1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wettrüsten in Kroatien und Serbien

Nemanja Rujevic15. Januar 2016

Es ist von einem Wettrüsten auf dem Balkan die Rede: Kroatien möchte amerikanische Artilleriesysteme, Serbien einen russischen Abwehrkomplex. Im Hintergrund erkennen manche den geopolitischen Erzkonflikt.

https://p.dw.com/p/1He79
Kroatien Zagreb Militärparade (Foto: DW/Igor Lasic)
Militärparade in Zagreb im Sommer 2015Bild: DW/I. Lasic

Ein Kampf der Abkürzungen ist angesagt: M270 MLRS gegen S-300. Was wie ein Szenario für die neueste Folge von "Krieg der Sterne" klingt, ist eigentlich die Fortsetzung der nie beigelegten Gegnerschaft der beiden Balkanländer Kroatien und Serbien. Noch Mitte Oktober wollte das kroatische Verteidigungsministerium 16 mobile Artilleriesysteme aus amerikanischen Militärbeständen bekommen, was nicht ungewöhnlich wäre – schließlich beschenkt das Pentagon seine NATO-Partner regelmäßig mit Rüstungsequipment. Doch will Kroatien laut Medienberichten gleich auch ballistische Projektile für die Raketenwerfer bestellen, die eine Reichweite von 300 Kilometer haben. "Mächtige Waffen, die das militärische Gleichgewicht in der Region völlig ändern", triumphiert die auflagenstarke kroatische Zeitung Jutarnji list.

In Serbien fühlte man sich angesprochen. Die Kroaten besorgten die Waffen sicherlich nicht, um sie direkt in Museen auszustellen, bemerkte der serbische Regierungschef Aleksandar Vučić. Mit amerikanischen Launchern könne das Nachbarland theoretisch jeden Ort in Zentralserbien treffen. "Wir werden aber kein leichtes Ziel sein", sagte Vučić Anfang der Woche nach einem Treffen mit dem russischen Vizepremier Dmitri Rogosin in Belgrad. Passend zum aktuellen "Wettrüsten" stellte der Spitzenfunktionär des Kreml seinem Gastgeber den russischen Flugabwehrkomplex S-300 im Aussicht. Ein Model des S-300 überreichte Rogosin dem serbischen Premier vor laufenden Kameras. Seit den NATO-Luftangriffen gegen Serbien im Jahr 1999 genießt diese Waffe einen fast mythischen Ruf – alles wäre anders gewesen, hätte Russland damals das Abwehrsystem an die serbische Armee geliefert, so der Volksmund.

Keine Liebe unter Nachbarn

Der sogenannte Rüstungswettlauf zwischen den einstigen Kriegsgegnern Kroatien und Serbien sei eher possenhaft, meint Ljubodrag Stojadinović, der Militäranalytiker der Belgrader Tageszeitung Politika. "Hier werden verbale Projektile abgefeuert, obwohl die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts recht gering ist. Es geht bloß um eine Art psychologischen Balkankrieg", sagte Stojadinović der DW. Ähnlich analysiert der Zagreber Experte für Kriegssoziologie Ozren Žunec. Denn weder Kroatien noch Serbien hätten politische, wirtschaftliche, ethische oder andere Gründe, um ihre gegenseitige Beziehung zu verschlechtern. "Die möglichen Rüstungsgeschäfte werden von den Medien teilweise als Thema künstlich aufgebläht. Auch einige Politiker sehen die Möglichkeit, hier zu punkten", mahnt Žunec im DW-Gespräch.

Das Wettern gegen das jeweilige Nachbarland ist in Serbien und Kroatien eine erprobte politische Taktik, um sich die Stimmen der nationalgesinnten Wähler zu sichern. So mischte sich jüngst der serbische Außenminister Ivica Dačić sehr deutlich in die Debatte ein: "Wir respektieren euch Kroaten als Nachbarn, aber wir lieben euch nicht. Wir lieben euch genauso sehr, wie wir Papua-Neuguinea lieben." Auf die Antwort der anderen Seite musste er nicht lange warten: Der kroatische Verteidigungsminister Ante Kotromanović erinnerte daran, dass der serbische Minister Dačić und Premier Vučić in den Neunziger Jahren noch den Krieg befürwortet und angefeuert hatten. "Serbien denkt, der EU beitreten zu können und weiter mit Russland zu kooperieren? Wohl kaum!", drohte der kroatische Minister dem EU-Anwärter Serbien.

Kräftemessen zwischen USA und Russland?

Militärparade in Belgrad (Foto: REUTERS/Marko Djurica)
Militärparade in Belgrad im Oktober 2014Bild: Reuters/Marko Djurica

Manche Beobachter sehen in dem neu entflammten Streit auch tragikomische Züge: Da brüsten sich zwei bitterarme Balkanländer mit Hightech-Waffen der Weltmächte – obwohl nicht einmal sicher ist, dass diese Waffen überhaupt geliefert werden. Der kroatische Politologe Tomislav Jakić findet das gar nicht lustig, denn im Hintergrund erkennt er das geostrategische Kräftemessen zwischen den USA und Russland. "Das schadet Kroatien, Serbien und der gesamten Region. Die Akteure, die in beiden Staaten jetzt diesen Wettlauf starten, sollten sich der Konsequenzen bewusst sein", so Jakić gegenüber der DW.

Sicherheitsexperten schließen nicht aus, dass die USA eine Bewaffnung Kroatiens tatsächlich vollziehen werden, um damit auch das NATO-skeptische und russlandfreundliche Serbien zu bewegen, die euroatlantische Integration zu überdenken. Denn zurzeit stellt Serbien neben Bosnien und Herzegowina die einzige Lücke im NATO-Teppich auf dem Balkan dar: alle andere Länder sind entweder längst Mitglieder oder auf dem Weg in die Allianz. Im Westen vertraue man auf die Anziehungskraft der euroatlantischen Integration auf dem Balkan, sagt Ernst Reichel, der Beauftragte für Südosteuropa im Auswärtigen Amt, gegenüber der DW. Dabei sei Russland "nicht das zentrale Motiv" der Balkanpolitik. "Die Aufregung über die kroatischen Waffenkäufe wird relativ schnell vorbeigehen", glaubt Reichel. Ein bisschen politisches Drama müsse anscheinend auf dem Westbalkan immer sein.

Die Sachkundigen in Kroatien und Serbien machen sich kaum Illusionen, dass die ewige Streiterei zwischen den Politikern der beiden Länder bald aufhört, auch wenn der Rüstungswettlauf irgendwie beigelegt wird. Denn es gibt genug Evergreen-Themen, die in den letzten zwei Jahrzehnten immer wieder auftauchten: von der Deutungsschlacht über den Jugoslawien-Krieg über das Schicksal der Vermissten bis hin zu dem noch umstrittenen Verlauf der Grenze an der Donau. Und die lokale Medienlandschaft wartet nur auf Futter.

Raketensystem S-300 (Foto: ITAR -TASS / Dmitry Rogulin)
Auf dem Wünschzettel der serbischen Regierung: Russisches Raketensystem S-300Bild: picture-alliance/dpa/ITAR -TASS/Dmitry Rogulin