Baerbock: "Menschheit steuert auf Abgrund zu"
6. November 2022Zu Beginn der Weltklimakonferenz COP27 in Ägypten hat Deutschland die Eindämmung der Erderwärmung als höchste Priorität bezeichnet. "Die Menschheit steuert auf einen Abgrund zu, auf eine Erwärmung von über 2,5 Grad, mit verheerenden Auswirkungen auf unser Leben auf dem einzigen Planeten, den wir haben", teilte Außenministerin Annalena Baerbock mit. Die Welt habe alle nötigen Instrumente in der Hand, um die Klimakrise zu begrenzen und auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen. "Wir wissen, was zu tun ist - schnellstmöglich raus aus fossiler Energie und rein in Erneuerbare."
Svenja Schulze, Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kündigte an: "Deutschland wird bei dieser Klimakonferenz ein wichtiger Brückenbauer sein zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Dazu müssen wir anerkennen, dass es bereits heute erhebliche Klimaschäden gibt, gerade in den ärmsten Ländern. Diese Länder verlangen zurecht Solidarität."
Al-Sisi eröffnet Gipfel-Teil der Weltklimakonferenz
In dem ägyptischen Badeort Scharm el Scheich kamen unterdessen Dutzende Staats- und Regierungschefs an. Dazu zählen Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Venezuelas Präsident Nicolás Maduro und der emiratische Präsident Mohammed bin Sajid ein. Nach einem Gruppenfoto eröffnete Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi das Gipfel-Segment der zweiwöchigen Konferenz mit einer Rede. "Es gibt große Erwartungen für gute Ergebnisse", sagte Al-Sisi. "Millionen Menschen rund um den Planeten haben ihre Blicke auf uns gerichtet." Die Konsequenzen durch klimabedingte Wetterereignisse seien nie so verheerend gewesen wie heute. "Wir haben eine Katastrophe nach der anderen erlebt. Sobald wir eine Katastrophe bewältigen, entsteht eine andere - Welle für Welle." Die Erde habe sich in eine "Welt des Leids" verwandelt, sagte Al-Sisi.
Acht wärmste Jahre seit Aufzeichnungsbeginn
Auf der Konferenz, die erstmals seit 2016 wieder in Afrika stattfindet, werden 40.000 Teilnehmer erwartet. Vertreter aus knapp 200 Staaten verhandeln in Scharm el Scheich zwei Wochen lang darüber, wie der Kampf gegen die Erderhitzung verstärkt werden kann. Die Zeit drängt, denn die vergangenen acht Jahre waren vermutlich die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Anzeichen und Auswirkungen des Klimawandels würden immer dramatischer, heißt es im vorläufigen Jahresbericht zum globalen Klima, den die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) in Scharm el Scheich veröffentlichte.
Die globale Durchschnittstemperatur liegt nach aktuellen Schätzungen der Wissenschaftler 1,15 Grad über dem Niveau von 1850 bis 1900. Der Trend setze sich fort. Messungen deuten darauf hin, dass die Alpengletscher im vergangenen Sommer so stark schmolzen wie nie zuvor. Für viele Gletscher sei es schon zu spät, sagte WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. "Die Schmelze wird Hunderte, wenn nicht Tausende Jahre andauern, mit weitreichenden Auswirkungen für die Trinkwassersicherheit", so der Wissenschaftler.
Die Erwärmung der Ozeane erreichte laut dem Bericht 2021 einen neuen Rekordwert. Demnach stiegen die Meeresspiegel zuletzt doppelt so schnell wie Anfang der 1990er-Jahre; Auch wenn der Anstieg in Millimetern pro Jahr gemessen werde, summiere er sich auf einen halben bis einen Meter in einem Jahrhundert; damit seien viele Millionen Menschen und niedrig gelegene Staaten in Gefahr, so Taalas. Allzu oft litten diejenigen am meisten, die am wenigsten zum Klimawandel beitrügen, sagte der WMO-Generalsekretär unter Verweis auf die Überschwemmungen in Pakistan und die Dürre am Horn von Afrika. Aber auch gut gerüstete Gesellschaften erlebten Zerstörungen, etwa die anhaltenden Hitzewellen in Europa und im Süden Chinas.
Gedämpfte Erwartungen
Trotz des russischen Angriffskriegs in der Ukraine dürfe 2022 "kein verlorenes Jahr für den Klimaschutz" werden. Für viele Staaten gehe es "um das Überleben ihrer Bevölkerung und ihrer Kultur", teilte Baerbock mit den Ministerien für Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt mit. "Für sie ist die Klimakrise weiterhin das wichtigste Sicherheitsthema, nicht Russlands Krieg in Europa." Diese Staaten würden von den reichen Ländern mehr Solidarität erwarten.
Wegen des laufenden Kriegs in Europa, aber auch wegen der damit teilweise zusammenhängenden Krisen bei Energie, Ernährung und Wirtschaft sowie wachsender Staatsschulden sind die Erwartungen an die Klimakonferenz eher gedämpft - auch im Vergleich zur COP26 vor einem Jahr in Glasgow. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bewertete die Erfolgsaussichten vorab als gering. Auch der renommierte Klimaökonom Ottmar Edenhofer und Klimaforscher Mojib Latif gaben sich resigniert.
COP27 meldet ersten Erfolg
Allerdings wurde bereits am Eröffnungstag ein erster Erfolg bei einem der Knackpunkte der Verhandlungen verkündet. Das Konferenzplenum stimmte zu, bei der COP27 Finanzhilfen für ärmere Staaten zur Bewältigung bereits eintretender klimabedingter Schäden und Verluste erstmals als eigenen Punkt auf der Verhandlungsagenda zu verankern.
Dies zeige "einen Sinn für Solidarität und Mitgefühl für das Leiden der Opfer klimabedingter Katastrophen", sagte Schukri vor den Delegierten aus mehr als 190 Staaten. Zugleich betonte er, es gehe bei dem Verhandlungspunkt nicht um "Verantwortung oder Entschädigung".
Die Sonderbeauftragte der Bundesregierung für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, hat sich ebenfalls zufrieden über den Auftakt der Weltklimakonferenz in Ägypten geäußert. Über die Online-Plattform Twitter lobte sie am Montag in Scharm el Scheich, dass die Finanzierung von klimabedingten Schäden und Verlusten ins Programm aufgenommen wurde. Das habe Vertrauen aufgebaut und eine gute Atmosphäre in die Verhandlungen gebracht. In den kommenden zwei Wochen könne darauf aufgebaut werden, fügte die frühere Greenpeace-Chefin hinzu.
Ab Montag werden am Roten Meer dann rund 100 Staats- und Regierungschefs erwartet, darunter auch Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden. Mit Chinas Staatschef Xi Jinping und Indiens Premierminister Narendra Modi, deren Länder mit den USA zu den größten CO2-Emittenten zählen, werden zwei der wichtigsten Spitzenfiguren bei der Konferenz aber fehlen. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin nimmt nicht an der Weltklimakonferenz teil.
kle/nob/as/jj/qu (dpa, rtr, afp, kna, epd)