Kernfusion - die ewige Baustelle
18. Mai 2014Auf der Baustelle des Iter-Projekts in Cadarache im Süden Frankreichs scheint die Sonne. Laurent Schmieder steht vor einem riesigen Erdloch. Bauarbeiter legen hinter ihm das Fundament des Lochs mit Stahlrohren aus. Der für den Grundsteinbau verantwortliche Ingenieur Schmieder ist zuversichtlich: "Bis im Jahr 2018 werden wir die Vorrichtung für den Tokamak fertig gestellt haben", sagt er. Dann beginnt für die Physiker am Iter die heiße Phase - denn der Tokamak, ein 30 Meter hoher und 23.000 Tonnen schwerer Stahlkoloss ist das Herz des Kernfusionprojekts.
Ungefähr fünf Autominuten von der Baustelle entfernt hat Osama Motojima sein Büro. Der Generaldirektor von Iter wirkt fast etwas müde, als er sagt: "Wir wollen transparent sein." Der Bau von Iter steht seit Jahren in der Kritik. Schon zweimal wurde der zeitliche Fahrplan des Projekts verlängert. Schon zweimal wurden die Kosten nach oben korrigiert: Statt wie ursprünglich geplant fünf Milliarden Euro kostet Iter nach aktuellen Berechnungen nun zwischen 15 und 16 Milliarden Euro. Damit ist Iter nach der internationalen Raumstation ISS das zweitteuerste Forschungsprojekt weltweit.
Ein internes Gutachten hat dem Management von Iter vor kurzem schlechte Noten ausgestellt. Im Juni 2015 wollen sich die Projektpartner auch deshalb abermals auf einen finalen Fahrplan für Iter einigen. Motojimas drückt es vorsichtig so aus: "Ich erwarte, dass wir dann nochmal zwei bis drei Jahre Verspätung haben werden." Im Klartext heißt das, die erste Zündung des Tokamaks verschiebt sich weiter und wird erst zwischen 2022 und 2023 stattfinden.
Zwischen Vision und Industriepolitik
Mit der Verspätung könnte auch der finale Preis für das Mammutprojekt nochmals nach oben schnellen - und das wird die beteiligten Forschungspartner nicht erfreuen. Das Geld für Iter stammt aus den Töpfen der EU, Russlands, Indiens, Koreas, Chinas, Japans und den USA. Die Europäische Union stellt mit circa 45 Prozent den größte Beitrag.
Der Grund für die internationale Zusammensetzung ist einfach: Das Projektvorhaben ist für ein Land alleine zu groß. Die Projektstruktur verkompliziert aber auch den Prozess, denn die Organisation Iter ist nicht wirklich autark. Die sieben Vertragspartner überweisen in etwa nur zehn Prozent ihrer Beiträge per Scheck an Iter. Die übrigen 90 Prozent liefern sie als Bauteile, die sie von ihrer jeweiligen Industrie fertigen lassen.
Das internationale Forschungsprojekt ist also gleichzeitig auch ein Instrument zur Förderung ihrer eigenen Industriepolitik. Die teilnehmenden Länder möchten die Arbeitsplätze am liebsten in ihren Ländern haben und wollen die benötigte Technik gerne selbst fertigen. Das macht die Abstimmung kompliziert und hat in der Vergangenheit zu Verzögerungen beim Design der Anlage und beim Bau geführt.
Schwindender Rückhalt?
Dabei ist die Idee von Iter durchaus förderungswürdig. Als Vorbild dient dabei die Sonne: Ähnlich wie dort sollen durch ein Gemisch aus den Wasserstoffteilchen Deuterium und Tritrium schnelle Elektronen entstehen. Deren Bewegungsenergie wollen die Forscher dann in Wärme und eines Tages in Energie umwandeln.
Möglich ist dieser Prozess nur bei großer Hitze - und um diese Hitze zu produzieren, brauchen die Wissenschaftler Energie - viel Energie. Das ist auch das Problem aller bisherigen Kernfusionsprojekte: Die eingesetzte Energie überstieg bisher immer das, was rauskam. Die unglaubliche Größe von Iter soll das eines Tages ändern.
Sollten die Kosten aber abermals in die Höhe schnellen, könnte das Projekt weiter an Rückhalt in den beteiligten Staaten verlieren. Erst vor kurzem hat das Energieministerium der USA einen Entwurf für das Jahr 2015 vorgelegt - laut der Zeitung "NZZ" geht das US-Energieministerium darin davon aus, dass der eigene Anteil an Iter bis zu 4,8 Milliarden Euro betragen könnte. Rechnet man diese Summen auf die Gesamtkosten hoch, so würde Iter bereits 40 Milliarden Euro kosten.
Generaldirektor Motojima sieht aber keine Gefahr, dass die USA die Notbremse ziehen werden: "Die USA haben immer noch großes Interesse und Verantwortungsbewusstsein, so dass sie nicht aus dem Projekt aussteigen werden", sagt er zuversichtlich. Aber trotzdem: Das Projekt Kernfusion wird erstmal weiter eine Baustelle bleiben.