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Politik

Was treibt Muslime in den Dschihadismus?

Antonio Cascais
12. September 2017

Von extremistischen Gruppen erhoffen sich junge Leute in Afrika oftmals einen Ausweg aus Armut, Perspektivlosigkeit und Frust. Das Problem wird immer größer, warnt eine UN-Studie.

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Al-Shabaab Kämpfer in Somalia
Bild: Getty Images/AFP/M. Abdiwahab

Seit Jahren beschäftigt sich Khadija Hawaja Gambo mit einer unbequemen Frage: Was treibt junge Muslime in den Islamismus und damit in die Fänge dschihadistischer Organisationen wie Boko Haram? "Viele junge Nigerianer sind so frustriert, dass sie nach Auswegen suchen", so die nigerianische Menschenrechtsaktivistin im DW-Interview.

"Doch meist finden sie keinen Ausweg aus ihrer Misere und werden nur noch wütender, frustrierter und feindseliger gegenüber ihrer Umwelt." Von da sei es nur ein kleiner Schritt bis zu ihrer Radikalisierung.

2,8 Millionen Menschen aus Nigeria vertrieben

Gambo ist selbst Muslima und stammt aus Jos, einer Stadt in Mittelnigeria, die in den vergangenen Jahren immer wieder Schauplatz blutiger Anschläge der islamistischen Terrororganisation Boko Haram wurde. Seit 2011 musste sie miterleben, wie mehr als 17.000 Menschen in ganz Nigeria den Dschihadisten zum Opfer fielen.

An die 2,8 Millionen Menschen wurden aus ihren angestammten Gebieten, vor allem in Nordnigeria vertrieben. Khadija Gambo ist entsetzt über die vielen Selbstmordanschläge, die immer wieder von teilweise minderjährigen Attentätern verübt werden, die sich auf den Islam beziehen - in der radikalen Auslegung, die von Boko Haram gepredigt wird.

UN-Studie: Keine religiösen Motive

Nigeria ist eines von mehreren Ländern in Afrika, die sich mit einer radikal-islamischen Terrorgruppe auseinandersetzen müssen: Neben Boko Haram, die im Nordosten Nigerias sowie angrenzenden Regionen ihr Unwesen treiben, kämpft die Miliz Al-Shabaab seit Jahren um die Vorherrschaft in Somalia. In Mali ist unter anderem ein Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida aktiv.

Nach UN-Angaben fielen zwischen 2011 und 2016 etwa 33.000 Menschen in Afrika gewalttätigen Extremisten zu Opfer. zufolge wird die Radikalisierung junger Muslime in Afrika weniger durch religiöse Motive gefördert als durch Armut und Chancenlosigkeit. Für die Studie "Journey to Extremism in Africa" befragte das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) über zwei Jahre fast 500 ehemalige Mitglieder radikaler Gruppen auf dem Kontinent.

Townhall-Debate "Migration Dilemma" in Jos, Nigeria
Für Khadija Gambo Hawaja ist der gewalttätige islamische Extremismus eine FehlinterpretationBild: DW/H. Fischer

Viele verstehen religiösen Texte des Islams nicht

Khadija Hawaja Gambo hat die 128-seitige Studie gelesen und pflichtet den Autoren bei: Wer den echten Islam kenne, wisse, dass die radikale Auslegung ihrer Religion durch Gruppen wie Boko Haram zutiefst unislamisch sei: "Je weniger Kenntnisse ein Mensch über den Islam hat, desto anfälliger ist er für Ideologien terroristischer Gruppen. Leute, die kein Wissen über den Islam haben, glauben alles, was man ihnen als Islam verkauft."

Die Ergebnisse der UNDP-Studie scheinen Gambos These zu belegen: Demnach erklärten 57 Prozent der Befragten, sie verstünden nur wenig oder gar nichts von den religiösen Texten des Islam. Nach Angaben der Studie reduziert zudem eine religiöse Bildung von mindestens sechs Jahren das Risiko einer Rekrutierung um 32 Prozent.

Chancenlose junge Leute: empfänglich für extremistische Rhetorik

Der typischste Rekrut für solche Gruppen sei nicht etwa ein religiöser Eiferer auf der Suche nach den Fundamenten seines Glaubens, sondern "ein frustrierter Mensch, der sich zeit seines Lebens an den Rand gedrängt und vernachlässigt fühlte", so das Resümee der Studienautoren. Vor allem in abgelegenen, bitterarmen Regionen Afrikas falle die extremistische Rhetorik bei chancenlosen jungen Leuten auf fruchtbaren Boden.

Ein Beispiel ist die islamistische Bewegung Al-Shabaab aus Somalia, die seit 2006 - auch in den Nachbarländern - Kämpfer für den somalischen Bürgerkrieg rekrutiert. Ihr Ziel ist die Errichtung eines islamischen Gottesstaates am Horn von Afrika und die Beteiligung an einem weltweiten "heiligen Krieg".

"Den jungen Leuten wird Arbeit und Geld versprochen"

"Den jungen Leuten wird Arbeit und Geld versprochen. Sie denken, wenn sie sich diesen Gruppen anschließen, geht es ihnen besser, und sie können ihre Familien unterstützen", sagt Salma Himid, von der Menschenrechtsorganisation Haki Afrika im kenianischen Mombasa.

Auch sie sieht eher wirtschaftliche als ideologische oder religiöse Gründe für den stärker werdenden Zulauf der jungen Leute zu dschihadistischen Gruppen. Sie unterstützt die Auffassung des Afrika-Direktors der UNDP, Abdoulaye Mar Dieye, der die Befunde der Studie als Weckruf für afrikanische Regierungen bezeichnet hatte.

Boko Haram Kämpfer
Terrorgruppen wie Boko Haram versprechen ihren Mitgliedern ein EinkommenBild: picture alliance/AP Photo

Investitionen in wirtschaftlichen Aufstieg junger Afrikaner

Nötig seien jetzt "Wege zum wirtschaftlichen Aufstieg junger Afrikaner", um den Extremisten den Nachwuchs zu verwehren, sagt Salma Himid, die sich seit Jahren mit dem Thema Jugendbewegungen und Islamismus beschäftigt. Jungen Afrikanern gibt sie folgenden Rat: "Tappt nicht in die Falle dieser Rattenfänger! Denn das ist der falsche Weg!"

Salma Himid plädiert zudem für die Einrichtung von Beratungsstellen, überall in Afrika, damit betroffene Jugendliche aus islamitischen Organisationen aussteigen oder gar nicht erst beitreten.

Nicht nur Armut als Grund

Khadija Hawaja Gambo stimmt den Ergebnissen der UN-Studie zwar grundsätzlich zu, dennoch sei Armut nur ein Aspekt eines komplexen Problems. "Es gibt Leute, die bei Boko Haram sind, weil sie Geld dafür bekommen. Aber es gibt auch diejenigen, die dabei sind, weil sie glauben, damit Allah zu gefallen. Wir müssen uns mit diesen Leuten auseinandersetzen."

Es sei ein sehr sensibles Thema. Man müsse sehr vorsichtig sein, wie man dieses Thema behandle.

Mitarbeit: Abdullahi Maidawa Kurgwi (Kaduna), Florence Majani (Mombasa)