Wer lebte beim Ringheiligtum Pömmelte?
2. April 2020Endlich können die Ausgrabungen beginnen: In unmittelbarer Nähe zum Ringheiligtum Pömmelte, südlich von Magdeburg, hatten Archäologen des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie gemeinsam mit der Uni Halle bereits bei den letzten beiden Grabungskampagnen zahlreiche Überreste einer Jahrtausende alten Siedlung gefunden.
Ab April soll diese Siedlung möglichst komplett freigelegt werden. Auf rund 29.000 Quadratmetern werde gegraben, erläutert Franziska Knoll, Archäologin am Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas der Universität Halle, gegenüber der Deutschen Welle. Auf dem Gebiet wurden bereits 37 Langhäuser gefunden und anhand der Grabungen "werden wir im Pfosten-Wirrwarr wahrscheinlich noch weitere Langhäuser identifizieren können", ist sich Franziska Knoll sicher.
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Von den Grabungen erhoffen sich die Forscher detaillierte Einblicke in das soziale und religiöse Umfeld der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer-Kultur (ca. 2300 - 1600 v.Chr.). Auch die weltberühmte Himmelsscheibe von Nebra rechnen Archäologen der Aunjetitzer-Kultur zu. Insgesamt ist dies eines der größten Siedlungsareale aus dieser Epoche in ganz Mitteleuropa.
Außerdem sollen weitere Gebäudegrundrisse an der knapp einen Kilometer vom Ringheiligtum entfernten Kreisgrabenanlage bei Schönebeck untersucht werden. Luftbildaufnahmen zeigten zudem eine 6000 Jahre alte Grabanlage aus der sogenannten Baalberger-Kultur südlich des Ringheiligtums.
Wer lebte in der Siedlung am Ringheiligtum?
Zahlreiche Funde belegen, dass die Anlage bei Pömmelte über 300 Jahre lang von verschiedenen Kulturen genutzt wurde. Errichtet wurde sie am Ende der Jungsteinzeit und bis in die Frühbronzezeit. Mit Sicherheit gab es mehrere Siedlungsphasen, denn die ältesten Hausgrundrisse sind der Glockenbecher-Kultur (ca. 2500-2050 v.Chr.) am Ende der Jungsteinzeit zuzuschreiben. "Wir haben tatsächlich Siedlungsnachweise von beiden Kulturen", so Knoll. Die Langhäuser und keramischen Funde zeigen sehr gut, wie sich die Aunjetitzer Kultur aus der Glockenbecher Kultur entwickelt hat.
Wie viele Menschen aber einst in der Siedlung lebten und was die Bewohner dort tatsächlich machten, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise kümmerten sie sich um das Heiligtum oder versorgten Besucher des Ringheiligtums bei Ritualen. Archäologische Funde aus dem englischen Durrington Walls im Stonehenge-Areal sprächen dafür, dass sich an solchen Anlagen kurzfristig Menschen aus einem überregionalen Einzugsgebiet trafen, so die Archäologin Franziska Knoll.
Naheliegender Vergleich mit Stonehenge
Der Blick zum weltberühmten Monument in Südengland ist durchaus nachvollziehbar, denn beide Ringheiligtümer - Stonehenge wie Pömmelte - wurden von Vertretern der Glockenbecher-Kultur vor über 4300 Jahren erbaut, also am Ende der Jungsteinzeit.
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Beide Anlagen haben einen sehr ähnlichen Grundriss, in beiden wurden astronomische Bezüge entdeckt, in Stonehenge zur Winter- und Sommersonnenwende, in Pömmelte zu den Mittviertelfesten Mitte Februar und Ende Oktober/Anfang November, wenn die Sonne in den zentralen Einlässen auf- bzw. unterging. Zwar fehlen in Pömmelte die tonnenschweren Steine, aber kulturhistorisch ist das Ringheiligtum Pömmelte südlich von Magdeburg durchaus mit Stonehenge vergleichbar.
Erst 2005/2006 war die ringförmige Anlage Pömmelte bei Luftaufnahmen entdeckt worden. Die komplexe Anlage besteht aus sieben Ringen aus Palisaden, Gräben und Wällen und hat einen äußeren Durchmesser von 115 Metern.
Eindrucksvolles Heiligtum
Um die Anlage erlebbar zu machen, wurde der ursprüngliche hölzerne Aufbau 2016 rekonstruiert. So lässt sich zumindest erahnen, welche imposante Wirkung dieses zentrale Heiligtum einst auf die Menschen gehabt haben mag.
"Das Heiligtum ist im Inneren nicht bebaut, da ist sehr viel Platz. Der eignet sich vorzüglich, um größere Menschenmengen zu versammeln. Auch die Akustik ist dort hervorragend, das macht natürlich auch was her", sagt Knoll.
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Die dort im Boden hervorragend erhaltenen Funde geben ungewöhnlich detaillierte Einblicke in die komplexen Rituale und Opferhandlungen der Jungsteinzeit und der frühen Bronzezeit. Im Kreisgraben wurden Opfergruben gefunden, in denen ebenfalls in drei zeitlich unterschiedlichen Phasen Scherben von Keramikgefäßen, Tierknochen, Steinbeile und Mahlsteine, aber auch menschliche Skelette deponiert wurden.
Vergleichbare Anlagen?
Beide Anlagen - Stonehenge wie Pömmelte - wurden in der Nähe von Flüssen errichtet, auch wenn der exakte Verlauf der alten Elbe vor 4000 Jahren erst noch archäologisch und hydrogeologisch ermittelt werden muss. "Die Bedeutung von Wasserwegen darf man verkehrsgeographisch auch für die prähistorischen Zeiten niemals unterschätzen", sagt Knoll.
Nach dem Fund der Kreisgrabenanlage Pömmelte, der Siedlung und eines großen Gräberfeldes mit Bestattungen aus beiden Kulturen wird der nächste Schritt sein, nach möglichen Wegen oder weiterer Infrastruktur zu suchen. Laut Knoll sei es durchaus denkbar, dass es "hier irgendwo im heutigen Nirgendwo einst eine mit dem Umfeld von Stonehenge vergleichbare sakrale Landschaft gab."
Enge Zusammenarbeit mit britischen Archäologen
Entsprechend arbeitet die Uni Halle eng mit Kollegen der Universität Southampton zusammen, die sich intensiv mit den Ausgrabungen rund um Stonehenge befassen. Beide Seiten profitierten sehr von dieser Zusammenarbeit, berichtet Knoll. Schließlich fielen die Henge-Anlagen ja alle mehr oder weniger in die gleiche Epoche.
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Während die britischen Forscher ihre langjährige Expertise vor allem bei der interdisziplinären Landschaftsarchäologie einbrächten, sei es für die britischen Archäologen sehr interessant, dass in Deutschland - im Gegensatz zu Großbritannien - große Flächen freigelegt werden, die ganz andere archäologische Einblicke zuließen, sagt Knoll. Außerdem gebe es rund um Stonehenge zwar sehr viele Gräber, nicht aber vergleichbare Siedlungen, wie sie jetzt in Pömmelte freigelegt werden.
Angesichts der Corona-Pandemie lässt sich derzeit allerdings noch nicht sagen, ob Studenten der Universität Southampton wie geplant ab Juli in Pömmelte mitgraben können.
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