Wer gewinnt den Eurovision Song Contest?
9. Mai 2014Die Show muss weitergehen, Ukraine-Krise hin oder her. Dem Chef des Eurovision Song Contests ist der Ernst der Lage bewusst. Dennoch sagte Jon Ola Sand in Kopenhagen, er hoffe auf eine gute Performance sowohl Russlands als auch der Ukraine. Die beiden Länder haben in einem direkten Duell im ersten Halbfinale einen guten Auftritt absolviert und - im Vergleich zu den Proben - richtig Gas gegeben.
Doch als der Einzug der russischen Zwillinge Anastasia und Maria Tolmachevy ins Finale verkündet wurde, hatte der ESC 2014 seinen ersten Skandal, der nicht zu überhören war: Buhrufe aus dem Publikum. Am Auftritt der 17-Jährigen dürfte es nicht gelegen haben. Eher schon an der Rolle Russlands im Konflikt in der Ukraine oder an den Gesetzen gegen "Propaganda für Homosexualität".
Eurovision "Turn-Contest"
Es ist erstaunlich, was manche - vor allem osteuropäische Länder - auf die Bühne zaubern, um eine möglichst effektvolle Show abzuliefern. Bei den Russen ist es eine große Schaukel, bei der Ukrainerin Mariya Yaremchuk eine Art Rhönrad. Die Aserbeidschanerin Dilara Kazimova schickte diesmal ihr Alter Ego auf ein Trapez. Letztes Jahr sperrte der aserbaidschanische Künstler sein "zweites Ich" in einen Container aus Plexiglas.
Aber nachdem auch die Griechen Freaky Fortune und Risky Kidd im zweiten Halbfinale anfingen, auf einem Trampolin zu hüpfen, wurde der diesjährige Eurovision Song Contest endgültig zum Turnfest. Die ultimative Dancenummer "Rise Up" sorgt für volle Tanzflächen in den ESC-Clubs in Kopenhagen. Auch viele Journalisten im Pressezentrum lassen sich anstecken und reißen ihre Hände in die Höhe.
Drei Prinzessinnen und eine bärtige Queen
Auf Effekthascherei haben die drei Mädchen von Elaiza bewusst verzichtet. Wenn die Mädchen durch ihre aufgeschlossene Art auf der Bühne und ihre Präsenz am Samstagabend überzeugen können, sind sicher auch Punkte aus Osteuropa bei der Abstimmung drin. Aber wer mit Punkten aus homophoben Ländern des Kontinents wohl kaum rechnen kann, ist Conchita Wurst. "Queen of Austria" hat der dänische ESC-Moderator Pilou Asbaek sie genannt. Dass Conchita alias Travestie-Künstler Tom Neuwirth es zu einer neuen Sissy schafft, ist eher unwahrscheinlich, weil sie auch die Menschen in ihrer Heimat polarisiert.
Unumstritten ist aber der Starstatus von Conchita, den sie beim diesjährigen ESC in Kopenhagen genießt. Schade nur, dass meistens über ihren Vollbart berichtet wird. Mit einer kräftigen Stimme singt Conchita die gefühlvolle Ballade "Rise like a Phoenix", die einen James Bond-Film durchaus schmücken könnte.
Kraftpakte aus Skandinavien
"Schweden hat in diesem Jahr auf traditionelle Werte gesetzt: blond und balladig", urteilt ESC-Kommentator Peter Urban über die "schwedische Helene Fischer". "Undo" heißt ihr Lied, das simpel klingt, aber - wie ein ABBA-Hit – eher schwierig zu singen ist. Diese Aufgabe meistert Sanne Nielsen mit Bravour.
Gut im Rennen ist auch Sänger Basim für die dänischen Gastgeber. Ein zweiter Sieg für ein Land in Folge wäre nicht ungewöhnlich beim ESC, aber ein solches Ereignis liegt weit zurück - in einer Zeit, als die Anzahl der Teilnehmer noch überschaubar war. Dänemark ist dennoch voller Hoffnung. Die Absperrungen jedenfalls auf dem Kongens Nytorv, dem größten Platz in der Kopenhagener Innenstadt, sind mit dem Refrain aus Basims flottem "Cliché Love Song" beschriftet.
Dubstep-Power aus Armenien und Ungarn
Zwei Länder aus dem diesjährigen Favoritenkreis haben noch nie beim ESC gewonnen: Armenien und Ungarn. "Not alone" - ein Lied, das ohne Refrain auskommt, kommt aber bei jungen Menschen gut an. Vor dem Beginn des Wettbewerbs in Kopenhagen haben die Buchmacher Aram Mp3 den Sieg prophezeit. An seiner Favoritenrolle kratzte er selbst mit seiner schwachen Performance im Halbfinale.
Mit modernem Dubstep-Sound hat der 29-jährige ungarische Re-Import András Kállay-Saunders ein ernstes Thema unterlegt: In "Running" geht es um Kindesmissbrauch. Der in den USA aufgewachsene Sohn eines ungarischen Models und eines amerikanischen Musikers überzeugt stimmlich und in einfachem schwarzen T-Shirt über durchtrainiertem Körper. Auch die Choreographie der beiden Tänzer schafft es, nicht ganz ins Kitschige abzudriften.
Die Musik kenne keine Grenzen, auch inhaltlich nicht, sagte András in Kopenhagen. Ein so sensibles Thema wie Kindesmissbrauch ist ein Novum für den Eurovision Song Contest, dessen Organisatoren stets behaupten, der Wettbewerb sei unpolitisch. Ukraine-Krise hin oder her.