Weihnachtsmärkte: München trauert, andere hoffen noch
21. November 2021Am Münchner Marienmarkt erklingt die Melodie des Volkslieds "Muss I denn zum Städele hinaus". Touristen recken ihre Handys in die klare, kalte Novemberluft, um zu filmen, wie sich die Figuren im Spielwerkserker am Rathaus zum Geläut der 43 Glocken im Kreis drehen. Auch Matheus Couto hat sein Handy gezückt. Der 29-jährige Brasilianer promoviert in Göttingen. "Ich saß fünf Stunden im Zug nach Süden und hätte eigentlich gerne den Christkindlmarkt hier in München besucht."
Doch der traditionelle Weihnachtsmarkt wurde kurzfristig abgesagt. Vor und hinter Couto stehen die bereits aufgebauten und nun verrammelten Holzbuden. An einigen hängen ein paar rote Kugeln oder einsame Tannenzweige. In normalen Zeiten drängen insgesamt drei Millionen Menschen in der Vorweihnachtszeit zwischen den Buden hindurch, kaufen Geschenke, wärmen sich die Hände an Glühweintassen.
Corona-Notstand in Bayern
"Vielleicht hätte man ja einen Bereich absperren können, der sich kontrollieren lässt?" fragt Couto. "Dann hätte man zumindest Geimpfte und Genesene reinlassen können." Doch daraus wird nichts. Weder in München noch in anderen bayerischen Städten wie Nürnberg, zu dessen Christkindlmarkt Touristen normalerweise sogar aus Tokio anreisen.
Bayern ist neben Sachsen derzeit am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen. Die Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, hat mancherorts die 1000 überschritten. Teilweise wurden Lockdowns verhängt, die Weihnachtsmärkte überall abgesagt. "Weil wir glauben, es führt zu unzähligen Kontakten, es gibt keine effektive Kontrolle", so der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Angesichts geschlossener Clubs und Bars befürchtet er, dass sich auf den Weihnachtsmärkten besonders große Menschenmassen sammeln könnten. "Es tut uns leid, auch um die Schausteller."
Starke Männer weinen
Engel, Sterne, kleine Bäumchen: das wäre das Sortiment gewesen, das Christian Schöttl seinen Kunden verkauft hätte. Den größten Stand für Baumbehang und anderen Weihnachtsschmuck betreibe der Händler auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz, erzählt er der DW am Telefon. Nun habe er schon abgebaut.
"Als die Absage kam, standen wir alle zusammen am Marienplatz mit Hoffen und Bangen", sagt er. "Und unsere starken Schausteller-Männer, die mit tonnenschweren Zugmaschinen durch Bayern donnern, die hatten Tränen in den Augen. Weil sie wirklich nicht mehr wissen, wie es mit ihren Familien weitergehen soll."
Wieder kein Oktoberfest?
Schöttl kommt aus einer alten Schausteller-Familie. "Meine Oma hat schon gesagt: Immer was auf die Seite legen! Aber jetzt wird es langsam richtig, richtig eng." Online lässt sich Weihnachtsschmuck nur schwer verkaufen. "Die Emotion ist anders, wenn man vor dem Geschäft steht und es glitzert und riecht nach Glühwein." Im letzten Corona-Winter hat es Schöttl im Internet versucht, doch das hat lediglich 1100 Euro Umsatz eingebracht.
Ihn plagten Existenzängste. "Auch weil wir stark damit rechnen, dass es nächstes Jahr wieder kein Oktoberfest gibt. Vielleicht hat sich das Coronavirus dann schon wieder weiterentwickelt. Wann haben wir wieder Einnahmen? Wir haben richtig Angst."
Besucherandrang in Aachen
Je nach Infektionslage werden überall in Deutschland derzeit Weihnachtsmärkte abgesagt. Wo sie stattfinden dürfen, geschieht das unter strengen Auflagen. 2G, also Zutritt nur für Geimpfte und Genesene, ist fast überall vorgeschrieben.
Am Beispiel von Aachen, einer Stadt mit 280.000 Einwohnern an der Grenze zu den Niederlanden und Belgien, fällt der größte Schwachpunkt dieses Konzepts rasch ins Auge. Eine effektive Kontrolle ist praktisch unmöglich. Der Markt erstreckt sich mit 115 Holzbuden über weite Teile der historischen Innenstadt, die von allen Seiten frei zugänglich ist. In normalen Jahren kommen bis zu 1,5 Millionen Besucher.
Nicht jeder kann überprüft werden
Kontrollen sind nur stichprobenartig vorgesehen, Polizei und Ordnungsamt patrouillieren vereinzelt zwischen den weihnachtlich geschmückten Ständen. So viel Normalität wie möglich, das ist die Devise der Marktbetreiber. Es durftet nach Glühwein, nach Zimt und gebrannten Mandeln. In den Gassen flanieren die Menschen entspannt an den frei zugänglichen Buden vorbei.
Anders ist es in den sogenannten Gastrobereichen, in denen Tische und Stühle stehen. Wer hinein will, muss einen Impf- oder Genesenen-Nachweis und den Ausweis vorlegen. Im Gegenzug gibt es ein weißes Papier-Bändchen. "Damit haben Sie Zugang zu allen Gastrobereichen auf dem Markt", sagt der Kontrolleur. "Ich darf Ihnen aber nicht helfen, das anzulegen", sagt er noch, bevor er sich um die nächsten Gäste kümmert. Der Mann hat aber nicht zu kontrollieren, dass das Band tatsächlich am Arm und nicht zwecks Weitergabe in der Tasche landet.
Maskenpflicht überall
"Muss ich jetzt die Maske wieder aufsetzen?", fragt eine Frau ihren Mann, nachdem die beiden eine Bratwurst gegessen haben. Der Mann weiß es nicht. Tatsächlich fallen die Hinweisschilder auf die Maskenpflicht und 2G nur bei genauem Hinsehen ins Auge.
Was dort in deutsch, englisch, französisch und niederländisch zu lesen ist, stimmte allerdings schon am Eröffnungstag nicht mehr, nachdem die Stadt Aachen kurzfristig die Zugangsregeln für alle unter 18 Jahren lockerte. Für sie gilt 2G nun doch nicht, die Schilder müssen neu gedruckt werden.
Das Vergnügen auskosten - solange es geht
Kann das gutgehen? "Die meisten Aussteller hier befürchten, dass wir nicht bis zum 23. Dezember geöffnet bleiben dürfen", sagt Rolf Gerrards, der mit seiner "Hütte 16" einen großen Gastrostand betreibt. "Die Corona-Infektionszahlen steigen doch immer weiter." Gerrards sagt das mit einer gewissen Wehmut. Existenzbedrohend wäre es für ihn nicht, da er hauptberuflich eine Metzgerei in Aachen betreibt.
176 Personen dürfen in der Hütte 16 bewirtet werden, in normalen Jahren stehen rund dreimal so viele Besucher in Trauben mit Sauerbraten-Gulasch und Glühwein um den Stand herum. Jetzt ist der Stand abgesperrt und am Eingang zum Außenbereich steht eine lange Schlange. Es scheint, als wollten die Menschen das vorweihnachtliche Vergnügen auskosten - so lange es eben noch geht.
Unverständnis für Ungeimpfte
Am Münchener Marienplatz bimmeln unterdessen wieder die Glocken, es erklingt der so genannte Schäfflertanz. Oben im Erker drehen sich Gesellen in roten Jacken mit grünen Mützen auf dem Kopf um die eigene Achse. Die Schäffler, oder Fassmacher, so erzählt die Legende, hätten sich nach einer Pestepidemie im 16. Jahrhundert als erste wieder auf die Straßen der Stadt getraut und mit diesem Tanz die Bevölkerung erheitert.
Abseits der verrammelten Bretterbuden des nicht stattfindenden Weihnachtsmarkts hat sich eine 100 Meter lange Schlange gebildet, die sich rund ums Rathaus herum zum Impfzentrum windet. Seit zwei Stunden stehe sie schon hier, erzählt die 82-jährige Erika Aigner und behält ihren Platz in der Schlange im Blick, während sie spricht.
"Ich hatte meine Zweitimpfung im März, das sind jetzt acht Monate, da wird es Zeit für die Auffrischung. Aber beim Hausarzt war erst Anfang Dezember ein Termin frei." Eine Stunde werde es wohl noch dauern, bis sie dran sei, schätzt sie. Dass der Christkindlmarkt abgesagt sei, könne sie verstehen angesichts der Infektionszahlen im Land, sagt Aigner. "Aber ich verstehe die Leute nicht, die sich nicht impfen lassen. Irgendwann muss das doch mal vorbei sein."