Web Summit in Lissabon
8. November 2016Paddy Cosgrave, der "big boss" des Web Summit, ist leicht gereizt. Die portugiesischen Politiker - sie kommen anscheinend chronisch zu spät - haben seinen Gipfelfahrplan leicht durcheinander gebracht, gleich am ersten Tag, gleich bei der ersten Veranstaltung. Jetzt muss der Mittdreißiger das wieder in Ordnung bringen, zurück zur irischen Pünktlichkeit.
Ansonsten läuft alles ausgezeichnet, trotz des Umzugs von Dublin nach Lissabon: "Als wir 2010 anfingen, kamen gerade einmal 400 Teilnehmer. Jetzt sind es 53.000, das ist ein riesiges Treffen der Technologieindustrie." Der Web Summit Lissabon, der gestern begann, ist wohl das größte IT-Ereignis, das die Welt zu bieten hat.
Geld trifft auf Geschäftsideen
1.400 Investoren, so Cosgrave, versuchten auf dem Gipfel ihr Geld anzulegen; im vergangenen Jahr waren es immerhin rund 900 Millionen Euro, die in diverse IT-Unternehmen und Startups gesteckt wurden. 2016 dürfte das kaum anders sein, hofft Cosgrove. Geschäftsgelegenheiten wird es zwischen den zahllosen Konferenzen und Treffen reichlich geben, schließlich sind mehr als 20.000 Unternehmen vertreten.
Damit Kapital und Startups zusammen finden, gibt es eigene Kurz-Treffen, eine Art "speed-dating" für Investoren, bei denen Jungunternehmer in 15 Minuten ihre Geschäftsideen verkaufen können. "Wir haben hier eine Menge Geld und eine Menge guter Ideen, die wir zusammenbringen wollen", schwärmt Paddy Cosgrove.
Dafür wurde auf dem Lissabonner Messegelände eine eigene Gipfelhauptstadt mit Tausenden Ständen errichtet und sogar die Konzerthalle nebenan mit 20.000 Sitzplätzen in Beschlag genommen. Durch die pilgern begeistert Geeks und Geldgeber; die einen eher gelassen-begeistert, die anderen eher gehetzt, aber alle mit Smartphone und Computer.
Im Mittelpunkt: künstliche Intelligenz und selbstfahrende Autos
Neben Geld geht es natürlich auch um Neues: Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, vor allem aber das Thema selbstfahrende Autos stehen im Mittelpunkt des Web Summit, erklärt Cosgrave. "Die Top-Ingenieure von BMW, Daimler und VW sind diese Woche alle in Lissabon, werden ihre Kollegen von japanischen, amerikanischen und chinesischen Autokonzernen treffen." Alle anderen, die damit zu tun haben, natürlich auch.
"Ich freue mich auf den Erfahrungsaustausch", sagt Michael Hodel von der Berliner Werbeagentur BBDO. "Autonomes Fahren ist auch für unsere Kunden ein großes Thema. Da will ich so viel wie möglich erfahren, sehen, ob auch für uns etwas dabei ist."
Startups sollen aus der Krise führen
In der portugiesischen Hauptstadt ist derweil das Web-Summit-Fieber ausgebrochen: Überall verkünden Werbeplakate den Anbruch eines neuen IT-Zeitalters, die Medien vergleichen Lissabon mit Silicon-Valley und die Regierung wird nicht müde, die Vorteile der Veranstaltung für das dauerkrisengeschüttelte Land hervorzuheben.
Der Web Summit als rettender Strohhalm: Parallel zum Veranstaltungsbeginn hat Ministerpräsident António Costa eine 200-Millionen-Kreditlinie angekündigt, die innovativen Unternehmen mit Firmensitz in Portugal zu Gute kommen soll. Also Unternehmen - so der Regierungschef - die fähig sein müssen, auf die neuen Herausforderungen zu antworten, die die neue Wirtschaft bietet.
Portugals Krise dürfte den meisten Web-Summit-Teilnehmern jedoch egal sein. Erklärtes Hauptziel der Veranstaltung sei laut Gipfel-Chef Paddy Cosgrave das "networking", das Kontakteknüpfen. Auch dazu gibt es ausreichend Gelegenheit: Vom Surf-Summit im malerischen Küstenstädtchen Ericeira bis hin zum offiziellen Pub-Crawl, dem ganz und gar nicht virtuellen Zug durch Lissabons zahlreiche Kneipen. Auch Geeks müssen eben mal ausspannen!