WEF in Vietnam: Der Tiger springt
11. September 2018Die Brücke über den Bach Dang ist nagelneu. Majestätisch spannt sie sich 25 Meter breit und drei Kilometer lang über die große Mündung des Flusses unweit der nordvietnamesischen Hafenstadt Haiphong. Es herrscht geschäftiges Treiben auf dem Fluss und der angrenzenden See.
Die chinesische Grenze ist weniger als 200 Kilometer entfernt. Auf der Straße stauen sich riesige Lastwagen, beladen mit Holz und Industriegütern. Sie transportieren Waren von den Schiffen ins Land. Oben auf der Brücke halten einige vietnamesische Touristen verbotenerweise mit ihrem Auto auf dem Seitenstreifen und fotografieren sich stolz. Im Hintergrund ein beeindruckender Ausblick auf große Frachtschiffe und die Weite der Bucht.
Kommunismus und Kapitalismus
Die vietnamesische Wirtschaft wird nach einer Prognose der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) in diesem Jahr um 6,7 Prozent wachsen, das wäre nur marginal weniger als 2017 (6,8 Prozent). Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp über zwei Prozent.
"Das Investitionsklima ist gut", erzählt Marko Walde vom Delegiertenbüro der deutschen Wirtschaft im Gespräch mit der DW. "Man kann als Ausländer zu 100 Prozent ein eigenes Unternehmen gründen, auch als alleiniger Gesellschafter, ein Joint Venture ist nicht nötig", ergänzt er.
Das kommunistisch regierte Vietnam setzt wirtschaftlich auf den freien Markt, ohne staatliche Eingriffe bei privaten Investoren. Die eigenen vietnamesischen Staatsbetriebe werden aber immer noch bevorzugt. Sie erhalten leichteren Zugang zu Krediten und müssen sich nur bedingt dem Wettbewerb stellen. Ihr Maschinenpark ist oft veraltet, die Managementstrukturen auch. Hier sieht nicht nur Marco Walde noch erheblichen Modernisierungsbedarf.
Nicht nur auf China setzen
Trotzdem scheinen Investitionen in Vietnam eine interessante Ergänzung zu denen in China zu sein. "China plus 1", heißt die Formel, die von Unternehmen schon länger ins Gespräch gebracht wird. Danach soll man als Investor nicht nur auf den chinesischen Markt setzen, sondern in mindestens einem weiteren asiatischen Land investieren, um ausreichend gegen mögliche Risiken abgesichert zu sein. Wie groß die Risiken sein können, zeigen aktuell die US-amerikanischen Strafzölle auf chinesische Produkte.
Mittelschicht mit Ansprüchen
Vietnam ist mit seinen knapp 94 Millionen Einwohnern ein großer Markt und die Bevölkerung jung. Das Durchschnittsalter liegt bei 29 Jahren.
Der Nachholbedarf ist groß. Auf der rund 120 Kilometer langen Fahrtstrecke von Hanoi in die Hafenstadt Haiphong reiht sich am Straßenrand eine Baustelle an die nächste. Komfortable Wohnkomplexe für die wachsende Mittelschicht entstehen. Gnadenlos wird dafür Altes abgerissen. Auf großen Plakaten wird mit Swimmingpools und Grünflächen geworben. Einige neue Wohnkomplexe werden vom eigenen Wachdienst geschützt. Wer durch die Schranke will, muss sich ausweisen. "Premium Living" nennen die Anbieter diese Wohnform.
Ein Auto "Made in Vietnam"
Jetzt soll sogar ein eigenes Auto gebaut werden. Auf einer 335 Hektar großen Fläche in der 'Dinh Vu-Cat Hai Economic Zone' baut das Privatunternehmen Vinfast eigene Produktionsstätten auf. Auf dem ehemals schlammigen Untergrund sind innerhalb von nur einem Jahr riesige Produktionshallen entstanden. Bagger und Lastwagen transportieren unermüdlich Schutt- und Baumaterialien, während im Eingangsbereich schon schmucke Grünanlagen angelegt werden. Hunderte Ingenieure arbeiten bereits im Entwicklungszentrum.
Vinfast ist ein Tochterunternehmen des Immobilien- und Industriekonglomerats Vingroup. Ende 2018 sollen die ersten Elektroroller "Made in Vietnam" auf den Markt kommen, dann will man einen SUV bauen und gleichzeitig ein eigenes Elektroauto entwickeln.
"Dieses Projekt ist schon jetzt ein Magnet", freut sich Vo Quang Hue, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der VinGroup. Er hat fast 30 Jahre bei deutschen Unternehmen in der Automobilbranche und später bei Bosch gearbeitet und nutzt seine Verbindungen. Vinfast hat seit September 2017 Kooperations- und Liefervereinbarungen, unter anderem mit BMW, Bosch, Siemens und ZF Friedrichshafen geschlossen. Besonders stolz ist Vo auf das eigene Ausbildungszentrum, das gemeinsam mit dem Delegiertenbüro der deutschen Wirtschaft gegründet wurde. Jedes Jahr sollen nun 200 Mechatroniker und Industriemechaniker ausgebildet werden. Für die ersten Ausbildungsplätze gab es über 4000 Bewerbungen.