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Streitpunkt Corona-Maßnahmen

Anne Höhn
25. Februar 2021

Der Streit über die Corona-Maßnahmen spaltet enge Freunde, Arbeitskollegen und Familienmitglieder. Manchmal bleibt nur der schmerzhafte Kontaktabbruch. Was kann man tun, um den Graben zu schließen?

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Streitendes Paar
Bild: Colourbox

Die Schwester

Der endgültige Bruch wird von einem einfachen Satz verursacht: "An Corona sind mehr Menschen verblödet als gestorben." Das schreibt im September 2020 die jüngere Schwester von Frau Brooren in ihre Statusmeldung auf WhatsApp. Frau Brooren lebt in Düsseldorf, ihre Schwester in der Schweiz. Die beiden haben "keinen wahnsinnig engen, aber eben einen schwesterlichen Umgang", erzählt Brooren am Telefon. Dass man bei einer Meinungsverschiedenheit nicht gleich den Kontakt abbrechen würde, schien außer Frage.

Die Corona-Pandemie verändert das. "Meine Schwester hat von Anfang an die Existenz des Coronavirus geleugnet. Schon, oder sogar noch, als in Bergamo die Armee die Leichen der Corona-Toten in LKWs abtransportiert hat, weil es so viele waren", berichtet Brooren. Die Ratlosigkeit über das Verhalten ihrer Schwester hört man ihr noch heute an: "Sie wollte mir nie sagen, warum sie so denkt. Sie hat sich auf keine Diskussion eingelassen." Die beiden meiden das Thema.

Dann erscheint der oben genannte Satz in der Statusmeldung. Den kann Frau Brooren so nicht hinnehmen. "Warum beleidigst du Andersdenkende?" schreibt sie ihrer Schwester auf WhatsApp - die daraufhin den Kontakt abbricht.

Ein halbes Jahr ist das her, die Schwestern haben seither nicht miteinander gesprochen. "Ich habe auch ehrlich gesagt gerade keine besondere Lust mehr, auf sie zuzugehen. Ich habe mich jetzt für den Moment damit abgefunden", schließt Frau Brooren - sie klingt resigniert.

Symbolbild Streitende Menschen
Nicht selten führen die Lockdown-Maßnahmen zu Streit - auch zwischen FreundenBild: Frank Hoermann/Sven Simon/imago images

Der beste Freund 

Für Marie ist es hart, ihren besten Freund nicht zu sehen, nichts von ihm zu hören. Marie heißt eigentlich anders, aber sie will ihren echten Namen und den ihres besten Freundes anonym halten. Sie hofft, dass die Beziehung sich vielleicht künftig wieder einrenkt.

"Ich vermisse ihn, wir haben uns vor dem Kontaktabbruch drei oder vier Mal die Woche gesehen, haben jeden Tag gesprochen." Vor zwei Monaten habe sie ihn "verloren", wie Marie es nennt. Verloren an einen Verschwörungsglauben, den sie nicht teilt.

Marie beschreibt ihren engsten Freund als jemanden, der dem Staat und der Bundesregierung skeptisch gegenübersteht. Während der Corona-Pandemie wird diese Skepsis immer stärker. Marie teilt nicht alle seiner Einstellungen, trotzdem können die beiden stets miteinander reden. Bis zum November 2020.

Da hat Marie eine Phase, in der sie sich niedergeschlagen fühlt. Der Winter, die Dunkelheit und der zweite Lockdown des Jahres 2020 lasten auf ihr. Als sie ihren Freund anruft, hofft sie auf Unterstützung. Doch er reagiert anders als sonst.

"Das ist deine Schuld, wenn du dich von einem Fake so runterziehen lässt, du solltest dein Leben so leben wie vorher", zitiert Marie aus dem Telefonat mit ihm. Er behauptet, Corona gebe es nicht und sei tatsächlich ein Manöver der Bundesregierung.

"Ich habe gemerkt, damit kann ich nicht umgehen", sagt Marie. Das schreibt sie ihm auch. Und, dass sie deshalb erst einmal keinen Kontakt möchte. Seine Antwort darauf kommt prompt: "Nicht alle erreicht die Wahrheit im selben Tempo."

Der Arbeitskollege

Esther Waßmuth ist Krankenschwester, N. ist Krankenpfleger. N.s vollen Namen nennt Esther nicht, er weiß nicht, dass sie uns von der Freundschaft erzählt. Die beiden lernen sich 2005 beim Auslandseinsatz einer Hilfsorganisation in Pakistan kennen. Sie bleiben danach in Kontakt, in den folgenden Jahren arbeiten sie immer wieder zusammen in Extremsituationen. 

Demonstration «Querdenken» in Leipzig
"Querdenker"-Demo in Leipzig: Corona spaltet die Gesellschaft - und zerstört FreundschaftenBild: Sebastian Kahnert/dpa/picture alliance

"Beim Erdbeben ist unsere medizinische Ambulanz eingekracht, das Dach. Kurz bevor wir im Gebäude waren", erinnert sich Esther. "Wir haben zusammen gebibbert, geheult und auch gelacht. Gebetet, dass wir gesund und unversehrt bleiben."

N. bleibt nach einem weiteren Hilfseinsatz in Pakistan, baut dort mit Spendengeldern eine Schule auf. Über Facebook tauschen er und Esther sich regelmäßig aus.

Mit Beginn der Corona-Pandemie postet N. wie hart Corona manche armen Familien in Pakistan treffe und dass weniger Hilfsgüter ankämen. Es folgen immer mehr Posts, die Esther aufhorchen lassen. Dinge wie: "Die Bundesregierung hat nachweislich bei Corona gelogen", oder, "Erkenne den Unterschied zwischen einer Pandemie und einer Fake-Pandemie". N. lebt noch immer in Pakistan, über die Corona-Pandemie informiert er sich vor allem über Youtube. "Weniger Mainstream-Medien gucken hilft", rät er auch Esther. 

"Wäre es ein Kumpel aus meinem Umfeld hier würde ich vielleicht sagen "Ey, spinnst du?!". Und vielleicht wären wir anschließend keine Freunde mehr. Aber hier ist das anders", erzählt sie. Man spürt, dass sie N. nicht verlieren will. Daher geht sie nicht "auf jeden aberwitzigen Vergleich wie zum Beispiel zwischen Schutzmasken und dem Hitlergruß ein", sondern nur auf das, was sie klar als falsche Information offenlegen kann. N.s Haltung ändert das nicht, doch Esther will nicht aufgeben - noch nicht.

Was tun, wenn jemand abdriftet?

Alle drei Fälle ähneln denen, die die Berliner Initiative "Der goldene Aluhut" tagtäglich auf den Tisch bekommt. Die Menschen hinter der Initiative beraten Menschen, die Angehörige oder Freunde an Verschwörungsideologien verloren haben oder sie zu verlieren drohen. Sie werden immer wieder gefragt: Was kann ich tun, damit die andere Person wieder zurückfindet? 

"Ich wünschte, es gäbe ein Patentrezept. Von wegen: Machen Sie mal das, drehen Sie mal hier an der Kurbel und drücken Sie den Knopf. Das leider nicht der Fall", erklärt Mirko Bode von "Der Goldene Aluhut". "Das sind mal höchst individuelle Anfragen, weil auch der Background, den die Leute oder diese Angehörigen haben, immer ein ganz anderer ist." Bode berichtet von Menschen, die Zeit und Geld investiert haben, im schlimmsten Fall haben sie einen Job verloren oder eine Ehe kaputt gemacht.

Manchmal helfe es nur, auf Abstand zu gehen, um sich selbst zu schützen. Um jemanden 'zurückzuholen' müsse erst einmal eine Voraussetzung erfüllt sein, erklärt Bode: "Das ist so ein bisschen wie bei einem Alkoholiker - wenn der merkt, er hat ein Problem, erst dann kann man versuchen, ihm zu helfen. Und das ist ähnlich bei Verschwörungsgläubigen. Erstmal ist es wichtig, ihm ein Umfeld zu geben, das ihm auch verzeiht. Dann ist es wichtig, der Person auch das Gefühl zu geben, dass Irren menschlich ist." Von dort aus fänden manche geliebte Menschen wieder zusammen.