Kino-Magier Scorsese in Berlin
11. Januar 2013Zur Ausstellungseröffnung hat er es nicht nach Berlin geschafft. Martin Scorsese sitzt in New York, schneidet gerade seinen nächsten Film "The Wolf of Wall Street". Trotzdem ist der oscargekrönte Regisseur an diesem Tag in der Deutschen Kinemathek am Potsdamer Platz präsent. Und das nicht nur wegen der fast 600 Ausstellungsstücke - Fotos, Storyboards, Briefe, sogar Möbelstücke -, die er dem Museum aus seinem Privatarchiv überlassen hat.
"Viele Dinge, die Sie in der Ausstellung sehen, wurden von den Wänden in meinem Büro und in meiner Wohnung abgehängt", sagt Scorsese in einer Videobotschaft, die bei der Eröffnung gezeigt wurde, mit einem Augenzwinkern. Es sei ihm eine Ehre, dass die Erinnerungen aus seinem Besitz gerade in Berlin zu sehen sind. Schließlich verwalte die Deutsche Kinemathek den Nachlass so großer Regisseure wie Friedrich Wilhelm Murnau, Fritz Lang sowie der Schauspielerin Marlene Dietrich, fügt der Regisseur in dem kurzen Einspielfilm hinzu.
Einsatz für das Filmerbe
"Viele Kollegen in den USA sind verdutzt, dass Scorsese sein Privatarchiv ausgerechnet für das Filmmuseum in Berlin geöffnet hat und die erste Scorsese-Ausstellung in Deutschland und nicht in den Vereinigten Staaten zu sehen ist", sagt Nils Warnecke. Er ist einer der beiden Kuratoren, die im Frühjahr 2012 für die Kinemathek sechs Tage lang in New York Material sichten durften. Warneckes Kollegin Kristina Jaspers hat eine Erklärung, warum Scorsese Berlin als Ort für die erste Ausstellung zu seinem Lebenswerk wählte: "Die Kinemathek unterstützt seit vielen Jahren die Restaurierung alter Filme. In diesem Umfeld fühlt sich Martin Scorsese sicher wohl", glaubt Jaspers.
Die Bewahrung des Filmerbes liegt dem im New Yorker Viertel "Little Italy" aufgewachsene Enkel sizilianischer Einwanderer besonders am Herzen. Scorsese missfiel, dass die Farben in Filmen nach einigen Jahren rotstichig wurden. Er forderte Unternehmen wie Kodak auf, endlich farbstabiles Material zu entwickeln und mobilisierte zur Unterstützung Regie-Kollegen wie Steven Spielberg, Stanley Kubrick und Werner Herzog. Einige der Briefe, die er deswegen schrieb, und deren Antworten werden in der Ausstellung gezeigt.
Zusammenarbeit mit Michael Ballhaus
Scorseses Engagement für die Restaurierung von Farbfilmen nimmt in der Sammlung in der Berlin einen zentralen Platz ein. Wie kaum ein anderer kann der Italoamerikaner seine Leidenschaft für das Kino vermitteln. Zu hören ist das auf dem Audioguide zur Ausstellung. Die Bänder hat Scorsese in New York eingesprochen und nach Berlin geschickt. Dort ergänzte sie ein langjähriger Wegbegleiter, der Kameramann Michael Ballhaus, mit dem Scorsese insgesamt sechs Filme drehte, darunter so bekannte wie "Goodfellas" (1990), "Zeit der Unschuld" (1993), "Gangs of New York" (2002) und "Departed - Unter Feinden" (2006). Für letzteren erhielt Scorsese nach mehreren Anläufen den Oscar für die beste Regie.
Der Berliner Michael Ballhaus prägte über die Jahre Scorseses Ästhetik wesentlich mit. "Ich bin begeistert von seinem Gespür für das Tempo der Kamerabewegungen, die bei ihm zu einer Art Kamera-Choreographie werden", schwärmte Scorsese über Ballhaus. Auf den Deutschen aufmerksam geworden war er schon Anfang der 70er Jahre. Der Amerikaner war beeindruckt von den fließenden Bewegungen der Kamera, wie sie Ballhaus in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder entwickelt hatte. 1985 holte Scorsese Ballhaus in die USA. Der von dem Duo entwickelte visuelle Stil wurde zum Vorbild für andere Regisseure, auch in Deutschland. "Ich bewundere die Dynamik der Bildsprache, den Druck, der dadurch auf die Erzählung ausgeübt wird", sagt etwa Dominik Graf, einer der derzeit wichtigsten deutschen Filmemacher.
Hoffen auf Scorseses Besuch
Martin Scorsese sei trotz aller Lobesbekundungen tatsächlich etwas nervös, dass er kurz nach seinem 70. Geburtstag im November mit einer umfassenden Werkschau gewürdigt wird, erklärt Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek, bei der Eröffnung. "Ich glaube, dass Scorsese ganz froh ist, dass die Retrospektive in Berlin und nicht in seiner unmittelbaren Nähe, etwa in New York, zu sehen ist", ergänzt Kuratorin Kristina Jaspers. "Für Scorsese entfällt dadurch der permanente Rechtfertigungsdruck. Der eine oder andere Schauspieler oder Mitarbeiter könnte ihn ja fragen, warum gerade er in der Ausstellung nicht vorkommt."
In Berlin freuen sich die Verantwortlichen derweil über die "spektakuläre Schau" und wünschen sich, dass Martin Scorsese bis Mitte Mai noch Zeit für einen Besuch findet. "Er ist eingeladen, und wir hoffen sehr, dass er kommt", sagt Rainer Rother. Im Scherz fügt er hinzu: "Wir werden ein Foto von Scorsese für den Kassierer an die Scheibe kleben. Er soll ja nicht inkognito durch seine eigene Ausstellung laufen müssen."