Weidmann: Ende der Fahnenstange
14. September 2014Deutsche Welle: Herr Weidmann, die klassische Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist an ihr Ende gekommen. Der Leitzins in der Euro-Zone liegt fast bei Null. Jetzt will die EZB mit einem neuen Programm verbriefte Kredite aufkaufen. Ist das eine gute Strategie?
Jens Weidmann: Ich denke, dass der Kernpunkt, bei dem wir uns auch einig sind im EZB-Rat, ist, dass die Geldpolitik die Krise im Euro-Raum nicht lösen kann. Das kann nur die Politik selbst, indem sie die Strukturprobleme angeht. Sie haben Recht, die konventionelle Geldpolitik, die Zinspolitik, ist am Ende der Fahnenstange angekommen. Und alles, was wir jetzt diskutieren, ist für die Notenbank Neuland, und zwar mit einer Wirksamkeit, die unsicherer ist als bei den konventionellen Instrumenten sowie Risiken und Nebenwirkungen, die stärker zutage treten können.
Je länger diese expansive Geldpolitik andauert, desto größer werden diese Risiken und Nebenwirkungen, desto weniger wirksam wird die Geldpolitik. Insofern ist es wichtig, dass diese geldpolitischen Beschlüsse nicht dazu führen, dass die Politik in ihren Anstrengungen nachlässt, sondern dass die Probleme an der Wurzel angepackt werden.
Stecken in dem Aufkauf dieser Finanzprodukte nicht auch Risiken, Risiken am Ende mal wieder für den Steuerzahler?
Sie wissen ja, dass die Entscheidung umstritten war und dass wir sehr intensiv und kontrovers über die jüngsten Beschlüsse im EZB-Rat diskutiert haben. Es gibt einen Unterschied für mich in Bezug auf die Frage, wie risikoreich die Geldpolitik ist. Wenn die Entscheidungen dazu führen, dass Risiken aus den Bankbilanzen verlagert werden in die Bilanz der Notenbank und damit auf den Steuerzahler, dann ist das auch negativ in Bezug auf die Anreize, die das hat.
Wir wollen ja als Lehre aus der Krise das Haftungsprinzip stärker durchsetzen, das heißt, dass diejenigen, die Entscheidungen treffen, auch für diese Entscheidungen einstehen müssen. Auf der anderen Seite ist das natürlich eine Entscheidung, die fiskalische Auswirkungen hat, bei der die Notenbank sehr vorsichtig sein sollte.
Man merkt hier bei der Tagung in Mailand, dass die Begeisterung der Finanzminister für dieses neue Instrument der Notenbank nicht so besonders groß ist. Manche Minister sagen, wir wollen im Falle eines Falles keine Sicherheitsleistungen erbringen, so wie das EZB-Präsident Mario Draghi eigentlich gewünscht oder gefordert hat. Muss uns das besorgt machen, wenn die Finanzminister hier nicht mitziehen?
Ich finde, diese Diskussion unterstreicht vor allem eines: Es geht darum, Risiken zu übernehmen. Die Entscheidungen, ob im Namen des Steuerzahlers Risiken eingegangen werden, die sollte bei den Finanzministern liegen.
Wie verhält es sich mit dem Schreckgespenst der Deflation, das immer ein wenig über dieser Tagung geschwebt ist? Sehen Sie die Gefahr eines wirklichen Preisverfalls in der Euro-Zone? In Italien, dem Gastgeberland, ist es schon soweit, da lag die Deflation im August bei minus 0,3 Prozent.
Wir haben im Euro-Raum sicherlich insgesamt eine Phase sehr schwacher Preisentwicklung. Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Die Energiepreise spielen eine Rolle, aber auch die Anpassungsprozesse, die stattfinden müssen. Letztlich spiegelt sich darin wider, dass wieder Wettbewerbsfähigkeit gewonnen wird, preisliche Wettbewerbsfähigkeit in manchen Krisenländern. Das ist eine ganz andere Situation als die einer sehr negativen, problematischen Deflationsspirale. Gleichwohl müssen wir als Notenbank natürlich sehen, dass wir die Inflationserwartungen im Blick behalten. Wir haben ja eine Definition von Preisstabilität von knapp unter zwei Prozent Inflation. Es muss uns natürlich kümmern, wenn die Bürger ihre Inflationserwartungen nicht mehr am Ziel der Notenbank ausrichten.
Sie, die Bundesbank, haben vor gut zwei Jahren viel Beifall von vielen deutschen Ökonomen erhalten, als Sie sich offen gegen massive Ankäufe von Staatsschulden durch die EZB ausgesprochen haben. Wie ist es diesmal bei diesem auch etwas ungewöhnlichen Programm des Ankaufs von verbrieften Krediten. Sind Sie dafür oder dagegen, oder sagen Sie es lieber nicht?
Meine Position - es ist ja nicht die Bundesbank, die im EZB-Rat vertreten ist, sondern ich persönlich - ist hinreichend bekannt. Ich habe immer eine sehr konsistente Linie vertreten, so dass ich das Beratungsgeheimnis nicht brechen muss.
Also haben Sie mit Nein gestimmt?
Ich werde Ihnen das nicht sagen. Es kommt mir auch nicht darauf an, Applaus von der einen oder anderen Seite zu bekommen, sondern das zu machen, was ich für richtig halte. Das ist eine Geldpolitik, die ihr Mandat relativ eng definiert und ganz klar am Prinzip der Preisstabilität ausgerichtet ist. Gleichzeitig muss man zugestehen, dass sich die Geldpolitik eben im Moment in einer sehr schwierigen Lage befindet, weil die Inflationsrate niedrig ist und sich vom Ziel der Notenbank entfernt.
Das Interview führte Bernd Riegert (Mailand)
Dr. Jens Weidmann (46) ist seit Mai 2011 Präsident der Deutschen Bundesbank. Er vertritt Deutschland im Rat der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, der die Geldpolitik in den 18 Euro-Staaten festlegt. Zuvor war der Volkswirt Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt und in der Schulden- und Euro-Krise nach 2008 engster wirtschaftspolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel.