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Politik

Was lehrt uns der Fall Al-Bakr?

Kay-Alexander Scholz
19. Oktober 2016

Der Selbstmord von Dschaber Al-Bakr beschäftigt nun auch den Bundestag. Im Innenausschuss sollen der Fall und die Folgen diskutiert werden. Was muss sich im Umgang mit Terroristen ändern? Ein Überblick zur Debatte.

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Deutschland ehemaliges Fahndungsfoto des Syrers Dschaber Al-Bakr
Bild: Polizei Sachsen

Brauchen wir bundesweit einheitliche Vorschriften für Gefängnisse?

Der Terrorverdächtige Dschaber Al-Bakr wurde im sächsischen Gefängnis in Leipzig nicht videoüberwacht. Stattdessen wurde die Zelle des 22-jährigen Syrers zunächst alle 15 Minuten, später alle 30 Minuten überwacht. Nach Gesprächen mit einem Anwalt und der Gefängnis-Psychologin war Al-Bakr als nicht akut selbstmordgefährdet eingestuft worden. Dennoch tötete sich Al-Bakr wenige Tage nach seiner Festnahme in seiner Zelle. Laut sächsischem Justizminister Sebastian Gemkow war das Vorgehen der Gefängnis-Beamten in der Sache dennoch richtig. Denn sie hätten laut sächsischem Gesetz keine Maßnahme anordnen dürfen, die die Grundrechte des Gefangenen verletze. Wie es bei permanenter Videoüberwachung der Fall gewesen wäre, bei der es keine Privatsphäre mehr für den Inhaftierten gibt - auch nicht beim Toilettengang. Woanders, zum Beispiel in Bayern oder Hessen wäre das anders gewesen. Dort wäre der Häftling wahrscheinlich von einer Videokamera überwacht worden.

Porträtfoto Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow  (Foto: dpa)
Im Fokus der Kritik: Sachsens Justizminister Sebastian GemkowBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Solche Unterschiede von Bundesland zu Bundesland sind Folge der Föderalismus-Reform aus dem Jahr 2009. Dies müsse wieder korrigiert werden, forderte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka: "Einen Flickenteppich können wir uns bei der Terror-Bekämpfung nicht leisten." Ähnlich äußerte sich die SPD-Innenpolitikerin Eva Högl. Die Bundesländer sollten sich an einen Tisch setzen und über eine Vereinheitlichung des Strafvollzugs reden.

Wann ist der Generalbundesanwalt gefragt?

Terror-Fälle sind in Deutschland eigentlich Angelegenheit des Generalbundesanwalts, der beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe angesiedelt ist. Peter Frank, erst seit Oktober 2015 im Amt, ist zuständig für Strafsachen, die "die innere oder äußere Sicherheit in besonderem Maße berühren". Hat der Fall keine besondere Bedeutung, ist die jeweilige Landes-Staatsanwaltschaft zuständig. Dieser Einschätzung folgten anscheinend die sächsischen Behörden. War diese Einschätzung richtig?

Frank habe die Ermittlungen zu spät an sich gezogen, meint die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Elisabeth Winkelmeier-Becker. Kritik kam auch vom CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. "Der Generalbundesanwalt hat das Ermessen, so einen Fall an sich zu ziehen. Ich halte ihn persönlich für schwerwiegend genug, dass er das von Anfang an leitend gemacht hätte." Wäre der Generalbundesanwalt als "Top-Behörde in diesen Fällen" eingeschaltet gewesen, "hätten wir mehr Spezial-Knowhow zum Einsatz bringen können", so Schuster. So zum Beispiel die GSG9 als speziell ausgerüstete Polizei-Einheit und Spezialkräfte vom Bundeskriminalamt.

Der Generalbundesanwalt wird - neben dem Präsidenten der Verfassungsschutzes Hans-Georg Maaßen, von dem die Festnahme ausging - dem Innenausschuss in seiner Sitzung am Mittwoch über das Geschehen Auskunft geben.

In ähnlichen Fällen der Vergangenheit wurden die Verdächtigen nach Karlsruhe geflogen und dort dem Generalbundesanwalt vorgestellt, der über einen Haftbefehl entschied. Im Fall Al-Bakr allerdings lag bereits ein Haftbefehl vor - dazu hätte es also keinen Flug nach Karlsruhe gebraucht. Trotzdem hätte es einen Termin in Karlsruhe geben sollen, sagte der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz. Der Generalbundesanwalt hätte trotzdem mit dem Verdächtigen reden sollen.

Braucht Deutschland ein Spezial-Gefängnis für Terroristen?

Deutschland Terrorverdächtiger Al-Bakr erhängt in Zelle aufgefunden
War das Gefängnis in Leipzig der richtige Ort für Al-Bakr?Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Terror-Verdächtige, gegen die der Generalbundesanwalt ermittelt, können im gesamten Bundesgebiet in Untersuchungshaft sitzen. In der Praxis wählen Haftrichter und Bundesanwaltschaft gemeinsam ein geeignetes Gefängnis aus. Oft befindet sich dieses Gefängnis in der Nähe des Gerichts, an dem voraussichtlich der Prozess stattfindet. Es kann aber auch sein, dass jemand bewusst nicht in das "zuständige" Gefängnis kommt, weil dort schon ein anderer Terrorverdächtiger sitzt, mit dem Kontakte vermieden werden sollen. So war es auch bei Al-Bakr. Eigentlich hätte er ins Gefängnis in Dresden gehört. Er wurde aber nach Leipzig gebracht, um einen Kontakt zu einem in Dresden inhaftierten mutmaßlichen Komplizen zu verhindern.

SPD-Innenpolitiker Lischka sprach sich für zentrale Gefängnisse für Terror-Verdächtige und islamistische Gefährder aus. CDU-Innenexperte Schuster schlägt ein anderes Vorgehen vor. Ein extra Gefängnis zu bauen, hält er für unnötig. Stattdessen sollten Gefängnisse, die bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet haben, aufgerüstet werden. Es wäre sinnvoll, eine "gute Handvoll" Gefängnisse mit entsprechender Erfahrung und Vorbereitung zu haben, so Schuster. Ein Punkt dabei wäre sicherlich, dass entsprechende Dolmetscher vor Ort sind. Und nicht wie in Leipzig, wo zunächst ein Arabisch-Übersetzer für Al-Bakr fehlte.

Sollten Terror-Verdächtige präventiv verhaftet werden?

Der CSU-Innenexperte Stephan Meyer hat einen neuen Haftgrund "Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" gefordert. Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic lehnt das ab: Präventivhaft sei ein "Kennzeichen autoritärer und diktatorischer Staaten und sollte für unsere freiheitliche Demokratie keine Option sein".

Zu Recht gebe es momentan hohe verfassungsrechtliche Hürden, islamistische Gefährder allein aus Verdachtsgründen zu inhaftieren, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Ansgar Heveling. Dennoch sprach sich Heveling für eine Überarbeitung der Gesetze aus. Denn das Terrorismusstrafrecht sei noch aus Zeiten des RAF-Terrors in den 1970-Jahren. Veraltete Vorschriften könnten dazu beigetragen haben, dass sich Al-Bakr das Leben nehmen konnte, sagte der CDU-Politiker.

Die gängige Alternative in Deutschland ist die Überwachung der Verdächtigen, was allerdings viel Manpower braucht. Derzeit werden laut Bundeskriminalamt etwas 180 radikale Islamisten beobachtet, berichtet der "Spiegel". 700 weitere Vorfälle seien unter Beobachtung.