Whistleblower und was aus ihnen wurde
13. April 2019Am 11. April wurde Julian Assange, der Gründer der Wikileaks-Plattform, in London festgenommen. Seit 2013 hatte er in der Botschaft Ecuadors gelebt, wo er Asyl erhalten hatte. Ihm droht nun eine Haftstrafe von bis zu zwölf Monaten. Viele sind empört - an vorderster Front: Edward Snowden. Der ehemalige NSA-Mitarbeiter sorgte mit seiner Enthüllung über die systematische Spionage von Geheimdiensten für Schlagzeilen. Snowden zeigt sich auf Twitter sichtlich geschockt und spricht von einem "schwarzen Tag für die Pressefreiheit".
Auch wenn Assange nicht im strengen Sinne als Whistleblower gelten kann - Whistleblower arbeiten per Definition in dem System, aus dem sie Geheimnisse öffentlich machen -, kennt er doch die Gefahren und Entbehrungen eines Whistleblowers. Vor ihm gab es bereits andere, deren Aktionen meist ihr komplettes Leben verändert haben.
Daniel "Dan" Ellsberg
Der heute 88 Jahre alte US-amerikanische Ökonom und Friedensaktivist machte Anfang der siebziger Jahre von sich reden, als er die geheimen "Pentagon-Papiere" veröffentlichte. Dadurch wurde 1971 die jahrelange Täuschung der Öffentlichkeit in den USA über wesentliche Aspekte des Vietnamkriegs aufgedeckt. So zeigten die geheimen Papiere die wirklichen Kriegsziele von mehreren US-Regierungen in Folge.
Die Veröffentlichung der Dokumente durch die "New York Times" wurde von der Regierung verboten. Ellsberg wurde wegen Spionage angeklagt - ihm drohten 115 Jahre Haft. Der Prozess platzte, als ein von der Nixon-Regierung veranlasster Einbruch von Geheimdienstmitarbeitern in die Praxis von Ellsbergs Psychiater und seine illegale Überwachung bekannt wurden.
Auch heute ist Ellsberg noch politisch aktiv - so kritisierte er unter anderem massiv die Irakkriege der USA. Im Juni 2013 bezeichnete er die Veröffentlichungen zum PRISM-Überwachungsprogramm von Edward Snowden als die "wichtigsten in der Geschichte der USA".
Alexander Konstantinowitsch Nikitin
Der russische Ingenieur hat insgesamt zwölf Jahre auf einem U-Boot in der russischen Nordmeerflotte gedient - die meiste Zeit davon als U-Boot-Kapitän. 1994 veröffentlichte er einen Beitrag über die atomare Sicherheit bei der russischen Nordflotte. In Russland wurde der Bericht umgehend verboten, Nikitin drohte im Falle einer Verurteilung sogar die Todesstrafe.
Nach zehn Monaten in Untersuchungshaft wurde Nikitin im Dezember 1996 aus der Haft entlassen. Viele Versuche des russischen Geheimdienstes FSB, Nikitin anzuklagen, schlugen fehl. Deshalb erfuhr der Fall grundlegende Bedeutung: Erstmals wurde eine vom russischen Inlandsgeheimdienst FSB vor Gericht erhobene Anklage in letzter Instanz zurückgewiesen und der Beschuldigte vollständig freigesprochen.
Alexander Nikitin engagiert sich weiterhin aktiv gegen Umweltprobleme und für die Menschenrechte in Russland. 1999 wurde er als erster Preisträger mit dem "Whistleblower-Preis" ausgezeichnet.
Renato Dardozzi
Der Kanzler der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften war er damit beauftragt, den Skandal um die Banco Ambrosiano zu untersuchen. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er Tausende von internen Dokumenten der Vatikanbank heimlich in die Schweiz gebracht und testamentarisch deren Veröffentlichung nach seinem Tod bestimmt.
2003 starb Dardozzi im Alter von 81 Jahren. Der Testamentsvollstrecker kontaktierte daraufhin den italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi, der die Dokumente auswertete. Das Ergebnis der Aufarbeitung war: Die Vatikanbank Istituto per le Opere di Religione, kurz IOR, war viel weiterreichender in Skandale verstrickt als zuvor bekannt. 2009 veröffentlichte Nuzzi die Ergebnisse in dem Buch "Vatikan AG".
Miroslaw Strecker
Der deutsche LKW-Fahrer deckte 2007 einen Fleischskandal auf, in dessen Verlauf der Betrieb Wertfleisch GmbH geschlossen und der Geschäftsführer zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Wenig später trat der damalige bayerische Umweltminister Werner Schnappauf zurück.
Im August 2007 wurde Strecker Zeuge einer Umetikettierung, die minderwertiges Fleisch als Lebensmittel deklarierte. Viele Versuche, den Fall publik zu machen, scheiterten zunächst. Der LKW-Fahrer beharrte auf weiteren Ermittlungen, da er die Lieferpapiere als Beweis hatte. Daraufhin ermittelte die Polizei weiter. Erst spät reagierten die Behörden und schlossen den Betrieb. Sie stellten fest, dass die Firma insgesamt 150 Tonnen Fleischabfälle an Berliner Dönerhersteller weiterverkauft hatte.
Der Enthüller wurde nach dem Auffliegen des Skandals als "Held" in Fernsehshows, Zeitungen und Nachrichten gefeiert. Er erhielt mehrere Auszeichnungen für seine Zivilcourage. Strecker überbrückte die Zeit seiner Arbeitslosigkeit später mit dem Preisgeld der vier Couragepreise. Auch deshalb gilt der LKW-Fahrer als Beispiel für Menschen, die Zivilcourage beweisen, obwohl sie persönlich unter den negativen Folgen leiden.
Klaus Förster
Der Steuerfahnder und spätere Steueranwalt wurde Mitte der 70er Jahre durch die Aufdeckung des Flick-Parteispendenskandals bekannt. Als Leiter der Steuerfahndung beim Finanzamt Sankt Augustin bei Bonn brachte ihn ein Zufall auf die Spur einer Parteispendenaffäre, die er hartnäckig verfolgte. Dabei fungierte das Missionshaus der Steyler Missionare in Sankt Augustin als Geldwaschanlage. Insgesamt flossen 12,3 Millionen DM des Flick-Konzerns in die Kassen der Steyler Mission.
Die Ermittlungen Försters stießen bei seinen Vorgesetzten nicht auf Gegenliebe - sie versuchten ihn von der Aufdeckung des Parteispendenskandals abzuhalten. Der Steuerfahnder ermittelte unbeirrt weiter und wurde an ein Kölner Finanzamt versetzt. 1983 schied Förster aus dem Staatsdienst aus und arbeitete als Steueranwalt in Bonn.
Mordechai Vanunu
Der israelische Nukleartechniker machte 1986 die Existenz des bis dahin geheim gehaltenen Nuklearforschungsprogramms Israels bekannt. Schlagzeilen machte Vanunus Entführung durch eine Aktion des israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad. Am 30. September 1986 wurde der Whistleblower von der israelischen Agentin Cheryl Ben Tov nach Rom gelockt, dort vom Mossad entführt und dann per Schiff nach Israel gebracht. Sechs Wochen lang bestritt die israelische Regierung, etwas über Vanunus Verbleib zu wissen, bis es diesem gelang, aus einem Polizeibus heraus Journalisten eine Nachricht zukommen zu lassen.
Wegen Landesverrats und Spionage wurde Vanunu am 24. März 1988 zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er rund elf Jahre in Isolationshaft verbrachte. Am 21. April 2004 wurde der Whistleblower unter strengen Auflagen freigelassen - so darf er weder Handy noch Internet benutzen.