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Zukunft der Kernforschung

Fabian Schmidt30. August 2013

Weltweit entstehen neue Kernkraftwerke. Aber Deutschland steigt aus der Kernenergie aus. Bisher ist der Exportweltmeister führend in Forschung und Lehre. Kann er nach dem Ausstieg seine Kompetenz erhalten?

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Das französische Atomkraftwerk Penly (Copyright: AFP PHOTO KENZO TRIBOUILLARD, dpa - Bildfunk)
Ein Atomkraftwerk im französischen PenlyBild: picture-alliance/dpa

Aus der Tsunami- und Reaktorkatastrophe von Fukushima haben nicht alle Staaten der Welt dieselben Konsequenzen gezogen wie Deutschland, nämlich aus der Kernkraft auszusteigen. Derzeit sind weltweit 65 Kernreaktoren im Bau.

China, Indien, Brasilien, Argentinien, Pakistan, die USA, und Mexiko bauen oder planen neue Anlagen und Japan hat nach der Katastrophe von 52 abgeschalteten Reaktoren wieder zwei ans Netz genommen. Auch in Europa setzen noch die Regierungen von Russland, Tschechien, Rumänien, Bulgarien, der Ukraine, Finnland und Großbritannien auf die Kernkraft, vor allem Frankreich ist Vorreiter in der Nukleartechnik.

Aber ausgerechnet der Aussteiger Deutschland war bisher in Forschung und Lehre ganz vorne mit dabei. Die deutsche Forschungslandschaft gehört noch zu den Spitzenreitern im Bereich der Kerntechnik. Wissenschaftler beschäftigen sich intensiv vor allem mit zwei Themen: Mit der Entsorgung von nuklearen Abfällen und mit dem sicheren Betrieb von Reaktoren.

Der Leiter des Bereichs Sicherheitsforschung und Reaktortechnik am Institut für Energie- und Klimaforschung des Forschungszentrums Jülich Ernst Arndt Reinecke (Copyright: Forschungszentrum Jülich)
Reinecke: Deutschlands Expertise wird weltweit geschätztBild: Forschungszentrum Jülich

"Es geht darum die Phänomene zu untersuchen, die bei schweren Störfällen auftreten. Zu verstehen, wie man sie dann letzten Endes vermeiden kann", so Ernst-Arndt Reinecke, Leiter der Abteilung für "Containmentphänomene- und Prozesse", am Forschungsbereich Reaktorsicherheit des Forschungszentrums Jülich. Die deutsche Einschätzung ist auch in neue Reaktordesigns eingeflossen. "Der Europäische Druckwasserreaktor, der derzeit in Finnland und Frankreich gebaut wird, würde ohne die schwere Störfallforschung anders aussehen", so der Verfahrenstechniker.

Der Reaktor ist nämlich mit einem Core-Catcher versehen - einer Vorrichtung, um schmelzendes Kernmaterial bei einer Reaktorkatastrophe, wie der von Fukushima, aufzufangen. Deutsche Forschung prägt also heute die Kernkraftwerke der Zukunft. Nach dem deutschen Atomausstieg erwarten Experten eine Verschiebung der Schwerpunkte. Die Forschung wird sich stärker auf bestimmte Spezialbereiche konzentrieren.

Entsorgung bleibt Forschungsthema

"Auf der einen Seite wird es die Entsorgungsforschung geben", meint Dirk Bosbach, der in Jülich den Bereich Nukleare Entsorgungsforschung im Institut für Energie- und Klimaforschung leitet. Denn Atomausstieg hin oder her, Abfälle müssen langfristig sicher gelagert werden.

Aber bis es soweit sei, werde auch der sichere Betrieb von Kernkraftwerken ein eigenständiger Forschungsschwerpunkt bleiben. "Bis zum letzten Tag wird man sich um Sicherheitsfragen in der Forschung Gedanken machen", meint der Mineraloge. Danach glaubt Bosbach, drohe Deutschland kerntechnische Kompetenz zu verlieren. Denn internationale Konzerne, die Reaktoren herstellen, werden ihre Ingenieursleistungen beim Bau von Kraftwerken immer mehr dorthin verlegen, wo auch Reaktoren im Betrieb sind.

Und praktische Erfahrungen im Umgang mit der Technologie seien entscheidend für die Qualität der Forschung. "Kompetenzerhalt bedeutet nicht, dass man Publikationen zu einer Thematik liest, sondern man kann das nur aktiv machen", so Bosbach, "man muss also aktiv in einem Arbeitsgebiet forschen, nur dann ist man kompetent."

Die Baustelle des Europäischen Druckwasserreaktors in Olkiluoto/Finnland (Copyright: Gert Reuter/dpa)
Der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) in Finnland erhält Sicherheitstechnik aus DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Forschen, aber Sparen

Schon jetzt sei ein Rückgang von Forschungsmittel aus der Industrie zu spüren. Die Finanzierung einer Doktorarbeit lohne sich zum Beispiel für einen Kraftwerksbetreiber nur dann, wenn das Unternehmen die Forschungsergebnisse auch in Zukunft im Ausland anwenden könne. "Bis ich dann für das, was bei dieser Doktorarbeit herausgekommen ist, eine atomrechtliche Genehmigung für den Einbau in einem Kernkraftwerk habe, dann ist der Atomausstieg bereits vollzogen", gibt der Entsorgungsforscher zu bedenken.

Der Leiter des Instituts für nukleare Entsorgungsforschung des Forschungszentrums Jülich Dirk Bosbach (Copyright: Forschungszentrum Jülich)
Bosbach: Kompetenz entsteht nur durch BeteiligungBild: Forschungszentrum Jülich

Im eigensten Interesse solle Deutschland die Nuklearforschung nicht zu weit zurückfahren, sagt er: "Wir wollen Kompetenz in diesem Forschungsbereich haben, weil wir von Kernkraftwerken umgeben sind. Wir wollen in der Lage sein, zu beurteilen, was unsere Nachbarn treiben." Zudem habe Deutschland auch danach, im Rahmen internationaler Abkommen, noch die Verpflichtung kerntechnische Fachkompetenz zur Verfügung zu stellen, das könne aber schwierig werden, wenn der Forschernachwuchs fehle.

Die Politik erwarte, dass deutsche Forscher bei der Abstimmung von Sicherheitsstandards auf europäischem Niveau mitreden - "Also brauchen wir doch kompetente Leute in diesem Gebiet", so der Jülicher Forscher im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Angesichts des Atomausstiegs ist von der öffentlichen Hand allerdings kaum zu erwarten, dass sie für die entstehende Finanzierungslücke in der Forschung in die Bresche springt. Gerade in Zeiten der Energiewende und angesichts knapper Kassen ist nicht damit zu rechnen, dass in absehbarer Zeit mehr Steuergelder für Nuklearforschung ausgegeben werden.

Und auch am Interesse der Studierenden macht sich die Energiewende bemerkbar. So gibt es derzeit kein Problem, im Bereich der Kerntechnik unterzukommen. Jedes Semester ist nur gut ein Viertel der Studienplätze belegt. Und die meisten der wenigen Studienanfänger gehen in den Bereich Entsorgungstechnik.

Studiengang eröffnet viele Wege

Dabei ist der Bereich der Reaktorsicherheitsforschung keine Karriere-Sackgasse. Viele Forschungsschwerpunkte aus der Nukleartechnik sind auch für erneuerbare Energien durchaus relevant: Zum Beispiel, wenn es um den sicheren Umgang mit Wasserstoff geht. Der kann bei Kernreaktoren austreten, wenn Brennelemente überhitzen. Dann drohen Knallgasexplosionen wie in Fukushima. Dort haben sie die Sicherheitshüllen der Reaktorgebäude zerstört.

Ein Drehmanipulator zum fernbedienten Abbau radioaktiv strahlender Teile im Reaktorinneren des Kernkraftwerkes Niederaichbach bei Landshut in Bayern (Copyright: dpa)
Der Abriss alter Kraftwerke, wie hier in Niederaichbach, bleibt eine Aufgabe für viele JahrzehnteBild: picture-alliance/dpa

Eine Knallgasexplosion kann aber auch auftreten, wenn Wasserstoff austritt, der als Energieträger gelagert oder transportiert wird. "Sicherheit steht gerade beim Einsatz von Wasserstoff an erster Stelle", so der Jülicher Verfahrenstechniker Reinecke. Vor allem wenn man es nicht nur in industriellen Anlagen verwende, sondern im Alltag an Tankstellen oder im eigenen Haus, sei die Gefahr von Explosionen nicht zu unterschätzen. "Diese Sicherheitsfragen müssen beantwortet werden und das findet auch mit Experten aus der Reaktorsicherheitsforschung statt", so Reinecke.

Auch die Spezialforschungsgebiete der Flüssigmetallkühlung und der Gasdynamik - beides Teilbereiche der Reaktorsicherheitsforschung - haben für eine Zukunft mit erneuerbaren Energien einiges zu bieten. "Eine Mitarbeiterin von uns wechselt zum Beispiel jetzt in den Solarbereich", sagt der Reaktorsicherheitsexperte, "das spezielle Know-how, das sie aus dem Bereich der Hochtemperatur-Reaktortechnik erworben hat, kann sie jetzt für Arbeiten an einem Solarturm einsetzen." Der erzeugt Temperaturen um die 1000 Grad Celsius, indem er Sonnenlicht mit riesigen Spiegeln auf einen kleinen Bereich konzentriert. Dann herrschen dort Bedingungen wie in einem Kernreaktor.

Infografik zur Nutzung der Kernkraft in Asien (Quelle: DW)
Die meisten neuen Kernkraftwerke entstehen derzeit in Asien

Spannende Themen für Doktoranden

Die Jülicher Kernforscher sind jedenfalls zuversichtlich, dass die Kerntechnik - ob mit oder ohne Atomausstieg - auch weiterhin ein spannendes Feld für Forscher sein wird. Reaktorsicherheit bleibe ein internationales Thema, sagt Reinecke.

Und trotz der geringen Zahlen an Studienanfängern komme auch die Lehre dabei nicht zu kurz, meint der Mineraloge Bosbach. Denn bei höheren Semestern ziehe die Kerntechnik viele Quereinsteiger an: "Die Studenten kommen ja nicht hier ins Institut, um eine Doktorarbeit zu machen, weil sie begeistert von der Kerntechnik sind, sondern die suchen interessante Forschungsthemen." Und die gibt es in den kerntechnischen Studiengängen allemal. Jülich hat derzeit 25 Doktoranden in den Bereichen nukleare Entsorgung und Reaktorsicherheit. Mehr gab es noch nie.