"Afrika muss etwas ändern"
17. Oktober 2018Deutsche Welle: Die Weltbank untersucht regelmäßig, wie sich Armut und Ungleichheit weltweit entwickeln. Im Bericht, den Sie heute, am Welttag zur Bekämpfung der Armut, veröffentlichen, betrachten Sie die Jahre 2013 bis 2015. Was fällt besonders auf?
Francisco Ferreira: Mit armen Menschen meinen wir in erster Linie diejenigen, die von weniger als 1,90 US-Dollar (umgerechnet 1,64 Euro) am Tag leben. Damit ist die Armutsgrenze sehr niedrig gezogen. Wir sehen, dass die Armut weiter zurückgeht. 1990 lebte etwa eine von drei Personen weltweit in extremer Armut. 2015 war es nur noch eine von zehn Personen.
Aber der Rückgang wird langsamer. Das liegt zum Teil auch daran, dass sich die Armut zunehmend auf Subsahara-Afrika konzentriert: Während 2015 weltweit zehn Prozent der Menschen als arm galten, waren es in Subsahara-Afrika 41 Prozent, also vier Mal so viele. Und weil die Bevölkerung dort insgesamt sehr schnell wächst, ist es auch die einzige Region, in der die absolute Zahl der Armen steigt. Wir schätzen, dass heute rund 413 Millionen Menschen in Afrika in extremer Armut leben. Das ist mehr als die Hälfte der weltweiten Anzahl von 736 Millionen.
Welche Gründe gibt es dafür?
Konflikte, brüchige Institutionen und Gewalt sind weltweit mit zunehmender Armut verbunden. Und eine Reihe der fragilen und konfliktbelasteten Länder liegen in Afrika, zum Beispiel die Zentralafrikanische Republik, Südsudan oder Somalia.
Dazu kommt das Wirtschaftswachstum: Das war in Afrika über längere Zeiträume betrachtet niedriger als beispielsweise in Asien - der anderen Region, in der es viel Armut gab, die aber viel schneller zurückging. Außerdem war es flüchtig und es kam weniger davon bei den Armen an als in anderen Regionen.
Die Nichtregierungsorganisation Oxfam hat kürzlich untersucht, wie effektiv Staaten weltweit gegen soziale Ungleichheit vorgehen. Nigeria landete auf dem letzten Platz. Teilen Sie diese Einschätzung?
Wir erstellen keine Rangliste, sondern beziffern, wie viel Armut es gibt. In Nigeria kommen mindestens zwei Faktoren zusammen: Die Existenz eines weitreichenden Konflikts im Nordosten des Landes, in dem Boko Haram aktiv ist, und eine sehr starke Abhängigkeit von der Öl-Industrie.
Viele andere afrikanische Länder sind ebenfalls auf den Abbau von Rohstoffen angewiesen: Äquatorialguinea, Sambia, die Demokratische Republik Kongo. Wenn ein Großteil des Wachstums von einer Industrie kommt, die nicht so viele Menschen beschäftigt und die nicht viele Verbindungen zum Rest der Wirtschaft hat, kann das sich positiv auf das Bruttoinlandsprodukt auswirken. Doch die Menschen - insbesondere die, die in der Subsistenzlandwirtschaft arbeiten - profitieren nicht direkt davon.
Welche positiven Beispiele kennen Sie?
Natürlich gibt es auch in Afrika Erfolgsgeschichten von Ländern wie Ruanda oder Burkina Faso, in denen es ein gewisses Wachstum gegeben hat und die Armut zurückgeht. Für den gesamten Kontinent lässt sich ja auch eine Verringerung der Armutsquote verzeichnen, wenn auch langsam. Auch Äthiopien hat trotz politischer Herausforderungen die Armut bekämpft und seine Wirtschaft etwas breiter aufgestellt. Es ist zwar immer noch ein Agrarstaat, aber wir haben einen recht starken Anstieg im Bereich der Produktion im eigenen Land gesehen.
Über Afrika hinaus sind Länder wie China und Vietnam große Erfolgsgeschichten. In Vietnam sind die Einkommen der Landwirte in den letzten zehn bis 20 Jahren sehr stark gestiegen. So ist gelungen, die Armut schnell zu reduzieren. Auch in Afrika leben die meisten extrem armen Menschen auf dem Land, von sehr unproduktiver Landwirtschaft. An sie müssen die Regierungen denken.
Was sollten die Regierungen noch tun, um die Armut in den afrikanischen Ländern zu verringern?
Sie müssen die Wirtschaft breiter aufstellen, gerade in den Ländern, die von Rohstoffen abhängen. Dort wird Kapital aus der Erde geholt - und das muss woanders wieder investiert werden: nämlich in die Menschen. Nicht nur in Schulen, sondern auch in gut ausgebildete Lehrer, die auch wirklich anwesend sind und unterrichten. Außerdem müssen sie in die Bereiche der Infrastruktur investieren, die für höhere Produktivität sorgen können: in bessere Straßen und Schienennetze, in eine verlässliche Strom- und Wasserversorgung. Aber nichts von alldem kann ohne solide demokratische Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit funktionieren.
Wie sehen Sie die Aussichten für afrikanische Staaten, dass all das passiert und Armut und Ungleichheit zurückgehen?
Wenn es so weitergeht wie in den letzten zehn Jahren - wahrscheinlich nicht besonders gut. Dann könnte die Armutsrate in Subsahara-Afrika 2030 immer noch bei 25 Prozent liegen, während sie im Rest der Welt nur noch zwei Prozent beträgt. Dann würden fast neun von zehn armen Menschen weltweit in Afrika leben. Lässt sich das ändern? Ja. Afrika kann das ändern - mit den Veränderungen, die ich angesprochen habe. Es gibt viel Hoffnung - und viele engagierte, kreative, innovative Menschen, die den Kontinent voranbringen können. Aber die armen Menschen müssen ihre Existenz sichern können. Die Investitionen müssen bei ihnen ankommen. Nur dann kann sich wirklich etwas ändern.
Francisco Ferreira arbeitet als leitender Berater für die Weltbank und betreut dort das Forschungsprogramm zu Armut und Ungleichheit. Er hat den aktuellen Bericht zur Situation der Armut und Ungleichheit weltweit mitherausgegeben und war früher bei der Weltbank als Chefökonom für Afrika zuständig.
Das Interview führte Friederike Müller-Jung. Mitarbeit: Daniel Pelz