Todesangst, als ein Laster voller Soldaten an mir vorbeifuhr und das Feuer eröffnete. Ich bin wie ein verängstigtes Schulmädchen zur nächsten Gasse gerannt, aber auf halbem Wege musste ich anhalten, weil ich außer Atem war. Ich dachte mir: 'Ich werde sterben, weil ich zu unsportlich bin.'

Das war eines der schlimmsten Erlebnisse, die ich in diesen Tagen hatte. Schließlich schaffte ich es bis vor die US-Botschaft. Als sie mich endlich reinließen, zitterte ich wie verrückt. Es ist ein Wunder, dass ich das überlebt habe.

Das war nicht das erste Mal, dass Sie so einen Konflikt miterlebt haben. Können Sie gut damit umgehen, in gefährlichen Situationen zu arbeiten?

Über die Jahre habe ich Geschichten in über 100 Ländern gemacht, die von Unruhen, Kriegen oder sozialen Problemen gebeutelt waren. Ich mochte es schon immer, Angst zu haben und an gefährliche Orte zu kommen. Ich mag nur das Gefühl nicht, wenn auf mich geschossen wird. Aber es ist natürlich schön, wenn meine Bilder gewürdigt werden.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das "Tank Man"-Foto schossen?

Das erste was ich dachte war, dass dieser Mann mir im Bild steht. Dann war ich einfach geschockt, so wie alle anderen auch. Ich nahm an, dass er getötet werden würde. Das geschah aber nicht, und deswegen habe ich mich dann entschieden, ein Objektiv zu benutzen, das noch mehr Zoom hatte, weil das Ganze so weit weg war. Für mich war es ein unglaubliches Erlebnis.

Wann war Ihnen zum ersten Mal klar, dass Sie ein historisches Bild gemacht haben?

Ich wusste ziemlich schnell, dass das Foto seine Wirkung hatte. Zeitungen und Magazine auf der ganzen Welt druckten es im Großformat ab. Aber so richtig fassen konnte ich es erst später, als AOL es als eines der zehn berühmtesten Bilder aller Zeiten auswählte. Andere Fotos auf dieser Liste waren zum Beispiel die Aufnahmen von der Mondlandung oder des Absturzes des Zeppelins Hindenburg. Es traf mich wie ein Blitzschlag. Da wusste ich, dass ich etwas wirklich Besonderes geschaffen hatte.

Was sagen Sie dazu, dass das Foto in China immer noch nicht gezeigt werden darf?

Das ist peinlich für die chinesische Regierung. Ich verstehe nicht, warum sie nicht einfach auspacken. Beide Seiten haben Fehler gemacht und alle wissen das. Es ist fast schon komisch, dass das Fotos noch immer verboten ist. Schließlich kennt es jeder.

Nach einigen der größten Tragödien der Menschheit haben die verantwortlichen Länder irgendwann ihre Fehler zugegeben und sich entschuldigt. Aber das scheint mit der chinesischen Regierung nicht zu passieren. Vielleicht kommt es eines Tages dazu.

Wie hat das "Tank Man"-Foto Ihr Leben beeinflusst?

Es war Fluch und Segen zugleich. Als Fotograf will man auch für seine weitere Arbeit bekannt sein und nicht nur für dieses eine Foto, das praktisch ein Glücksfall war. Ich hoffe, dass eines Tages auch meine anderen Bilder gewürdigt werden, aber ich will mich bestimmt nicht beschweren, da das Foto meiner Karriere sehr geholfen und eine Menge Türen für mich geöffnet hat.

Jeff Widener und Liu Hueng Shing auf dem Tiananmen Platz im Mai 1989. (Foto: Jeff Widener/Associated Press)
Widener (li.) 1989 - nur wenige Tage vor dem Massaker auf dem TiananmenBild: Jeff Widener/AP

Das Bild hat auch mein Privatleben entscheidend beeinflusst, weil es mich zu Corinna geführt hat. Zum 20. Jahrestag des Massakers flog mich die BBC für eine Dokumentation nach Peking. Ich ging die Chang'an Avenue entlang und sah eine deutsche Frau am Straßenrand sitzen.

Ich sprach sie an und wir verbrachten ein Unwetter in einem alten Teehaus. Nach etwa fünf Stunden stellten wir fest, dass wir ineinander verliebt waren - und im folgenden Jahr haben wir auf Hawaii geheiratet. Wenn jemand mir während der blutigen Unruhen damals gesagt hätte, dass ich 20 Jahre später an den selben Ort zurückkehren und meine zukünftige Ehefrau kennenlernen sollte, hätte ich ihm nicht geglaubt.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Zurzeit arbeite ich an meinen Archiven und an einer Fotoausstellung in Italien. Außerdem habe ich zwei Buchprojekte am Laufen: eines über meine Jahre in Bangkok für die Associated Press und eines über Hawaii. Ich bin also gut beschäftigt. Wenn diese Sachen fertig sind, schauen wir mal, wie es weitergeht.

Jeff Widener ist ein amerikanischer Fotojournalist. Sein Bild des "Tank Man" war unter den Finalisten für den Pulitzer Preis 1990. Zurzeit arbeitet Widener als Freiberufler in Hamburg.

Das Interview führte Gabriel Dominguez.