Keine Party in Nizza
14. Juli 2017Die Sonne brennt über Nizza an diesem 14. Juli, und das Mittelmeer lockt Badende. Aber der Strand an der Promenade des Anglais ist gesperrt und das Stadtzentrum in eine Hochsicherheitszone verwandelt. Straßensperren, Sichtbarrieren, Betonklötze und hunderte von schwer bewaffneten Soldaten und Polizisten sichern die Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Terroranschlages vom vergangenen Jahr. Und viele Bürger und regelmäßige Besucher der Stadt kommen im Laufe dieses Tages auf den Quai, um weiße Rosen niederzulegen und ihre Trauer zu bezeugen.
Das Leben geht weiter, die Trauer bleibt
Kerstin kommt aus Schweden und fühlt sich fast wie eine Bewohnerin der Stadt. Seit 30 Jahren kommt sie in den Ferien in ihre Sommerwohnung in Nizza. Wie viele andere lässt sie sich nicht abschrecken, der Tourismus in Nizza ist fast wieder auf dem Niveau von früher. Aber ist die Stadt unbekümmert und in Partylaune wie immer?
Dieser Tag ist außergewöhnlich ruhig, keine Musik in den Bars und Cafés, kein Feuerwerk und kein Volksfest wie sonst am Nationalfeiertag. "Es hat bleibende Spuren hinterlassen, ein bisschen mehr Misstrauen vielleicht, aber es ist wichtig, dass das Leben auch weitergeht. Aber auf der anderen Seite ist es auch wichtig, sich zu erinnern und nicht zu vergessen, was passiert ist", sagt die Schwedin.
Eine Zeugin des Anschlages und eine echte "Nicoise" ist Berthe, und ihre Erinnerung an den mörderischen Lastwagen, der, von einem Franzosen tunesischer Abstammung gelenkt, durch die Menge raste, ist noch lebhaft. Sie war selbst dabei auf dem Boulevard: "Das wird nie weggehen. Diese Bilder bleiben in meinem Kopf. Ich war dahinten beim Hotel Negrescu und alle fingen an zu rennen, da bin ich mitgerannt und in der Panik hingefallen. Ich spürte nur, dass etwas Furchtbares passiert sein muss". Erst nach den Schüssen (auf den Täter) erkannte Berthe das Ausmaß des Anschlages. "So etwas vergisst man nicht, und es verändert das Leben. Ich habe schon ein bisschen mehr Angst".
Hat der Staat versagt?
Zur offiziellen Gedenkfeier mit Militärparade - denn der 14. Juli bleibt schließlich Frankreichs Nationalfeiertag - kommt in diesem Jahr als Zeichen der Anteilnahme auch der Präsident. Sein Vorgänger hatte noch den damaligen Ministerpräsidenten Manuel Valls nach Nizza entsandt, der von den Angehörigen der Opfer ausgebuht wurde. Noch heute sind ein Teil der betroffenen Familien wütend auf den Staat, der sie nicht besser beschützt hatte. Nur etwa die Hälfte von ihnen haben sich zu dem Treffen mit Präsident Macron angesagt.
Und Graziano, der aus Italien kommt, aber seit Jahrzehnten seine Sommer in Nizza verbringt, versteht ihren Ärger: "Ich habe diesen Horror-Laster gesehen hier auf der Promenade vor einem Jahr. 86 Menschen sind gestorben für nichts. Und ich habe auf der ganzen Strecke mit der großen Menschenmenge nur drei Polizeiposten gesehen. Warum gab es nicht mehr Sicherheit? Dieser Anschlag hätte verhindert werden können, man hätte den Laster viel früher stoppen können. Das ist das Traurige daran. Ich kann den Zorn der Familien verstehen".
Die noch andauernde Untersuchung der Sicherheitsvorkehrungen am 14. Juli 2016 hat bisher noch kein Ergebnis gebracht. Es seien die einfachen Leute gewesen, die sich auf der Strandpromenade vergnügten, und die dem Anschlag zum Opfer fielen. Ob der Grund für die Indifferenz der Behörden die Tatsache sei, dass diese Leute weniger Geld für teure Prozesse hätten und keine politischen Beziehungen, fragt die Zeitung Le Monde in ihrem Leitartikel.
Politische Folgen
In Nizza bleibt eine gewisse Bitterkeit zurück, weil die Zentralregierung in Paris zwar nach den vorhergegangenen Anschlägen die Hauptstadt gut gesichert hatte, die weit entfernte Provinz aber zu vergessen schien. Paris wiederum zeigte mit dem Finger auf die lokalen Behörden, die für die Sicherheit des 14. Juli zuständig seien. Aber es sind keine Köpfe gerollt in der Regionalregierung, und Christian Estrosi, der starke Mann der herrschenden konservativen Partei, leitet die Trauerfeiern an diesem Gedenktag. Der Ausnahmezustand aber, den Präsident Holland im vorigen Sommer hatte aufheben wollen, ist inzwischen zum sechsten Mal verlängert und quasi zum Dauerzustand in Frankreich geworden. Präsident Emmanuel Macron will ihn im Herbst sogar in die normale Gesetzgebung überführen und damit die Befugnisse von Polizei und Sicherheitsbehörden dauerhaft ausweiten.
Einwohnerin Josie ist durch die massive Polizeipräsenz beruhigt: "Man sieht Militär und Polizisten überall, also habe ich keine Angst. Und ansonsten muss man auch weiterleben. Es gehört dazu, nach vorne zu schauen, wenn auch die Gefühle und die Traurigkeit bleiben. Das wird nie vergehen." Und sie legt ihre weiße Rose zu all den anderen, die auf dem Boulevard des Anglais an die Opfer vom 14. Juli erinnern sollen.