Schlämmer in Amerika
8. September 2009Ein ganz normaler Abend in Washington D.C. Ich stehe in der Küche, rühre Plätzchenteig an. Im Radio läuft meine Lieblingssendung, die sich mit Politik rund um den Globus beschäftigt. Plötzlich fällt ein Satz, der mich aufhorchen lässt: "Es gibt nicht viele aufregende Gestalten in der deutschen Politik".
Nicht dass ich jetzt beleidigt wäre. Es überrascht mich bloß, im amerikanischen Radio die Worte "deutsche Politik" zu hören. Deutschland ist in den Medien hierzulande nicht gerade präsent. Ausnahmsweise ist das momentan anders, wegen des umstrittenen, von der Bundeswehr angeforderten NATO-Luftangriffs in Afghanistan. Aber sonst ist Berichterstattung über Deutschland eine Seltenheit. Und nun geht es sogar um Innenpolitik! Ich bin verblüfft.
Ekelerregende Grunzatmung
Mein Erstaunen wird umso größer, als sich herausstellt, wen Moderator Marco Werman jetzt interviewt. Es handelt sich um Horst Schlämmer, jenen nuschelnden, ungepflegten, Trenchcoat tragenden, distanzlosen - und fiktiven - Politiker und Chefredakteur aus Grevenbroich, der angeblich zur Bundestagswahl antritt.
Schlämmer kann nicht besonders gut Englisch, und seine charakteristische Grunzatmung klingt im Radio besonders ekelerregend. Aber Moderator Werman bleibt ganz professionell. Er lässt Schlämmer von seinen Plänen für das neue Wappentier, den "Bundeshasen", erzählen und von seinem politischen Konzept, "konservativ, liberal und links" zu sein.
Moment mal. Denkt Werman etwa, Schlämmer sei wirklich ein ernsthafter Kandidat für das Amt des Bundeskanzlers? Hat er einfach den Witz nicht verstanden?
18 Prozent für Horst Schlämmer?
Nach zweieinhalb Minuten bin ich dann doch erleichtert. Werman löst die Sache auf und erklärt dem Publikum, dass Horst Schlämmer eine Figur des Komikers Hape Kerkeling ist. Der bestreitet den Rest des Interviews in exzellentem Englisch und gibt eine Einschätzung zum deutschen Bundestagswahlkampf ab. Der sei, so Kerkeling, ziemlich langweilig. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass sich laut einer Umfrage des "Forsa"-Instituts 18 Prozent der Deutschen vorstellen können, Horst Schlämmer zu wählen.
Ist Hape Kerkeling damit selbst in den USA zum Experten geworden? Hat Moderator Werman ihn extra einfliegen lassen, damit er den Wahlkampf erklärt?
Hape Kerkeling - "I’m off then"
Wohl kaum. Kerkeling ist derzeit sowieso in den USA unterwegs - aber eigentlich nicht als Horst Schlämmer. Vielmehr stellt er sein Selbsterfahrungsbuch "Ich bin dann mal weg" vor, das von seiner Reise entlang des Jakobswegs handelt und im Juni unter dem Titel "I’m off then" auf Englisch erschienen ist.
Dass er im Radio als Horst Schlämmer aufgetaucht ist, und dass auch die weltberühmte "New York Times" dem fiktiven Politiker einen Artikel widmete, sollte uns aber viel mehr freuen als Kerkelings Buchpräsentationen. Denn die mediale Präsenz von Horst Schlämmer könnte den Zuhörern und Lesern beweisen, dass es diese eine Sache doch gibt, deren Existenz die meisten Amerikaner anzweifeln: deutschen Humor.
Autorin: Christina Neuhaus
Redaktion: Hartmut Lüning