Wenig strikte Impfgegner, viele Skeptiker
10. September 2021Deutschland, Mitte September 2021: Fast scheint die Corona-Pandemie im Alltag vieler Menschen in Vergessenheit geraten. Biergärten und Restaurants sind voll, die Menschen sprechen über die kommende Bundestagswahl oder auch über ihre Urlaubserlebnisse. Aber die verantwortlichen Politiker schlagen Alarm: Die Impfquote, also der Prozentsatz der Menschen, die vollständig gegen das Corona-Virus geimpft sind, dümpelt seit Tagen um die 62 Prozent.
Zu wenig, um auf den Winter mit dann wieder steigender Ansteckungsgefahr, vor allem durch die hoch ansteckende Delta-Variante des Virus, wirklich vorbereitet zu sein. Dafür braucht das Land nach Experten-Ansicht eine Quote von über 85 bis 90 Prozent.
Nur wenige strikte Impfgegner
Strikte Impfgegner sind nach Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts, der obersten Seuchenbehörde des Landes, zwar nur rund fünf bis zehn Prozent der Menschen. Aber viele Bürger sind trotz der zahlreichen Impfzentren (von denen viele mittlerweile schon wieder geschlossen sind) und trotz der Möglichkeit, beim Hausarzt geimpft zu werden, noch unsicher, ob sie sich impfen lassen sollen.
Frustriert sagte etwa Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nach einer Senatssitzung Anfang dieser Woche in Berlin: "Ich komme jetzt an einen Punkt, wo ich denke, vielleicht haben wir das, was wir machen können in der Politik, auch ausgereizt." Auch der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, ist besorgt: "Um die vierte Welle zu brechen, bevor sie dramatisch wird, sollte man jetzt bundesweit überall dort, wo es möglich ist, eine 2G-Regel einführen", so Montgomery im Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe." 2G-Regel, das heißt: Veranstaltungen, Restaurantbesuche oder andere Vergnügungen nur für Geimpfte und Genesene. In Hamburg gibt es das schon, etwa in Clubs und Bars.
Bundesweite Impfaktionen in der kommenden Woche
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach diese Woche offen von der Gefahr einer "Pandemie der Ungeimpften" und kündigte eine bundesweite Aktionswoche für das Impfen an, die am kommenden Montag beginnt.
Mit vielen möglichst kreativen Impfaktionen etwa am Rande von Sportplätzen, in Fußgängerzonen und vor Geschäften.
Kreatives Impfen in der Bahn
Berlin, zu Beginn der vergangenen Woche: Mit genauso einer Idee, wie sie Spahn vorschwebt, lockt die Bahn, die auch die S-Bahnen der Hauptstadt betreibt, auf die fast 40 Kilometer lange Ringbahn, die den Innenstadtbereich der Hauptstadt umfährt. Während der Fahrt können sich die Menschen impfen lassen. Aber insgesamt stehen für die Aktion gerade einmal 100 Dosen des Corona-Impfstoffs von Johnson & Johnson zu Verfügung.
Einige wenige Bürger haben sich dafür im Internet vormerken lassen, den Rest der Dosen bekommen diejenigen, die schneller sind als andere. Christian Gravert, Chefmediziner der Bahn, betreut die Aktion und sagt der DW: "Heute ist 'first come, first served'. Wer einsteigt, bekommt eine Impfung, wir sind gespannt, ob das Angebot angenommen wird." Wird es, der Andrang ist groß.
Zu den Wartenden am Bahnsteig zählt auch Andreas Resing. Er sagt der DW: "Ich habe mir gedacht: Warum nicht? Wie gesagt, wenn es schon gleich in der S-Bahn ist und man einfach nur noch zusteigen braucht. Dann ist es vorteilhafter, als wenn man zum Arzt geht, sich Termine holt." Aber am Ende ist die Enttäuschung groß, Resing bekommt keine Impfung, alle Dosen sind schon verbraucht. Die Frage drängt sich auf, warum nicht mehr Impfstoffe bereitgestellt wurden.
Bei der Quote liegt Deutschland im Mittelfeld
An kreativen Impfaktionen hat es zuletzt im ganzen Land wahrlich nicht gemangelt. Vor Supermärkten und vor Fußballstadien konnten sich die Menschen die Impfung abholen. Aber die Quote stagniert, die Zahl der Ansteckungen erhöht sich wieder, auf den Intensivstationen der Krankenhäuser steigt die Belegung mit Covid-19-Patienten, wenn auch nur leicht.
Im internationalen Vergleich liegt Deutschland bei der Impfquote im Mittelfeld. In der EU sind die meisten Länder wie Malta, Frankreich oder Dänemark besser, aber auch Länder wie Bulgarien wesentlich schlechter. Und in Deutschland sind mehr Menschen vollständig geimpft als etwa in den USA oder in Brasilien.
Dahmen: "Der Impfstoff muss direkt zu den Menschen kommen"
Aber es könnten eben auch längst viel mehr sein, findet etwa Janosch Dahmen, Bundestagsabgeordneter der Grünen. Er ist noch nicht lange im Parlament, bis zum November 2020 hat er noch in Berlin als Rettungsarzt gearbeitet. Längst gebe es bessere Konzepte, wie die Zweifler beim Impfen erreicht werden könnten, so Dahmen im Gespräch mit der DW: "Was völlig fehlt, sind Impfangebote, die sich auf die frühen Morgen - und Abendstunden konzentrieren. Auf Umsteigepunkten wie Bushaltestellen, wo ich dann ohne Termin quasi im Vorbeigehen geimpft werden kann."
Wichtig sei es auch, die Wahl zwischen mehreren Impfstoffen zu ermöglichen. "Wir müssen den Menschen das Gefühl geben, dass sie es selbst in der Hand haben, für welchen Impfstoff sie sich entscheiden. Wir müssen mit Impfbussen über die Dörfer fahren. Und vor allem: Wir müssen vor den Testzentren impfen, die immer noch viel frequentiert werden." Gerade dort fänden sich ja die Ungeimpften, die jetzt in vielen Bundesländern aktuelle Tests brauchen, um etwa Restaurants besuchen zu können.
Zweifel an den neuen Impfstoffen
Viele Zweifler misstrauten etwa den neuen RNA-Impfstoffen wie denen des Herstellers Biontech, weil sie nicht mehr wie andere Impfungen auf der Basis von geringen Mengen des Krankheitserregers funktionierten, so Dahmen. Das aber kennen die Menschen etwa von den Grippeschutzimpfungen. Eine große Chance sei etwa der Impfstoff von Johnson & Johnson, bei dem anders als bei den meisten anderen Herstellern eine Dosis für den Impfschutz reicht.
Dahmen sagt: "Meine Erfahrung als Arzt ist, das berichten mir auch viele Kollegen, dass gerade der Impfstoff von Johnson & Johnson für Menschen wichtig ist, die Angst vor der Impfung haben, die zweifeln. Weil sie sich eben nur einmal piksen lassen müssen." Den Impfstoff zu den Menschen bringen, nicht umgekehrt, nennt der Grünen-Politiker sein Konzept. Und, so Dahmen: Viele Menschen glaubten, dass ihnen vielleicht nichts geschieht, wenn sie sich nicht impfen lassen, trotz steigender Infektion.
Dem müsse die Politik klarer entgegentreten, so der Mediziner: "Im nächsten Jahr werden sich aufgrund der globalen Situation alle Menschen anstecken, die nicht geimpft sind. Es gibt also nur die Wahl zwischen Anstecken und Impfen." Einen Satz, den so auch der Bundesgesundheitsminister immer wieder gesagt hat. Noch mit eher mäßigem Erfolg, was die Zweifelnden angeht. Einen Impfzwang aber wie etwa in Frankreich für medizinisches Personal lehnt die Regierung ab.