NATO unter Sparzwang
21. Juni 2010NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen will die allgemeinen Sparzwänge für eine größere Umstrukturierung nutzen. Die Bürokratie soll verkleinert werden, aber nicht auf Kosten der Einsatzfähigkeit. "Fett wegschneiden und Muskeln aufbauen", so nannte er das bei einer Diskussionsveranstaltung in Brüssel. Doch bei einer ganzen Reihe von Verbündeten glaubt Rasmussen, dass sie eher Muskelschwund zulassen. "Vor allem die europäischen Mitglieder müssen der Versuchung widerstehen, die Wirtschaftskrise als Ausrede zu benutzen. Die transatlantische Lücke in den Verteidigungsausgaben darf nicht noch größer werden."
Schon jetzt geben die USA ein Mehrfaches von dem pro Soldat aus, was die meisten Europäer ausgeben. Und nur fünf NATO-Länder halten sich an die Vorgabe, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aufzuwenden: Albanien, Frankreich, Griechenland, Großbritannien und die USA.
“Es ist fast peinlich“
Doch ein riesiges Sparpotential sieht Rasmussen in einer strategischen Partnerschaft zwischen NATO und EU. Die meisten EU-Mitglieder sind gleichzeitig NATO-Mitglieder, und es gibt große Überschneidungen bei den Einsätzen. Aber bei den regelmäßigen Sitzungen von Vertretern beider Organisationen blieben dann aus formalen Gründen viele Themen ausgespart, klagt Rasmussen. "Da hat man dann alle diese Leute am Tisch, und es ist fast peinlich, dass wir nicht über Afghanistan, den Kampf gegen Piraterie, das Kosovo und andere wichtige Themen reden können. Ich finde das frustrierend."
Aber auch die Spannungen zwischen dem NATO-Mitglied Türkei und dem EU-Mitglied Zypern stehen einer weiteren Zusammenarbeit oft entgegen. Hier wünscht sich Rasmussen mehr Verständnis für die Anliegen der Türkei. Auch die USA haben der EU in letzter Zeit vorgehalten, sie, die EU, sorge für eine türkische Entfremdung vom Westen, weil sie einen türkischen EU-Beitritt mehrheitlich ablehne.
Russland will mehr Mitsprache
Rasmussen hatte zu Beginn seiner Amtszeit auch einer neuen Partnerschaft mit Russland das Wort geredet, weil beide Seiten von denselben Gefahren bedroht seien, zum Beispiel durch den militanten Islamismus. Der russische NATO-Botschafter Dmitri Rogosin vermisst aber die Konsequenzen daraus.
Bei der Brüsseler Veranstaltung fragte Rogosin: "Wenn wir anerkennen, dass wir vor denselben Bedrohungen stehen, warum überlegen wir uns dann keine gemeinsame Antwort darauf?" Beide Seiten sollten gleich im NATO-Russland-Rat über die Bedrohungslage und das gemeinsame Vorgehen reden und nicht erst die NATO-Mitglieder untereinander. Darauf ging Rasmussen nicht direkt ein. Er sprach aber die immer wieder geäußerte russische Sorge an, auch die NATO bedrohe Russland. Für Rasmussen ist das völlig abwegig. "Ich hoffe, dass Russland merkt: Wenn es bedroht wird, dann jedenfalls nicht vom Westen. Wir haben keinerlei Absicht, Russland anzugreifen. Und ich erwarte, dass auch Russland keine Absicht hat, uns anzugreifen." Zusammenarbeit ist damit für Rasmussen das große Wort für die Zukunft, aus strategischen Gründen sowieso, aber eben auch aus Spargründen.
Autor: Christoph Hasselbach
Redaktion: Bernd Riegert