"Verurteilung Sawtschenkos nicht rechtens"
22. März 2016Deutsche Welle: Herr Wellmann, ein russisches Gericht hat Nadja Sawtschenko zu 22 Jahren Haft verurteilt. Es sah es als erwiesen an, dass die ukrainische Kampfpilotin der Beihilfe zum Mord an zwei Journalisten in der Ostukraine schuldig ist. Wie erwartet setzte die Justiz ein sehr hohes Strafmaß an. Wie bewerten Sie dieses Urteil?
Karl-Georg Wellmann: Dieses Gerichtsverfahren hat weder mit rechtstaatlichen Grundsätzen noch mit internationalem Recht zu tun. Russland ist dringend zu empfehlen, das Problem schnell und diskret auf diplomatischem Wege zu lösen.
Vor dem Urteil hat die internationale Gemeinschaft an Russland stark appelliert, Sawtschenko freizulassen. Trotzdem wurde das Strafmaß so hoch angesetzt. Ist das eine Trotzreaktion seitens Moskau?
Wahrscheinlich auch. Wenn man überlegt, was Russland im Osten der Ukraine angerichtet hat. Im Ergebnis der russischen Aggression sind fast 10.000 Menschen ums Leben gekommen. Dass sich Russland jetzt so einen Fall auf der Gegenseite greift und eine Frau, die ersichtlich keine Schuld hat, die Teilnehmerin an einer kriegerischen Auseinandersetzung war und Anspruch hat, wie jeder Kriegsgefangene nach der Haager Landkriegsordnung behandelt zu werden, ist schon sehr merkwürdig.
Die Bundesregierung vermeidet das Wort "Kriegsgefangene". Auch im Minsker Protokoll geht es nicht um Kriegsgefangene, sondern um den Austausch von Geiseln und um diejenigen, die unrechtmäßig festgehalten werden. Warum sprechen Sie von einer Kriegsgefangenen?
Weil es faktisch so ist. Moskau hat im Donbass gegen die Ukraine Krieg geführt. Natürlich ist die offizielle Lesart, dass es Separatisten waren. Die Ukraine sagt, es waren Terroristen. Im Ergebnis ist es völlig egal, ob Sawtschenko Geisel oder Kriegsgefangene ist. Sie ist in einem russischen Gefängnis und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Und dies ist nicht rechtens.
Morgen führt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Gespräche mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow und dem Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew. Welche Möglichkeiten hat Berlin noch, auf die russische Seite einzuwirken?
In vernünftigen Gesprächen, die nicht öffentlich geführt werden. Das hat der Außenminister auch angekündigt. Was endlich im Interesse aller erreicht werden muss, ist der Austausch sämtlicher Gefangener oder Geiseln. Sowohl die Ukraine hat eine ganze Reihe von Gefangenen als auch die andere Seite. Das muss und kann endlich unter vernünftigen Leuten gelöst werden.
Es gibt schon Stimmen im Westen, die wegen des Urteils eine Art Magnizki-Liste, eben eine Sawtschenko-Sanktionsliste gegen Russland fordern. Was halten Sie davon?
Die Bundeskanzlerin hat immer gesagt, dass die Sanktionen nur dann aufgehoben werden können, wenn Minsk voll erfüllt ist. Wir sollten jetzt nicht eine Eskalationsspirale betreiben und weitere Dinge machen, sondern die Dinge politisch und diplomatisch lösen. Ich sehe dazu eine gewisse Bereitschaft auf russischer Seite. Ich sehe eine Bereitschaft auf unserer Seite. Es muss im Interesse der Menschen eine solche Lösung gesucht und gefunden werden, dass das Töten und Schießen aufhört und dass endlich wieder vernünftige Verhältnisse im Donbass einkehren.
Sie kennen sich sehr gut in den politischen Verhältnissen in Kiew aus. Ist für Kiew überhaupt von Interesse, dass Sawtschenko freikommt? Kann sie für die heutige politische Elite in Kiew gefährlich werden, wenn sie nicht mehr als Ikone, gefangen in Russland, sondern in Kiew eventuell mit eigenen politischen Ambitionen auftritt?
Ich glaube nicht, dass jemand in Kiew so zynisch ist. Sawtschenko ist so etwas wie eine Volksheldin. Überall im öffentlichen Leben hängt ihr Foto "Befreit Sawtschenko". Das ist im Interesse des gesamten ukrainischen Volkes. Politische Spielchen sehe ich nicht.
Karl-Georg Wellmann sitzt seit 2005 für die CDU im Bundestag und ist dort Vorsitzender der Deutsch-Ukrainischen Parlamentariergruppe.
Das Gespräch führte Nikita Jolkver