Welthungerhilfe wird 50
3. Januar 2012Die Welthungerhilfe, die am 14. Dezember 1962 unter dem Dach der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) gegründet wurde, ist heute eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland. Auch in ihrem Jubiläumsjahr 2012 will sich die Organisation für eine gesicherte Ernährung der Menschen sowie für ländliche Entwicklung und den Erhalt natürlicher Ressourcen einsetzen. Insgesamt wurden in den 50 Jahren ihres Engagements 4500 Selbsthilfe-Projekte und 1100 Projekte für Kinder und Jugendliche in 70 Ländern gefördert. Dazu kamen noch 1000 Nothilfeprogramme.
Durch Hilfe zur Selbsthilfe vom Hunger befreien
Für Bärbel Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe und langjährige Bonner Oberbürgermeisterin, war im Rückblick besonders wichtig, "dass wir unser Kernmandat - Menschen vom Hunger zu befreien, ihnen durch Hilfe zur Selbsthilfe die Möglichkeit zu geben, in Würde zu leben, frei von Hunger zu leben - beibehalten haben".
Millionen von Menschen hat die Welthungerhilfe in den vergangenen Jahrzehnten durch ihr Engagement helfen können, sagt Dieckmann: "1969 waren 26 Prozent aller Menschen unterernährt, 2010 waren es 13 Prozent." Die Tatsache, dass manchmal Erfolge nicht so sichtbar würden, liege auch am extremen Bevölkerungswachstum. Dass der prozentuale Anteil der Hungernden an der Gesamtzahl der Bevölkerung in der Welt abgenommen hat, sei aber nicht nur ein Erfolg der Welthungerhilfe.
Andererseits leiden heute weltweit immer noch 930 Millionen Menschen an Hunger und Armut. Das sei nicht zu akzeptieren, so die Präsidentin der Welthungerhilfe.
Klimawandel und Ressourcenknappheit gehen alle an
Angesichts globaler Faktoren wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und demographischem Wandel sei Entwicklung kein Thema mehr, das nur die sogenannten Entwicklungsländer betreffe, sagt die Präsidentin der Welthungerhilfe. Deswegen wird sich die Welthungerhilfe in diesem Jahr verstärkt damit beschäftigen, wie die Hungerbekämpfung noch stärker in die Mitte der Gesellschaft geführt werden kann.
Energie - ein Schlüssel zu Entwicklung
Eine Diskussion, die es vor 50 Jahren nicht gegeben hat, ist die um Ressourcen. Laut Dieckmann ist der Energiemangel einer der Gründe für Armut und Hunger. Dies wird sich nach ihrer Ansicht künftig noch verschärfen: "In vielen Ländern, in denen wir arbeiten, ist die Energieversorgung, überhaupt die Grundversorgung mit Energie, für die Menschen gerade auf dem Land ein Schlüssel zur Entwicklung. Nur mit einer ausreichenden Energieversorgung kann in Zukunft Hunger bekämpft werden."
Vor allem der Einsatz dezentraler und erneuerbarer Energien werde eine Rolle spielen. Laut Dieckmann geht es zum einen darum zu verhindern, dass Unmengen von Nahrungsmitteln verderben, weil sie nicht gekühlt werden können. Andererseits könnten durch Elektrizität auch Menschen noch abends arbeiten und lernen.
In die Mitte der Gesellschaft gehen
Wolfgang Jamann, der Vorstandsvorsitzende der Welthungerhilfe, sprach sich dafür aus, eingefahrene Wege von Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit immer wieder kritisch zu hinterfragen. Mit einer Kampagne unter dem Motto "Es ist möglich" soll die breite Öffentlichkeit im Jubiläumsjahr für ein stärkeres Engagement gegen den weltweiten Hunger mobilisiert werden.
Querdenker und Kreative bringen ihren Blick von außen ein
Ein weiteres Projekt ist eine Art "Denkfabrik" (Thinktank), in der ein Kreis von deutschsprachigen (Quer-)Denkern und Kreativen zusammenkommt, die die globale Welt aus anderen Blickwinkeln sehen. Einer von ihnen ist der Kulturberater und -manager Michael Schindhelm, der viel im Mittleren und Fernen Osten, aber auch in Russland unterwegs ist. Er will Wissen und Ideen von außen einbringen.
So berichtet Schindhelm von einer Reise für die Welthungerhilfe nach Myanmar (ehemals Birma), wo die Organisation bereits seit einigen Jahren ein Projekt im Norden des Landes unterhält. Für besonders wichtig hält Schindhelm in diesem Fall, wie man das Überleben der Menschen in einer Region sichern kann, in der durch die Regenzeit über mehrere Monate kein Einkommen erwirtschaftet und keinerlei Erträge erzielt werden können: "Die Leute haben mit Unterstützung der Welthungerhilfe beispielsweise die sogenannten Reisbanken oder Maisbanken entwickelt, also Naturalgüter-Kreditmittel, die dafür eingesetzt werden, um in Notzeiten auf die gemeinsam angelegten Speicher zurückgreifen zu können."
Neuer Trend: Wachstum der Städte
Es gebe viele neue Trends, sagt Schindhelm, auf die die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit bisher nicht vorbereitet ist. Dazu gehöre auch das Wachstum der Städte. Alle fünf Tage gebe es eine weitere Million Menschen auf der Welt, die sich vor allem in Städten ansiedelten.
Nach Ansicht von Kulturmanager Schindhelm lässt sich die Welt nicht ohne weiteres einteilen in Nord und Süd und in Arm und Reich. Zudem gehe es bei der Zusammenarbeit nicht nur um die Frage "Wie können wir etwas bekämpfen, wie können wir helfen?", sondern man müsse auch überlegen: "Wie können wir etwas lernen über diese neuen Kontexte? Wie können wir auch in unsere Welt hinein etwas vermitteln, was in diesen Ländern heute stattfindet?"
Die Welthungerhilfe hat sich nach Schindhelms Ansicht durch die Nähe zu den betroffenen Gesellschaften "eine enorme, auch sozialpolitische Kompetenz erarbeitet".
Insofern sieht er verschiedene Möglichkeiten, wie zwischen der Welthungerhilfe und auch Intellektuellen, die in anderen Bereichen global tätig sind, die Strategie neu bedacht werden kann.
Autorin: Sabine Ripperger
Redaktion: Tamas Szabo