Quintana: "Will auch Nordkorea zuhören"
9. August 2016Deutsche Welle: Was ist für Sie die größte Herausforderung ihres neuen Amtes?
Tomas Ojea Quintana: Ich fühle mich geehrt, dass mir die UN diese große Verantwortung übertragen hat, eine Verantwortung, die das Leben von Millionen von Menschen – Männern, Frauen und Kindern – in einem Land berührt, das Teil der Vereinten Nationen ist und das die Menschenrechte einhalten und schützen sollte.
Die internationale Gemeinschaft schaut mehr denn je auf die Menschenrechtssituation in Nordkorea. Ich habe das Gefühl, dass etwas passieren muss. Meine Herausforderung besteht darin, etwas in dieser Richtung beizutragen: die Menschenrechtslage in Nordkorea konkret zu verbessern und den Menschen Hoffnung zu machen.
Was möchten Sie persönlich erreichen?
Ich würde sagen, dass es bei der Position des UN-Sonderberichterstatters keine Grenze zwischen dem Persönlichen und Beruflichen gibt. Ich möchte Teil eines Prozesses sein, bei dem alle Menschen - egal, wer sie sind und wo sie leben - die Möglichkeit haben, nach ihrem Glauben zu leben, ohne Diskriminierung, frei von Verfolgung und wirtschaftlichen oder sozialen Einschränkungen. Das ist ein Ideal, aber ich finde, dass wir danach streben sollten.
Allerdings müssen wir realistisch sein. Laut Berichten der Vereinten Nationen ist die Lage in Nordkorea sehr schwierig und äußerst komplex, wenn es darum geht, Lösungen zu finden. Erfolge lassen sich deshalb kaum vorhersagen.
Ein Bereich der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen sind Haftbedingungen in Nordkorea und Bemühungen um eine schrittweise Entlassung derjenigen, die willkürlich aus politischen Gründen inhaftiert wurden. Auch der Zugang zu Nahrung und medizinische Versorgung sowie die Situation der Frauen und Kinder könnte durch solche gemeinsamen Anstrengungen verbessert werden.
Ganz oben auf der Tagesordnung der UN steht jetzt das Bemühen, die nordkoreanische Führung zur Verantwortung (für Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land – Anmerk. d. Red.) zu ziehen. Dies vor allem nach den entsprechenden Forderungen meiner Amtsvorgänger und aufgrund des Berichts der UN-Untersuchungskommission zur Menschenrechtssituation Nordkorea.
Ich bin aus Argentinien, einem Land, das in vorbildlicher Weise sein Militär wegen vergangener Verbrechen gegen die Menschlichkeit juristisch zur Verantwortung zieht. Insofern ist mir sehr bewusst, wie wichtig es ist, nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu streben, um eine Wiederholung (solcher Verbrechen – Anmerk. d. Red.) zu vermeiden und eine demokratische Gesellschaft mit Respekt vor den Menschenrechten aufzubauen. Die internationale Gemeinschaft konfrontiert die nordkoreanische Führung mit diesen Werten. Dies ist der Weg, den wir einschlagen sollten.
Kein Mitarbeiter der Vereinten Nationen durfte während der Amtszeit Ihres Vorgängers Marzuki Darusman nach Nordkorea einreisen. Warum sollte sich das mit Ihnen im Amt ändern?
Nicht nur Marzuki, auch seinem Vorgänger Vitit Muntarbhorn war die Einreise nach Nordkorea verwehrt. Aber vergessen Sie nicht, dass einige UN-Einrichtungen im Land arbeiten, darunter UNDP, UNICEF, FAO, UNFPA, WFP und WHO.
Aus meiner Sicht ist die Frage nicht, ob es jetzt einen Unterschied gibt. Entscheidend ist vielmehr, aufmerksam zu sein und jede sich bietende Möglichkeit zu ergreifen, die Dialog und Zusammenarbeit erlaubt. Für den Anfang würde ich gerne eine offene Haltung der Verantwortlichen sehen. Ich bin weder blind für die verschiedenen durchgeführten Strategien der letzen Jahre und deren Ergebnisse, noch für die Haltung und Manöver Nordkoreas. Das sind einfach nur notwendige Schritte. Aus der sich daraus entwickelnden Dynamik werden sich die richtigen Strategien allmählich ergeben.
Wie wollen Sie Nordkorea zu einer Zusammenarbeit mit den UN bewegen? Welche Mittel hat die UN, um die andere Seite zu überzeugen, dass eine Zusammenarbeit auch zu ihrem Vorteil wäre?
Auf der offiziellen Ebene werde ich mich an die nordkoreanischen UN-Vertreter in Genf wenden, um eine Zusammenarbeit vorzuschlagen und Bereitschaft zum Zuhören zu bekunden. Gleichzeitigt haben die Bemühungen der UN um eine Zusammenarbeit kollektiven Charakter und umfassen Handlungen von verschiedenen Interessenvertretern. China zum Beispiel verfolgt, wie allgemein bekannt, sowohl Interessen der UN als auch seine eigenen. Aber auch viele (UN-Mitglieder) aus andere Regionen tragen Verantwortung und können sich einbringen.
Die Verhängung von Sanktionen, ihre Umsetzung und die gesamten Auswirkungen müssen sorgfältig beobachtet werden. Jeder negative Einfluss auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung sollte vermieden werden.
Sie übernehmen Ihr neues Amt vor dem Hintergrund einer Serie von Provokationen durch Nordkorea und steigender Spannungen auf der koreanischen Halbinsel. Inwieweit wirkt sich diese Situation auf die Arbeit der wenigen internationalen Organisationen aus, die noch in dem Land tätig sind?
Internationale Organisationen, vor allem die UN-Einrichtungen, die für Menschen in den am meisten gefährdeten Gebieten arbeiten, verdienen meinen ganzen Respekt und meine Hochachtung. Humanitäre Arbeit und die Arbeit für Menschenrechte haben gemeinsame Ziele.
Die Präsenz der UN in Nordkorea wird gebraucht. Sie könnte ihr Engagement sogar mit dem kürzlich veröffentlichten wirtschaftlichen Fünfjahresplan der Regierung koordinieren und abstimmen. Wenn sich die Menschenrechtslage verschlechtert, erfordert dies aus meiner Sicht mehr Präsenz der UN.
Die Bevölkerung sollte nicht unter der Last des Krieges leiden und sie sollte unter allen Umständen davor geschützt werden. Wir müssen die Situation (auf der koreanischen Halbinsel – Anmerk. d. Red.) genau beobachten. Es ist nicht nötig extra zu betonen, dass es eine direkte Verbindung zwischen Frieden und Beachtung der Menschenrechte gibt, zwei der Hauptziele in der UN-Charta.
Haben Sie zur Vorbereitung auf Ihr neues Amt mit nordkoreanischen Überläufern gesprochen?
Vor meiner Ernennung habe ich, aus Gründen der Objektivität, mit niemandem aus Nordkorea oder Südkorea gesprochen. Ich habe mich intensiv mit den relevanten Dokumenten beschäftigt, zunächst mit den Berichten meiner Vorgänger und der Untersuchungskommission und dann mit Berichten von zivilgesellschaftlichen Organisationen und der nordkoreanischen Regierung. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne die wichtige Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen für die UN-Sonderberichterstatter würdigen. Sie sorgen mit dafür, dass die Menschenrechte überall auf der Welt eine hohe Priorität auf der UN-Agenda erhalten. Das wird jetzt auch besonders in Bezug auf Nordkorea deutlich.
Die Literatur über die Menschenrechte in Nordkorea ist umfangreich und sie beschreibt die Situation der Menschen als wahrlich schmerzhaft. Die sogenannten "Überläufer" haben ihre Geschichten vielfältig öffentlich gemacht, was auch in die UN-Untersuchungen eingeflossen ist. Ich werde mich auf solche Berichte stützen und gleichzeitig eigene Gespräche mit den Menschen führen. Und wenn möglich, werde ich auch den nordkoreanischen Behörden zuhören.