Wer ist Jair Messias Bolsonaro?
6. Oktober 2018Für seine Anhänger ist Bolsonaro schlicht "o mito", ihr "mythischer Held", der verhindern soll, dass Brasiliens Fahne einmal rot und ihre Heimat ein zweites Kuba oder Venezuela werden könnte. Der eher auf Gesten denn auf Worte setzende Bolsonaro verdeutlicht dies gerne dadurch, dass er auf Puppen einschlägt, die Ex-Präsident Lula da Silva darstellen. Oder er spreizt seine Finger zu einem Revolver. Peng-peng, der linke Erzfeind wird abgeschossen.
Lange Zeit hat das Polit-Establishment den 63-jährigen Ex-Fallschirmjäger als Clown abgetan. Seit Anfang der 1990er-Jahre sitzt er im Parlament, ein typischer Hinterbänkler. Durch konstruktive Redebeiträge oder Gesetzesinitiativen fiel er nie auf, dafür durch unschöne Verbalattacken. Einer PT-Abgeordneten rief er zu, sie sei "so hässlich, dass sie es nicht einmal verdiene, vergewaltigt zu werden".
Mehrfach musste er sich vor Gericht verantworten, was ihn jedoch nicht bremste. Auch Homosexuelle attackiert er gerne, lieber einen toten als einen schwulen Sohn, sagte er einst. Er ist kein guter Redner, doch er kann böse austeilen.
Sein Votum für die Amtsenthebung der damaligen Präsidentin Dilma Rousseff (PT), die während der Diktatur (1964-85) brutal gefoltert wurde, widmete er im April 2016 dem Folterer Carlos Alberto Brilhante Ustra. Der quälte während der Herrschaft der Militärs rund 40 Oppositionelle zu Tode - und ist das große Vorbild für den Reservemilitär Bolsonaro. Auch dessen Fans feiern die Diktatur - was seien ein paar Hundert tote Oppositionelle gegen das derzeitige Chaos mit jährlich über 60.000 Ermordeten, fragen sie.
Beliebt trotz Widersprüchen
Schuld an der heutigen Misere und der grassierenden Korruption hätten Lula und die PT. Lange war der Ruf nach Lulas Verhaftung Bolsonaros zugkräftigstes Argument. Seit April sitzt Lula nun wegen Korruption und Geldwäsche hinter Gittern, am 1. September untersagte ihm das Oberste Wahlgericht die Kandidatur.
Gegen Lulas Vize Fernando Haddad hatte Bolsonaro ein leichtes Spiel. Der ehemalige Bildungsminister und Bürgermeister von São Paulo stieg für ihn in den Ring und holte im ersten Wahlgang am 6. Oktober 29 Prozent der Stimmen - eine herbe Niederlage gegenüber den 46 Prozent an Zustimmung für Bolsonaro.
Der Wahlsieg Bolsonaros erklärt sich nicht in erster Linie durch konkrete Regierungspläne, sondern vor allem durch die Ablehnung gegenüber der PT, die von 2003 bis 2016 das Land regierte. Bolsonaro räumte mehrfach öffentlich ein, er habe keine Ahnung von Wirtschaft, man möge doch bitte den liberalen Ökonomen Paulo Guedes fragen.
Der sogenannte "Chicago-Boy" soll sein Wirtschaftsminister werden. Die öffentlichen Schulen will Bolsonaro dem Militär unterstellen, der explodierenden Gewalt setzt er die Bewaffnung der "guten Bürger" entgegen. Polizisten sollen für jeden getöteten Banditen Prämien erhalten.
Auch traditionelle Familienwerte hält Bolsonaro hoch, obwohl er selbst zum dritten Mal verheiratet ist. Die Korruption in Politik und Wirtschaft will er bekämpfen - während seine drei Söhne, wie er, Berufspolitiker sind. Gemeinsam hat man Dank der Abgeordnetensaläre ein Millionenvermögen aufgebaut.
Vorbild Trump
Solche Widersprüche stören seine Fans nicht. Das erinnert an sein Vorbild, US-Präsident Donald Trump. Doch Bolsonaro ist kein politisches Alpha-Männchen wie der "Selfmade-Milliardär" Trump oder Russlands Wladimir Putin. Wird er nach seinen rassistischen, homophoben oder frauenfeindlichen Äußerungen gefragt, rudert er zurück. Alles nur ein "Scherz", ein Missverständnis, sagt er dann unschuldig.
Viele seiner Kritiker halten Bolsonaro für "dumm", sein Wissen habe er wohl aus Comic-Heften. Der Sklavenhandel sei einst nicht von den Portugiesen, sondern den Afrikanern selbst betrieben worden, sagte er zuletzt.
Auch sein Vize, der Reservegeneral Antonio Hamilton Martins Mourão (64), liebt Derartiges: Bereits 2017 hatte er offen mit einem Putsch der Militärs gedroht. "Wir haben die Trägheit von der indigenen Kultur geerbt, während die Trickserei vom Afrikaner kommt", sagte Mourão nun. Während Menschenrechtler protestieren, jubelten Bolsonaros Anhänger in den Sozialen Medien.
Reale Chancen auf die Macht?
Die Kampagne Jair Bolsonaro lässt sich nicht mit herkömmlichen Wahlkämpfen vergleichen. Weil seine Partei PSL nur über wenige Sitze im brasilianischen Kongress verfügt, bekam er keine öffentlichen Wahlkampfgelder und keine Sendezeit für TV-Spots. Doch ein Attentat eines offenbar geistig Verwirrten mit einem Messer am 6. September veränderte alles. Bolsonaro überlebte und koordinierte den Wahlkampf vom Krankenhaus aus - hauptsächlich über die sozialen Medien.
Aus der Wirtschaft kam bereits Zustimmung zu Paulo Guedes' Plänen zur Privatisierung und Verschlankung des Staates. Man sollte Bolsonaro daher nicht unterschätzen oder hoffen, dass im schlimmsten Fall der Kongress einen zu radikalen Präsidenten Bolsonaro ausbremsen würde. Denn auch dort gefallen seine Ideen. Auf die Repräsentanten des Agro-Business, der Waffenlobby sowie die ultra-religiösen Kräfte kann er zählen. B wie "Boi" (Rind), wie "Bala" (Kugel) und "Bíblia" (Bibel) - die mächtige "BBB-Fraktion" war schon maßgeblich am Sturz Dilma Rousseffs beteiligt. Gegen sie ist das Regieren nahezu unmöglich. Mit ihnen aber könnte Bolsonaro seine Ideen verwirklichen.