Abschiebungen nach Afghanistan gehen weiter
22. Juni 2017Nach den wiederholten Anschlägen in Kabul waren die umstrittenen Abschiebungen nach Afghanistan zunächst auf Eis gelegt worden. Nun sollen sie nach Informationen von NDR und Spiegel Online aber wieder fortgesetzt werden. Demnach soll bereits am kommenden Mittwoch eine Charter-Maschine am Flughafen Leipzig-Halle starten, um Straftäter, Gefährder oder Menschen, die ihre Identität nicht verraten wollen, nach Kabul zu fliegen. Das zuständige Bundesinnenministerium wollte dies auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. Das sei üblich, denn solche Maßnahmen sollten nicht gefährdet werden.
Günter Burkardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, kritisierte die bevorstehende Abschiebung nach Afghanistan. "Es ist unfassbar und unerträglich, dass entgegen aller Fakten der nächste Flieger starten soll", sagte er. Das Auswärtige Amt solle zunächst einen neuen Lagebericht zu Afghanistan vorlegen, bevor Menschen in eine lebensgefährdende Situation abgeschoben würden.
Die Flüge waren zunächst ausgesetzt worden, nachdem bei einem Anschlag in Kabul Ende Mai die deutsche Botschaft schwer beschädigt worden war. Bei der Attacke starben mindestens 150 Menschen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder vereinbarten daraufhin, dass das Außenministerium die Sicherheitslage im Land neu bewerten solle, was noch nicht abschließend passiert ist.
Während auf Bundesebene SPD und Grüne einen Stopp der Abschiebungen fordern, sprach sich der sozialdemokratische Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius, für eine Fortsetzung der Flüge aus. "Wir können nicht jedem Mann und jeder Frau die Möglichkeit geben, in Deutschland zu bleiben", erklärte Pistorius am Samstag im Verlauf der Mitgliederversammlung des niedersächsischen Flüchtlingsrats in Hannover. Dies sei nicht Aufgabe des Asylrechts und setze auch ein fatales Zeichen gegenüber Schleuserbanden.
SPD uneins über Abschiebestopp
Pistorius bekräftigte aber, Afghanen, die nicht straffällig geworden oder als Gefährder eingestuft seien, hätten nichts zu befürchten und schon durch das Duldungsrecht eine reelle Chance, sich in Deutschland zu integrieren. Flüchtlingsräte und Pro Asyl hatten zuvor gefordert, Abschiebungen nach Afghanistan angesichts der angespannten Lage in dem Land komplett zu stoppen. Zudem müssten alle 2016 und 2017 abgelehnte Asylanträge von Afghanen neu bearbeitet werden.
Nach Angaben der Vereinten Nationen hat es im Zeitraum zwischen Januar und Ende Mai acht große Anschläge in Kabul und 42 große Anschläge in anderen Landesteilen gegeben. Am stärksten habe die Gewalt im Osten und Süden zugenommen, heißt es im jüngsten Dreimonatsbericht an den UN-Sicherheitsrat.
djo/stu (dpa, epd, kna)