Was über Massengräber im Donbass bekannt ist
18. Februar 2022Nur einen Tag, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin von einem "Genozid" im Donbass sprach, veröffentlichten russische Ermittlungsbehörden einen Bericht über "Massengräber von Zivilisten". Die darin genannten fünf Orte befinden sich in dem Teil des Donbass, der nicht von Kiew, sondern von prorussischen Separatisten kontrolliert wird - fast alle in der sogenannten "Volksrepublik Luhansk" und einer in der sogenannten "Volksrepublik Donezk".
Verantwortlich gemacht wird das ukrainische Militär. Es ist von einer "Tötung und Verwundung Tausender Zivilisten und russischsprachiger Gruppen" die Rede sowie von einer "absichtlichen Vernichtung der Bewohner des Donbass". Angeblich seien "mindestens 295 Zivilisten" gefunden und exhumiert worden. Sie alle seien Opfer wahllosen Beschusses durch die ukrainische Armee im Jahr 2014 geworden.
Der Bericht der russischen Behörden ignoriert, dass seit Ausbruch des Konflikts im Donbass von beiden Seiten geschossen und der Waffenstillstand verletzt wird, was in den täglichen Berichten der Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) klar festgehalten wird.
Informationen über Massengräber sind nicht neu
Mit dem Bericht sprechen die russischen Behörden erstmals offiziell von Massengräbern. Bisher hatten sie ein Strafverfahren wegen des Todes eines Kindes und seiner Großmutter im Jahr 2021 infolge angeblichen ukrainischen Beschusses eingeleitet. Sechs Jahre zuvor hatten sie ein Verfahren gegen den damaligen ukrainischen Innenminister Arsen Awakow und weitere Amtspersonen wegen "Beschusses von Wohngebieten im Donbass, bei dem regelmäßig Anwohner sterben" eröffnet.
Informationen über die Massengräber sind nicht neu. Bereits im Herbst 2021 sprachen die prorussischen Separatisten im Donbass von Gräbern, anscheinend von denselben, über die jetzt die russischen Ermittler berichten - zumindest werden dieselben Ortschaften genannt. Außerdem heißt es in dem jetzigen Bericht, fünf Massengräber seien zwischen August und Oktober 2021 entdeckt worden. Die prorussischen Separatisten hatten Anfang November 2021 über die Exhumierung Hunderter Menschen in den Regionen Donezk und Luhansk berichtet.
Auch die Separatisten machen das ukrainische Militär für den Tod der Menschen verantwortlich. Sie alle sollen in den ersten Monaten des Konflikts im Donbass, "im Sommer und Herbst 2014" getötet worden sein. Die von den selbsternannten "Volksrepubliken" damals verbreiteten Zahlen waren etwas höher als die mindestens 295 Toten, die jetzt von den russischen Ermittlern angegeben werden: Die Separatisten in Donezk sprachen von 47 und die in Luhansk von 267 Toten.
Wenige Tagen vor dem jetzt veröffentlichten Bericht der russischen Behörden meldete sich der Anführer der selbsternannten "Volksrepublik Donezk", Denis Puschilin, zu Wort. Ihm zufolge sollen in dem Gebiet, das von den Donezker Separatisten kontrolliert wird, "130 Orte der Massen- und Spontanbestattung von Opfern der ukrainischen Aggression" entdeckt worden sein. Wie dies mit der von den Separatisten genannten Gesamtzahl von 47 Toten zusammenpasst, blieb offen.
Kiew macht "Besatzungsbehörden" verantwortlich
Bereits im November 2021 machte das ukrainische Mitglied der Trilateralen Kontaktgruppe zur friedlichen Beilegung des Konflikts im Donbass, Serhij Harmasch, auf den organisierten Charakter der Massengräber-Kampagne der Separatisten aufmerksam. Er schrieb auf Facebook, dass endlich mit der Öffnung von Massengräbern und der Identifizierung der Überreste begonnen worden sei. "Es waren aber nicht die Streitkräfte der Ukraine, sondern die Besatzungsbehörden, die in dem von ihnen kontrollierten Gebiet Menschen in Massengräbern begruben, ohne ihre Identität festzustellen", betonte Harmasch.
In diesem Zusammenhang zitierte er eine Nachricht vom 8. Oktober 2021 des "Luhansker Informationszentrums", einer Informationsquelle der Separatisten. Darin wird erwähnt, dass im Juli und August 2014 entschieden worden sei, die Toten vorübergehend auf dem Territorium einer medizinischen Einrichtung in der Nähe des Dorfes Vidnoje südöstlich von Luhansk zu begraben. Auch dieses Dorf wird im aktuellen Bericht der russischen Ermittler genannt.
Widersprüchliche Berichte über Massengräber
Im Herbst 2014 hatte die sogenannte "Volksrepublik Donezk" über drei nicht gekennzeichnete Gräber in der Nähe von Makijiwka in der Region Donezk berichtet. Damals schrieben regierungsnahe russische Medien, die Toten seien angeblich Opfer der ukrainischen Nationalgarde geworden. Doch die Berichte über die Anzahl der gefundenen Toten waren widersprüchlich. Die OSZE-Beobachter, die die Gräber untersuchten, sprachen von vier Personen, auf einem Grabschild standen aber die Namen von fünf. Und die Separatisten sprachen von angeblich 40 Toten.
Ähnliche Meldungen gab es im gleichen Zeitraum auch seitens der ukrainischen Behörden. Im September 2014 hieß es, es seien Massengräber in Slowjansk in der Region Donezk entdeckt worden. Die Stadt war zu Beginn des bewaffneten Konflikts mehrere Monate lang unter der Kontrolle prorussischer Separatisten. Doch schon seit Juli 2014 wird sie wieder von Kiew kontrolliert. Die ukrainischen Behörden erklärten damals, bei den Gräbern handele es sich wahrscheinlich um Menschen, die umgekommen seien, als Slowjansk unter separatistischer Kontrolle stand. 2018 teilte die ukrainische Polizei mit, ihr seien die Namen von drei Rebellen bekannt, die an der Ermordung von vier der dort begrabenen Menschen beteiligt gewesen sein sollen.
Im Jahr 2016 meldete die ukrainische Polizei, es sei ein Grab mit den Überresten von 18 Personen gefunden worden, und zwar in einem von der Ukraine kontrollierten Gebiet an der Grenze zwischen den Regionen Luhansk und Donezk. Dort war es 2014 zu heftigen Kampfhandlungen gekommen. Die im Grab gefundene Kleidung habe "Abzeichen illegaler bewaffneter Gruppen", wie die prorussische Separatisten in der Ukraine genannt werden, aufgewiesen, berichtete damals die Polizei.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk