WHO-Chef wehrt sich gegen Corona-Kritik
18. Mai 2020Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, hat Kritik am Umgang mit dem neuen Coronavirus zurückgewiesen. Die WHO habe nach dessen Auftreten "früh Alarm geschlagen", sagte Tedros auf der WHO-Jahrestagung in Genf. Gleichzeitig kündigte er an, in Kürze die weltweite Reaktion auf die Pandemie unabhängig untersuchen zu lassen. Ziel sei es, Lehren aus der Krise zu ziehen und Empfehlungen zu geben, um die Welt besser gegen künftige Pandemien zu rüsten.
"Jetzt nicht der richtige Zeitpunkt"
UN-Generalsekretär António Guterres verlangte erneut, es müsse analysiert werden, woher das Virus kam und wie es sich so rasch mit derart verheerenden Folgen ausbreiten konnte. "Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt" - jetzt müsse die Welt solidarisch zusammenarbeiten, um den Erreger zu stoppen. "Entweder kommen wir gemeinsam durch diese Pandemie oder wir scheitern", sagte Guterres in einer Videobotschaft.
Auch China begrüßt nach eigenen Angaben eine Untersuchung. Allerdings müsse diese objektiv und fair sein, sagte Präsident Xi Jinping zum Auftakt der WHO-Jahrestagung. Und die Krise sollte erst abgeklungen sein, ehe man den Ursprüngen des Virus nachspüre. Xi kündigte an, ärmere Länder mit insgesamt zwei Millarden Dollar (1,85 Milliarden Euro) über zwei Jahre hinweg im Kampf gegen die Pandemie zu unterstützen. "Solidarität und Zusammenarbeit sind die stärksten Waffen, um den Erreger zu besiegen", erklärte der Staatschef. Sollte China einen Impfstoff gegen SARS-CoV-2 entwickeln, werde die Regierung diesen weltweit zur Verfügung stellen.
Die EU hat eine Resolution auf den Weg gebracht, die WHO-Generaldirektor Tedros auffordert, eine "unparteiische, unabhängige und umfassende Überprüfung" der von der WHO koordinierten Maßnahmen zu veranlassen. Ein europäischer Diplomat sagte der Nachrichtenagentur Reuters, es sehe danach aus, dass die Vorlage eine Mehrheit finde.
"Missmanagement und Parteilichkeit"
In den vergangenen Wochen war der WHO vorgeworfen worden, zu spät auf den Corona-Ausbruch in China reagiert zu haben. Besonders heftig kritisierte US-Präsident Donald Trump die UN-Organisation. Er warf ihr "Missmanagement" und Parteilichkeit zugunsten Chinas vor. Der Volkrepublik wiederum unterstellte Trump, die Epidemie im eigenen Land zunächst vertuscht zu haben. Die Zahlungen der USA an die WHO wurden eingestellt. Sie sollen in stark verringertem Umfang zu einem späteren Zeitpunkt wiederaufgenommen werden.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stärkte der Weltgesundheitsorganisation im Streit mit den USA demonstrativ den Rücken. "Die WHO ist die legitimierte globale Institution, bei der die Fäden zusammenlaufen", sagte Merkel in einer Videobotschaft für die Weltgesundheitskonferenz. Sicher sei es wichtig, dass immer wieder geprüft werde, wie sich die Abläufe in der WHO weiter verbessern ließen, fügte sie in Anspielung auf die Kritik von Trump an der Organisation hinzu.
Zudem müsse man für eine "nachhaltiges Finanzierungssystem" sorgen. "Am dringendsten aber ist jetzt natürlich, die Coronavirus-Pandemie einzudämmen", sagte Merkel. Deutschland war deshalb in der vergangenen Woche zusammen mit der WHO und der EU Gastgeber einer internationalen Geberkonferenz für die Entwicklung und Produktion eines Corona-Impfstoffs. Die USA hatten daran nicht teilgenommen.
Warnung vor zweiter Welle
Weltweit haben sich mehr als 4,7 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert, mehr als 315.000, die positiv getestet wurden, starben. Der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, warnte unterdessen vor einer zweiten tödlichen Corona-Welle. Jetzt sei die "Zeit für die Vorbereitung, nicht für Feierlichkeiten", sagte Kluge der britischen Zeitung "The Telegraph". Er reagierte damit auf die Lockerung von Beschränkungen im Kampf gegen die Pandemie. Zwar gingen in Staaten wie Großbritannien, Frankreich und Italien die Fallzahlen zurück. Aber das bedeute noch nicht, dass sich die Krise ihrem Ende nähere.
jj/gri (dpa, afp, rtr, epd)