Wenn der Berg Corona heißt
20. März 2020"Unser Wohnzimmer ist zum Trainingszentrum geworden. Überall liegen Matten und andere Utensilien herum", sagt Ralf Dujmovits, der bisher einzige deutsche Bergsteiger, der alle 14 Achttausender bestiegen hat. "Wir haben unser Kraft- und Gymnastikprogramm hochgefahren." Der Profibergsteiger und seine Frau, die kanadische Kletterin Nancy Hansen, versuchen, sich daheim in Bühl am Rande des Schwarzwalds fit zu halten.
An der privaten kleinen Kletterwand im Keller haben sie die Griffe umgeschraubt und so neue Mini-Routen kreiert. Die Muskeln, die beim Klettern besonders beansprucht werden, sollen sich schließlich nicht wegen Inaktivität zurückbilden. Auf die sonst üblichen Laufeinheiten im Freien verzichten die beiden vorläufig. "Für uns gilt absolut Abstand halten", sagt Dujmovits der DW. "Alle zwei Tage gönnen wir uns eine Ausfahrt mit dem Mountainbike auf entlegenen Strecken, wo wir niemanden treffen."
Zuhause wird Basislager
An neue Bergprojekte ist für den 58-Jährigen angesichts der Coronavirus-Pandemie vorerst nicht zu denken. Fast allen Profi-Bergsteigern weltweit geht es wie Dujmovits: Die geplanten Expeditionen wurden abgesagt, alle Pläne liegen auf Eis. Die Outdoorsportler, die sonst ständig in den Bergen unterwegs sind und ihr Zuhause meist nur auf der Durchreise erleben, verbringen plötzlich viel Zeit in den eigenen vier Wänden.
Der deutsche Top-Kletterer Thomas Huber fühlt sich dabei an das Leben im Basislager erinnert. "Es sind schwierige Zeiten für uns alle und es fühlt sich für mich so, als wären wir alle gerade auf einer schwierigen Expedition: Das Leben im Basislager ist simpel und minimalistisch, und man hat die vielen Entbehrungen zu akzeptieren", schreibt der 53-Jährige aus Berchtesgaden auf Facebook. "Aber es gibt eine gute Seite: Alles entschleunigt, ziemlich schnell erkennt man, was wirklich wichtig im Leben ist, man hat endlich viel Zeit, und man hört die Stille."
Huber fordert "Geduld, Besonnenheit und Verantwortung" ein, um die Corona-Krise zu bewältigen: "Am Ende werden wir nur erfolgreich sein, nur wenn wir eine mutige Gemeinschaft bilden. Ich hoffe für uns alle, dass wir den Gipfel in naher Zukunft erreichen werden. Dann werden wir alle die Geschichten noch lange erzählen, als die ganze Welt zusammen auf einer großen Expedition war."
Fitnesskurs via Instagram
Einige Bergsteiger-Profis teilen wie Huber ihre Gedanken über die sozialen Netzwerke. Andere versuchen, "die Menschen, die nicht raus können, zu unterhalten", wie es Ralf Dujmovits formuliert. Er veröffentlicht auf Instagram Panoramabilder seiner vielen Expeditionen in alle Welt. Der Spanier Kilian Jornet, der mit Speed-Besteigungen der höchsten Berge der Welt für Furore sorgte, stellte seine sonst kostenpflichtigen Filme kostenfrei ins Netz.
Die Südtiroler Spitzenbergsteigerin Tamara Lunger lädt auf Instagram unter dem Hashtag #sportividacasa (Heimvideosport) zu knapp halbstündigen Trainingseinheiten. Die 33-Jährige, die auf den Gipfeln der Achttausender Lhotse und K2 stand, hat ihre Aktion unter das Motto gestellt: "Bleibt zu Hause! Obwohl getrennt, werden wir gemeinsam auch diesen Berg besteigen."
Jeder Tag zählt
Für den Italiener Carlalberto, genannt "Cala", Cimenti ist die Lebensgefahr, die von diesem Berg ausgeht, greifbar. Der Bergsteiger aus Turin, der im Sommer 2019 in Pakistan den Achttausender Nanga Parbat bestieg und mit Skiern abfuhr, wurde positiv auf das Coronavirus getestet. Zudem wurde eine Lungenentzündung diagnostiziert. Die Ärzte im Krankenhaus schickten ihn dennoch nach Hause - mit Medikamenten und dem Ratschlag anzurufen, wenn es schlimmer werde.
"Mein Ziel ist es jetzt nicht, den Gipfel eines Bergs zu erreichen, sondern den nächsten Tag im gleichen Zustand oder vielleicht sogar in einem etwas besseren", schrieb der 44-Jährige am Mittwoch auf Facebook. "Wie auch immer, heute ist mein achter Krankheitstag, und ich bin immer noch da! Ich gebe nicht auf!"
Wer häufig auf Expeditionen unterwegs gewesen sei, habe nicht nur Durchhaltevermögen gelernt, sondern auch Geduld, sagt Ralf Dujmovits. So habe er selbst 2009 am Achttausender Lhotse in Nepal drei Wochen lang im Basislager das schlechte Wetter ausgesessen. Auch im notorisch regnerischen Patagonien in Südamerika sei er wochenlang zur Tatenlosigkeit verdammt gewesen. "Wir haben uns schon in Geduld geübt", sagt der Bergsteiger. "Wir wissen, dass auch das größte Dreckswetter und die größten Probleme irgendwann vorbeigehen. Da lernt man, gelassen zu bleiben."