1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Sterben an der Ostsee

Jennifer Stange11. September 2012

Der Schiffbau gehört zum Leben der Küstenbewohner wie das Fischbrötchen. Doch erneut droht einer deutschen Werft das Aus. Das Werftensterben bedroht auch einen Teil der kulturellen Identität des Nordens.

https://p.dw.com/p/166B5
Die Scandlines-Fährschiffe «Copenhagen» (l) und «Berlin» liegenam Ausrüstungskai auf der P+S-Werft Standort Volkswerft Stralsund.(Foto: dpa)
P+S-Werft in StralsundBild: picture-alliance/dpa

Die Auftragsbücher der P+S Werft in Stralsund sind voll. Vier Fähren, fünf Eisbrecher-Containerschiffe und ein Offshore-Kranschiff stehen auf der Liste. Ob diese Schiffe jemals vom Stapel laufen werden, ist ungewiss. Die Werft mit ihren beiden Standorten in Stralsund und Wolgast an der Ostsee ist pleite. Im Sommer 2012 stellte der Geschäftsführer einen Insolvenzantrag.

Wer kurz danach über die Werft in Stralsund geht, für den scheint auf den ersten Blick alles ganz normal zu laufen. Überall auf dem riesigen Gelände am Strelasund zwischen dem Festland und der Insel Rügen sieht man Arbeiter mit gelben Schutzhelmen und blauen Jacken, obwohl ein Teil der Belegschaft im Zuge der Insolvenz derzeit gezwungen ist, Überstunden abzubummeln. Ihre Löhne kann die Werft ohnehin nicht mehr zahlen, für August wurden die Gehälter bereits aus dem Insolvenzgeld gezahlt, das die Agentur für Arbeit bis Oktober bereitstellt.

"Alles hängt an der Werft"

Jedes einzelne Teil, das hier verbaut wird, geht durch Mario Rassers Hände. Sein Großvater und sein Vater haben schon auf der Werft gearbeitet, das sei keine Besonderheit, erklärt der 26-Jährige, sondern Tradition. "Ganz Stralsund ist irgendwie verzweigt auf der Werft." Rasser arbeitet im Bereich Transport und Logistik, er kümmert sich darum, "dass jeder Kollege das Material bekommt, was er braucht" und zwar zur richtigen Zeit am richtigen Ort, erklärt er seinen Job.

Die beiden Fähren "Berlin" und "Copenhagen" liegen am Kai - unfertig. Die Reederei Scandlines hatte den Auftrag erteilt; eigentlich sollten sie schon im Frühsommer zwischen Rostock und dem dänischen Gedser durch die Ostsee pendeln. Die Verzögerungen bei der Auslieferung der beiden Schiffe hatten letztlich zu den Liquiditätsproblemen der P+S Werften geführt, die Insolvenz war die logische Folge.


"An den Leuten liegt es nicht"

Werft-Arbeiter gehen über das Gelände der Volkswerft in Stralsund. (Foto:dpa)
Gehen in eine ungewisse Zukunft: Werftarbeiter in StralsundBild: picture-alliance/dpa

Seit Jahren stecken die P+S Werften in finanziellen Schwierigkeiten. Die Probleme seien nicht zuletzt hausgemacht, meinen viele: Zu lange habe man am Bau klassischer Containerschiffe festgehalten und dann überstürzt in den Spezialschiffbau gewechselt. Land und Bund hatten im Mai Rettungsbeihilfen zur Unterstützung der Sanierungspläne der P+S Werften bewilligt. Nachdem aber bekannt wurde, dass die Werftensanierung deutlich teurer werden würde als ursprünglich geplant, wurde die Auszahlung der insgesamt 152 Millionen Euro gestoppt.

"Die können alle Schiffe bauen, an den Leuten hat's nicht gelegen", meint Guido Fröschke von der IG Metall Küste. Der Gewerkschafter sitzt als Bevollmächtigte für die Arbeitnehmer im Gläubigerausschuss. Hinter verschlossenen Türen wurde Ende vergangener Woche über den Verlauf des Insolvenzverfahrens und über mögliche Kaufinteressenten informiert. Bei der Gelegenheit legten auch die Gläubiger, Kunden, Banken, Zulieferer und das Land Mecklenburg-Vorpommern ihre Forderungen auf den Tisch. Die Belegschaft will mitentscheiden, wer der neue Betreiber wird. Vor allem soll es nicht wieder zulasten "des Portemonnaies der Kollegen" gehen. Laut Fröschke hat die Belegschaft der P+S Werft in den vergangenen drei Jahren auf Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie auf die Hälfte der vereinbarten Lohnerhöhungen verzichtet. Damit die Arbeitsplätze und Ausbildungsstellen erhalten bleiben und "die Leute hier eine Perspektive haben".

Die P+S-Werft in Wolgast (Foto:dpa)
Auch am Werften-Standort Wolgast geht die Angst umBild: picture-alliance/dpa

Überkapazitäten sind ein Problem

Doch das wird schwierig: In Mecklenburg-Vorpommern hat sich der Umsatz im Schiffbau zwischen 2008 und 2010 halbiert, entsprechend sind die Belegschaften weiter geschrumpft. Wenn weniger Güter gehandelt werden, bekommt das "der Seeverkehr als quasi Fließband des Welthandels unmittelbar zu spüren", erklärt Björn Swinarski von der Industrie- und Handelskammer in Rostock. Nach Zahlen der IHK leben noch etwa 12.000 Menschen in Mecklenburg-Vorpommern vom Schiffbau. Vor zehn Jahren waren es noch 40.000. Obwohl die Ernährungsindustrie die maritime Industrie mittlerweile als umsatzstärkste Branche im Nordosten Deutschlands abgelöst hat, glaubt auch Swinarski, das der Schiffbau in Deutschlands Nordosten nach wie vor gewissermaßen "systemrelevant" ist. "Das bedeutet einerseits, dass der Schiffbau im Land stark verankert ist und anderseits einen bedeutenden Teil der Wertschöpfung für die Wirtschaft des Landes erbringt."

Keine Abwrackprämie für Schiffe

Das hören die Schiffsbauer in Wolgast und Stralsund sicher gern. Und nicht nur dort. Denn eine ganze Branche droht offenbar auf Grund zu laufen. Die durch die weltweite Handelsflaute entstandenen Überkapazitäten auf See drücken das Preisniveau bei Charter- und Frachtraten. Deshalb ziehen sich die Banken aus Finanzierungen in der Schifffahrtsindustrie zurück. Den Reedern fehlt das Geld für Investitionen, prognostizierte eine Studie von der Unternehmensberatung PWC im Juni. Dies wiederum sorgt für Nachfrageeinbrüche und Auftragsstornierungen bei den Werften, die ohnehin mit staatlich subventionierter Konkurrenz aus Asien zu kämpfen haben. Ende August suchten Werften, Reeder und sonstige maritime Unternehmen Hilfe beim Staat. Der Reederverband VDR forderte sogar ein "staatliches Maßnahmenpaket". Auch das Bundeswirtschaftsministerium rechnet mit einer "Konsolidierung des Marktes". "Sonderfinanzierungsprogramme" werden aber ausgeschlossen, heißt es dazu lapidar in einer Pressemitteilung.

Dem vielzitierten "Werftensterben" und der "Schifffahrtskrise" zum Trotz glaubt Mario Rasser trotzdem an die Zukunft: "An der Küste, da gehört einfach 'ne Werft hin, da gehören Schiffe hin und da gehören Menschen hin, die diese Schiffe bauen."