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Gesellschaft

Genitalverstümmelung ein "globales Problem"

Sarah Steffen
6. Februar 2017

Über 200 Millionen Frauen und Mädchen leiden nach Angaben der Vereinten Nationen unter den Folgen der Genitalverstümmelung. Manche wurden von ihren Eltern ins Ausland gebracht, um dort beschnitten zu werden.

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Kenia Mann trägt T-Shirt gegen Weibliche Genitalverstümmelung - Female Genital Mutilation FGM
Bild: Reuters/S. Modola

Mariya Taher war sieben Jahre alt, als ihre Eltern sie auf eine Reise nach Indien mitnahmen. Taher und ihre Schwester, beide in den USA geboren, waren schon vorher im Heimatland ihrer Eltern gewesen, um Verwandte zu besuchen. Doch diese Reise war anders.

Ihre Mutter brachte Taher in ein heruntergekommenes Haus in Mumbai. "Ich erinnere mich daran, dass ich auf den Boden gelegt und dann beschnitten wurde", sagte Taher im Gespräch mit der DW. "Ich habe geweint, weil es so wehgetan hat."

Ihre Mutter und die anderen Frauen hätten sie nach dem Eingriff - genannt weibliche Genitalverstümmelung (FGM) bzw. weibliche Genitalbeschneidung - getröstet. "Sie haben mir einen Softdrink gegeben, als es vorbei war. Aber ich erinnere mich nicht mehr an viel, was danach passiert ist."

Taher wurde ein Stück ihrer Klitorisvorhaut entfernt, so, wie es die Tradition der Dawoodi-Bohra-Gemeinschaft will. Die Dawoodi-Bohra ist eine schiitisch-muslimische Sekte, der etwa zwei Millionen Menschen angehören.

Während Taher für ihre Beschneidung nach Indien, ins Ausland, gebracht wurde, ließen ihre Eltern die Schwester später direkt in den USA beschneiden. 

"Mächtige Tradition"

"Ich glaube, Menschen unterschätzen die Bedeutung von Tradition und was für einen mächtigen Einfluss sie hat", sagte Taher. Sie versuchte, die Beweggründe ihrer Eltern zu erklären, ihre Töchter beschneiden zu lassen. 

"Es ist auch etwas, das als soziale Norm verstanden wird. Wenn du es nicht machen lässt, dann tust du nicht das Beste für dein Kind. Und FGM wurde auf eine Art und Weise dargestellt, dass es als eine Form des Sich-Kümmerns angesehen wird."

Genitalverstümmelung Messer
Der Internationale Tag gegen Genitalverstümmelung am 6. Februar weißt auf die schreckliche Praxis des Beschneidens hinBild: picture-alliance/dpa/Unicef/Holt

Taher, die heute 34 ist, hat die NGO Sahiyo gemeinsam mit vier anderen Frauen gegründet, um dafür zu sorgen, dass kein Mädchen mehr beschnitten wird. 

Um das Globale Ziel der UN zu erreichen, weibliche Genitalverstümmelung bis 2030 zu stoppen, müssten allerdings alle Gemeinschaften, die die Praktik durchführen - auch in Asien - unterstützt werden, sagte Taher. Denn es sei nicht nur ein "afrikanisches Problem".

Offizielle Zahlen, wie viele Frauen beschnitten wurden, gibt es nicht, da die Praxis meist heimlich durchgeführt wird. Nach Schätzungen des UN-Kinderhilfswerks UNICEF leiden mehr als 200 Millionen Mädchen und Frauen in 30 Ländern unter den Folgen der Genitalverstümmelung. Laut UNICEF gibt keine verlässlichen Zahlen über Fälle in Industrieländern.

Die Zahlen der Betroffenen könnten viel höher sein, sagte Taher. "Ich zum Beispiel bin gar nicht Teil dieser Statistik. Und viele Länder in Asien sind auch nicht Teil dieser Statistik. Auch Kinder der zweiten oder dritten Generation werden nicht berücksichtigt."

"Eine globale Angelegenheit"

"FGM ist eine globale Angelegenheit", so Christina Catherine Pallitto, FGM-Expertin der Weltgesundheitsbehörde WHO. FGM werde am häufigsten in West-, Ost- und Nordostafrika, in manchen Ländern des Nahen Ostens und Asien sowie unter Migranten dieser Regionen durchgeführt, teilte sie der DW per Email mit. 

"Global betrachtet sind jedes Jahr schätzungsweise drei Millionen Mädchen gefährdet, beschnitten zu werden." 

Die WHO teilt FGM in vier verschiedene Kategorien ein; je nach Art und Weise des Schnitts. "Oft hört man Leute sagen 'Oh, diese schlimmeren Formen, die in Afrika passieren, das sind Verstümmelungen, die aufhören müssen. Aber was wir hier machen ist sicher, besonders, wenn es in einem medizinischen Umfeld geschieht'", sagte Taher, die diejenigen zitiert, die die Praktik verteidigen.

Denn immer mehr Genitalvestümmelungen werden nicht mehr von Laien, sondern von medizinischem Personal ausführt - wie etwa in Indonesien oder Singapur.  "Das verletzt Gesundheitsrichtlinien", sagte sie. Und: "Alle Arten von FGM sind furchtbar."

Blutungen, Infektionen und andere Komplikationen

Es gibt keinerlei Vorteile, wenn Frauen beschnitten werden - im Gegenteil: die Prozedur kann zu schweren Blutungen, Problemen beim Wasserlassen, Zysten, Infektionen, lebenslangen Beschwerden und Komplikationen bei Geburten führen. Einige Mädchen sterben an den Folgen. FGM ist international als Menschenrechtsverletzung anerkannt.

Taher sagt, dass es wichtig sei, alle Gemeinschaften, die FGM praktizieren, davon zu überzeugen, die Genitalverstümmelungen zu beenden. 

Elfenbeinküste Mädchen bei Information Aufklärung gegen weibliche Genitalverstümmelung Female Genital Mutilation / Cutting (FGM / C) der UNICEF
Eine NGO-Mitarbeiterin klärt Dorfbewohner in der Elfenbeinküste über Genitalverstümmelungen aufBild: picture-alliance/dpa/Unicef/Asselin

"Ich habe mit meinen Eltern viele Gespräche geführt. Es läuft alles auf Tradition hinaus. Es wurde von ihnen erwartet", sagte sie. Aber sie hat durchaus Hoffnung, dass die Beschneidungen bald der Vergangenheit angehören.

"Menschen ändern ihre Ideen und Gedanken. Man sieht nun, dass sozialer Wandel tatsächlich stattfindet - nicht über Nacht, aber man sieht die Fragen und Gespräche, die stattfinden."

WHO-Expertin Pallitto weist auf eine Vielzahl von Aktionen hin, die dabei helfen können, FGM zu stoppen - zum Beispiel Gesetze, die die Praktik verbieten sowie die Anwendung von bereits existierenden Gesetzen. Außerdem sei es wichtig, über die Risiken von FGM aufzuklären und soziale Normen beim Übergang ins Erwachsenenleben zu ändern.

In den USA wurde FGM bereits 1996 verboten; eine Lücke im Gesetz, die Eltern ausnutzten, um ihre Kinder im Ausland beschneiden zu lassen, wurde 2013 geschlossen.

"Außerdem sollten Gesundheitsmitarbeiter geschult werden, Forderungen nach Beschneidungen abzulehnen", so Pallitto weiter.

Für Taher ist der Schlüssel Bildung - und die Gemeinschaften selbst. "Wir versuchen, eine kritische Masse an Leuten aufzuklären, um zu zeigen, dass wir uns dazu entscheiden können, FGM nicht fortzusetzen. Ich denke, oft realisieren die Menschen einfach nicht, dass diese Option existiert - dass wir einfach beschließen können, damit aufzuhören."