Was zwei Gemälde über Angela Merkel verraten
17. September 2017Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde 2015 vom "Time"-Magazine zur Person des Jahres gewählt. Die letzte Ausgabe des Jahres 2015 würdigt traditionell Menschen, die in besonderem Maß im Verlauf des Jahres das Zeitgeschehen beeinflusst haben, in schlechter oder in guter Hinsicht. 2015 war das Jahr, in dem Angela Merkel ihr zehnjähriges Kanzlerjubiläum feierte und außerdem zwei Krisen meistern musste. Monatelang führte sie Gespräche über das Rettungspaket für Griechenland - und sie bewies Führungskraft in der Flüchtlingskrise, als sie entschied, die Grenzen zu öffnen und Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland einreisen zu lassen.
Der erste Teil der Krise inspirierte Karikaturisten, vor allem aus Athen, zu Zeichnungen, die Merkel als eine Art "Wirtschafts-Nazi" zeigten. Ihr Ansehen in der Welt veränderte sich jedoch schlagartig durch die "Wir-schaffen-das"-Entscheidung in der Flüchtlingskrise - obwohl sie damit Deutschland in zwei Lager spaltete. Ausgerechnet jene Politikerin, deren Unentschiedenheit schon in der Jugendsprache das spöttische Wort "merkeln" hervorgebracht hatte, neudeutsch für Nichtstun, nahm plötzlich das Ruder in die Hand und entwickelte sich zur humanitären Galionsfigur Europas.
Merkel-Porträt jenseits der bekannten Politikerin
Dieser Schritt beeinflusste den irischen Künstler Colin Davidson, als er Merkels Porträt für das Cover des "Time"-Magazins malte.
"Mir war sehr wohl bewusst, dass die deutsche Bundeskanzlerin mit ihrer Haltung Deutschland und Europa in zwei Lager spaltete", sagt der Künstler im DW-Interview. "Wir kennen viele Bilder von ihr, in denen sie eher nichtssagend und kalt aussieht, aber ich wollte darüber hinausgehen und ihre humanitäre Haltung darstellen. Ich wollte den Menschen hinter der Politikerin zeigen." Colin erhielt den Auftrag, ohne zu wissen, dass sein Porträt auf dem Cover der "Person des Jahres"-Ausgabe landen würde. Er stimmte dem prestigeträchtigen Auftrag zwar zu, zögerte aber anfangs - weil er es gewohnt war, dass die Menschen für seine Porträts persönlich für ihn Modell sitzen. Das war aber bei der Kanzlerin ausgeschlossen. Nach zwei Jahren bedauert Davidson diese Tatsache. "Ich würde sehr gerne das Privileg haben, sie persönlich zu treffen. Ihr Porträt ist das einzige, das ich ohne Modell gemalt habe", sagt er.
Davidson: Eine ehrliche Sicht auf die Person Merkel
Der nordirische Maler ist seit 2010 bekannt für seine großformatigen Porträts. Viele seiner Modelle sind Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Politiker oder Stars wie Brad Pitt, Ed Sheeran und Liam Neeson. Einer seiner letzten Aufträge war ein Staatsporträt von Queen Elisabeth II., das im November 2016 fertig wurde. Auf die Frage, wie er sich dabei fühlte, die mächtigste Frau Deutschlands zu malen, antwortet der Künstler aus Belfast, dass er eine besondere Verantwortung auf sich gespürt habe. Er habe gewusst, dass es dabei nicht nur um seine Arbeit als Maler ging, sondern auch darum, wie er ein Bild von jemandem vermittelt. "Dabei geht es um mehr als um Kunst", sagt er. "Es kann auch natürlich Kontroversen auslösen. Meine Recherchen sind sehr ausführlich, sodass ich eine ehrliche Sicht auf die Person habe."
Großen Respekt bringt Colin allen seinen Porträtierten entgegen, die er mit breitem Pinselstrich auf die Leinwand malt. Für ihn spielt es keine Rolle, ob es sich um die Königin von England, einen japanischen Tatookünstler oder unbekannte Opfer des Nordirland-Konflikts handelt. Davidson gelingt es, seine Modelle voller Würde und zeitlos darzustellen. Das verleiht ihnen eine Würde, wie man sie allenfalls von Porträts alter Meister kennt.
Mit einem wissenden Lächeln
Interessanterweise ist das Merkel-Porträt eines seiner frontalsten Porträts. Die Kanzlerin sieht dem Betrachter nicht direkt in die Augen, sondern leicht über ihn hinweg. Ihr Blick ist fest, ganz so, als würde sie ihn in die Zukunft richten.
Ihr Gesichtsausdruck strahlt Wärme aus: Der Künstler betont ihre Augenfalten, die auftreten, wenn sie lächelt, und nicht die, wenn sie erschöpft ist von der Arbeit. Sie lächelt nicht offen, ihr linker Mundwinkel ist leicht nach oben gezogen, was eine ihrer natürlichen Eigenschaften betont. Es macht aus "Mutti" - so einer ihrer Spitznamen in Deutschland - eine Frau, die stolz auf ihre Arbeit und ihre Nachkommenschaft blickt.
Merkel unter Pop-Ikonen
Die US-Künstlerin Elisabeth Peyton, die im August 2017 ein Porträt der deutschen Kanzlerin für die August-Ausgabe der Vogue malte, verlegte sich dagegen auf eine stilisierte Darstellung der Politikerin. Auch wenn sie ihr Werk "Wie Angela Merkel die mächtigste Frau der Welt wurde" nannte, lässt sie die Kanzlerin aussehen wie ein junges Mädchen. Bei der Google-Suche nach dem Gemälde stößt man auf einen weiteren Titel, der ihr Gemälde treffender beschreibt: "Angela Merkel: die Kanzlerin von nebenan".
Seit den 1990ern malt Peyton kleinformatige Porträts von Popstars, historischen und zeitgenössischen Persönlichkeiten europäischer Monarchien, dazu gehört auch Napoleon, Marie-Antoinette, Ludwig II. von Bayern und Queen Elisabeth II. In der Regel haben die Menschen in ihren Porträts eine helle Haut und feine Gesichtszüge. So sieht sogar ein Macho-Rockstar wie Keith Richards wie ein nostalgischer androgyner Träumer aus. Die Tatsache, dass sie die deutsche Politikerin einreiht in eine Serie von Porträts von David Bowie, Kurt Cobain oder Kanye West beschert ihr einige Coolness-Punkte, um die sich Merkel aber nie beworben hat.
Die sensible Freundin
Als erstes fallen in Peytons Porträt Angela Merkels himmelblaue Augen auf, die den Betrachter direkt ansehen. Genau wie in Davidsons Gemälde sind ihre Mundwinkel leicht schräg und ihre Augen scheinen zu lächeln. Der Betrachter fühlt sich dazu aufgefordert, zurück zu lächeln. Sie sieht aus wie jemand, den man kennst, dem man sich anvertrauen könnte, oder mit dem man einen Kaffee trinken gehen könnte. Die Tropfen, die über ihre Wangen laufen, vermitteln den Eindruck, dass es zuletzt einige Gründe für sie gab, einige Tränen zu weinen.
Elizabeth Peyton, die normalerweise nach Fotografien und nicht mit Modellen arbeitet, sagte der "New York Times", dass sie Aufnahmen von Angela Merkel aus den letzten 30 Jahren studiert habe. "Ich habe beobachtet, wie sehr sich ihr Gesicht in den letzten zwei Jahren verändert hat. Es kam ein Schmerz hinzu. Der war mir sehr wichtig für meine Arbeit."
Und doch: Peyton zeichnete die 63-jährige Kanzlerin als eine wesentlich jüngere und dünnere Frau. Dabei hat sie vor allem ein Foto aus dem "Time"-Magazine von 2007 beeindruckt, in dem sie als eine der 100 einflussreichsten Personen der Welt zu sehen ist. In diesem Foto, das vor zehn Jahren aufgenommen wurde, blickt Merkel dem Betrachter mit ihren blauen Augen bescheiden lächelnd direkt an. Zwei Jahre später, nach dem Antritt ihrer Kanzlerschaft, hatte sie bereits ein paar Kilos zugenommen.
Peyton: Humanität als Superkraft
"Ihr Gesicht ist so zart auf diesem Bild, da ist die Hoffnung, dass eine Politikerin wie sie in der Lage ist, das Leben auf diesem Planeten zu verbessern", sagte Peyton in der "New York Times". Genau wie Davidson war Peyton stärker von ihrem Einsatz für die Flüchtlinge von 2015 beeindruckt als von ihrem eher nüchternen Politikstil. "Mein Gefühl ist, dass ihre Stärke in ihrer Humanität liegt. So etwas gibt es in meiner Welt nicht. Es ist wie eine Superkraft", sagte sie. Auch wenn Peytons Blick auf die Kanzlerin für Deutsche überzeichnet und einseitig erscheint, ist sie in der Tat eine starke Stimme unter den Anführern auf der globalen Bühne.