Was kostet die Energiewende?
9. November 2015Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts will Deutschland den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent senken. Derzeit entstehen noch rund 85 Prozent aller Emissionen durch die Verbrennung von fossilen Energien, davon fast die Hälfte bei der Stromerzeugung. Die andere Hälfte geht auf das Konto von Heizung, Verkehr und Industrie.
Wissenschaftler des Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE untersuchten jetzt in einer Studie, wie sich die deutschen Klimaziele bis 2050 kostengünstig erreichen lassen. Die Autoren Hans-Martin Henning und Andreas Palzer fütterten dafür ihr Computerprogramm mit einer Fülle von Daten. Grundlage für die Simulation ist der derzeitige Energiebedarf in Deutschland für Strom, Industrie, Wärme und Verkehr.
Nach Ergebnissen der Simulation sind vor allem Wind- und Solarkraft auszubauen und Heizenergie mit mehr Gebäudedämmung einzusparen. Die Forscher setzen auch auf neue Antriebskonzepte im Verkehr und auf Speichertechniken.
Was zum Erfolg führt
Die Studie berücksichtigte erprobte Techniken und Prognosen zu deren Kostenentwicklung. Nach Angaben der Forscher spielen Wind- und Solarkraft eine Schlüsselrolle für eine günstige Energieversorgung.
Die Szenarien sehen vor, dass bis 2050 in Deutschland Windkraftanlagen mit einer Leistung von 187 bis 246 Gigawatt (GW) nötig sind, Photovoltaikanlagen mit einer Leistung zwischen 122 und 290 GW und solarthermische Anlagen zur Heizung mit einer Leistung zwischen 133 und 159 GW. Zum Vergleich: In Deutschland sind derzeit Photovoltaik- und Windkraftanlagen mit einer Kapazität von jeweils 40 GW und solarthermische Anlagen mit einer Leistung von 13 GW installiert.
Da Wind- und Solarkraft stark schwankt und dieser Strom nicht immer zeitgleich verbraucht wird, empfehlen die Forscher Pump- und Wärmespeicher, Batterien und die Umwandlung von Strom zu synthetischen Kraftstoffen.
Synthetische Kraftstoffe lassen sich mit Elektrolyse herstellen, der Power-to-Gas-Technologie. Aus Strom und Wasser entsteht Wasserstoff und in weiteren Verfahren Benzin, Kerosin oder Methan, das dem Erdgas ähnelt. Diese synthetischen Kraftstoffe können Erdölprodukte klimaneutral ersetzen.
Erneuerbarer Strom auch für Heizung und Verkehr
Um die Klimaziele kostengünstig zu erreichen, wird nach Ansicht der Autoren Strom aus erneuerbaren Energien auch im Verkehr und im Gebäudesektor wichtig sein. Fahrzeuge können in den kommenden Jahrzehnten mit Wasserstoff und Brennstoffzelle, mit Batterie oder synthetischen Kraftstoffen fahren und so weniger Erdöl verbrennen. Im Gebäudesektor sehen die Experten elektrisch betriebene Wärmepumpen als zukunftsweisende Heiztechnik. Heizkessel, die mit Öl, Gas und auch Biomasse befeuert werden, gehören in den Szenarien ab 2050 zur Vergangenheit.
Was kostet die neue Energieversorgung inklusive Umbau?
Henning und Palzer nehmen die Kosten genau unter die Lupe. Die volkswirtschaftlichen Effekte, wie Klima- und Gesundheitsschäden durch fossile Energien, zogen sie in den Kostenvergleich allerdings nicht mit ein.
Unter der Annahme, dass die Preise für fossile Energien bis 2050 nicht mehr steigen und keine Kosten für CO2-Emissionen gezahlt werden, wäre eine Energieversorgung wie heute günstiger. Geht man allerdings davon aus, dass die Preise für fossile Energien jährlich um zwei Prozent steigen und auch der Preis für CO2-Emissionen auf 100 Euro je Tonne bis 2030 angehoben wird, wäre eine Energieversorgung mit einem CO2-armen Energiesystem auch günstiger und Deutschland könnte rund 600 Milliarden Euro weniger ausgeben.
Kostengünstiger Umstieg vorteilhaft
Nach Berechnungen der Forscher gibt Deutschland derzeit pro Jahr rund 250 Milliarden Euro für seine Energieversorgung aus. Ist die Transformation des Energiesystems 2050 abgeschlossen, kostet die dann folgende CO2-arme Energieversorgung pro Jahr etwa genauso viel.
Henning und Palzer empfehlen einen zügigen Kohleausstieg. "Ein beschleunigter Ausstieg aus der Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung bis zum Jahr 2040 wirkt sich signifikant positiv und kostengünstig aus", heißt es in der Studie.
Deutschland braucht weiter Energieimporte
Trotz Energieeffizienz und viel erneuerbarer Energie sehen die Szenarien vor, dass Deutschland auch im Jahr 2050 noch Gas- und Öl importiert. Zwar sinke dieser Verbrauch im Vergleich zu heute um rund zwei Drittel, doch zur Deckung des großen Energiebedarfs in Deutschland mit viel Industrie sei der Energieimport notwendig.
Diese Energie durch mehr Wind- und Solarparks in Deutschland abzudecken, halten die Autoren für wenig realistisch. "So viele Windparks kann man im dicht besiedelten Deutschland den Menschen schwer zumuten", gibt Henning zu bedenken. "Vorstellbar ist jedoch, dass in sonnenreichen Regionen Wasserstoff oder auch Methan klimaneutral synthetisch hergestellt und mit Schiff oder Pipeline importiert wird."
Energieumbau in anderen Ländern leichter
Das vom Fraunhofer-Institut entwickelte Simulations- und Optimierungsmodell betrachtet die komplexe Transformation von Energiesystemen auch unter dem Kostenaspekt. "Mir ist weltweit kein Modell bekannt, dass dies so umfassend kann", sagt Henning. "Mit diesem Modell sind wir in der Lage, auch in anderen Ländern aus dem Puzzle vieler Daten und Gutachten ein genaues Gesamtbild zu erstellen." Anfragen aus anderen Ländern gibt es bereits.
Henning hält den Umbau des Energiesystems in vielen anderen Ländern für leichter umsetzbar. "In Deutschland ist die Situation vergleichsweise schwierig: Wir haben einen relativ hohen Energieverbrauch durch die starke Industrie und nicht viel Sonne, Wind und auch Fläche. Deshalb wird der Umbau in vielen Ländern einfacher sein."