Mehr Respekt für unsere Füße
23. August 2019Wir muten unseren Füßen häufig einfach zu viel zu, gehen nicht pfleglich mit ihnen um. Da sind zum einen das Körpergewicht und starke Belastungen. Das zweite sind Schuhe beziehungsweise bestimmte Schuhmoden, die ihnen nicht gut tun und ihnen langfristig schaden können.
"Studien zeigen, dass rund 50 bis 55 Prozent der Patienten zu kleine Schuhe tragen. Das kann die Länge betreffen, aber auch die Breite. Schuhe können aber auch zu klein in der Höhe sein, so dass die Zehen nicht ausreichend Platz haben", sagt Dr. Thomas Schneider, Fußspezialist in der Orthopädischen Gelenk-Klinik Gundelfingen.
"Unabhängig von der Absatzhöhe kann durch zu wenig Platz im Schuh eine Fehlbelastung entstehen, und häufig werden unsere Füße dem modischen Trend unterworfen", kritisiert Schneider.
Blick zurück
Über einen langen Zeitraum haben wir die Arbeit unserer Füße als selbstverständlich hingenommen und sie sträflich vernachlässigt. "Wir brauchen gar nicht so weit in der Geschichte zurückzugehen. Es gibt viele Hinweise darauf, dass wir zu Fuß deutlich andere Strecken zurücklegen konnten als wir es aktuell mit unserer Lebensweise tun", sagt Schneider.
In der Zeit als es noch Kutschen gab, mussten viele Menschen ihre Füße nutzen, um sich fortzubewegen. Sie konnten es sich gar nicht leisten, sich irgendwohin fahren zu lassen. "Da waren Gehstrecken von bis zu 50 Kilometern am Tag keine Seltenheit. Die Jahresleistung war sicher das drei- bis vierfache von dem, was wir heute zum Beispiel auch als Sportler tun."
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Kleine Entwicklungsgeschichte
Unsere direkten Vorfahren haben die Füße bereits als Geh- und Stützorgan benutzt. In der stammesgeschichtlichen Entwicklung haben wir letztendlich aus dem Greiforgan baumlebender Primaten ein Stütz- und Standorgan entwickelt, um das aufrechte Gehen zu ermöglichen. Dadurch seien Greiffunktionen in den Hintergrund gerückt, erläutert Schneider. "Wenn man heute Greifübungen für die Füße macht und glaubt, man tut damit etwas Gutes, dann hilft das etwa dem Spreizfuß in keiner Form. Es verstärkt sogar Krallenzehen."
Barfußlaufen ist angesagt
Kleine Kinder setzen ihre Füße in den ersten Lebensjahren fast mit der ganzen Fläche gleichzeitig auf und platschen erst einmal durch ihr junges Leben. Um die gute Entwicklung von Kinderfüßen zu fördern, ist es notwendig, zum Beispiel durch Barfußgehen Muskelabbau und Muskelverfall zu vermeiden.
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Wichtig ist es, die Füße in ihrer frühen Entwicklung nicht einzusperren. "Es geht darum, dass man viel früher sehr viel mehr tun könnte und müsste", sagt Schneider. "Das heißt nicht, dass jeder immer nur barfuß laufen soll. Davon bin ich kein Freund. Vor allen Dingen dann nicht, wenn man schon starke Muskelschwächen und Fehlstellungen entwickelt hat. Dann ist Barfußlaufen sehr häufig sogar schädlich."
Jeder Fuß braucht das richtige Maß an Bewegung. "Da darf man nicht großzügig glauben, wenn ich mit 50 anfange, barfuß zu laufen, kann ich alles retten. In dem Fall bin ich dann eben einfach zu spät losgegangen", so der Orthopäde.
Kleine Anatomiestunde
Füße sind Wunderwerke. Sie bestehen aus fast 30 Knochen, aus 33 Gelenken, 60 Muskeln, aus mehr als 200 Sehnen und 100 Bändern. Sie alle arbeiten zusammen und ermöglichen es, dass wir laufen können. An den Fußsohlen sitzen tausende Nervenenden und feine Sensoren. Sie lassen uns jeden auch noch so kleinen Kieselstein spüren. Sie sagen uns auch, dass am Strand laufen angenehmer ist als auf hartem Untergrund.
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Olympische Füße
Der jamaikanische Sprinter Usain Bolt ist in seiner Disziplin achtfacher Olympiasieger, elffacher Weltmeister und Weltrekordhalter. Die Füße des bejubelten Athleten haben den Extremsport aber nicht gut überstanden. "Er läuft ja nur auf dem Vorfuß", erklärt Schneider. "Für den Sprint muss er immer den Ballen belasten. Von der Fehlbelastung her ist Sprinten ähnlich wie Laufen in High Heels. Auch eine Frau, die häufig High Heels trägt, läuft wie ein Paarhufer eigentlich auf den Zehen. Das macht Herr Bolt auch."
Aber auch andere Sportarten tun den Füßen nicht unbedingt gut. Dazu gehören etwa Fußball, Basketball, Handball, Volleyball, bei denen es häufig zu Verletzungen durch Umknicken kommt. Bei manchen Tanzsportarten oder beim Ballett werden die Füße in Extremhaltungen gebracht.
"Dabei kann es zu einer übermäßigen Belastung der Füße kommen. Bei einem gut angepassten Körper werden diese häufig auch eine lange Zeit toleriert. Gesundheitsförderlich sind sie trotz alledem nicht", gibt Schneider zu Bedenken.
Auch beim Klettern sind die Füße in einer Zwangshaltung. Das sei auf Dauer sicher nicht ideal, aber bei diesem Sport eben nicht zu vermeiden, sagt Schneider.
Die Frauen mit den Lotusfüßen
Für ihre kleinen Trippelfüßchen haben Frauen in China einen hohen Preis bezahlen müssen. Im Kindesalter wurden kleinen Mädchen im Alter von vier bis zehn Jahren die Zehen gebrochen und dann unter Qualen unter den Fußsohlen zusammengebunden, um sie so auf ein Idealmaß von etwa zehn Zentimetern zu bringen. Normalerweise hat die Mutter die Füße ihrer Tochter gebunden, weil sie dem Mädchen so ein besseres Leben ermöglichen wollte, denn kleine Füße galten als besonders attraktiv.
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Die grausame Tradition entstand um 975. Der damalige chinesische Kaiser fand die kleinen, spitzen Füßchen erotisch. Noch bis zum Jahr 1911 wurde diese Verstümmelung durchgeführt. Und obwohl sie danach offiziell verboten war, wurde das Binden der Füße weiterhin heimlich praktiziert. Erst 1949 – unter Mao Zedong - war es dann endgültig verboten. Die Fotografin Jo Farrell hat das Leben und die Füße einiger chinesischer Frauen dokumentiert "Living History: Bound Feet Women of China".
Auf großem Fuß
Den Rekord für große Füße hält zurzeit Jeison Rodriguez aus Venezuela. Er hat Schuhgröße 68, bei einer Körpergröße von 2,36 Meter. Um die ganze Welt ist er gereist, um endlich passende Schuhe zu bekommen. Fündig geworden ist er schließlich bei Schumacher Wessels im deutschen Vreden. Der kennt sich mit Füßen aus und hat dem Riesen ein Paar Schuhe angefertigt, die auf seine knapp 41 Zentimeter langen Füße passen. Das ist vielleicht eine genauso rekordverdächtige Leistung wie die Füße von Jeison Rodriguez. Egal wie lang oder wie breit – unsere Füße verdienen in jedem Fall mehr Respekt, denn sie tragen uns durch die Welt.