Was hat der Abgang von Petry zu bedeuten?
25. September 2017Die deutschen Rechtspopulisten sind in einem Punkt auf jeden Fall ähnlich den anderen populistischen Parteien in Europa: Sie haben die Tendenz zur Selbstzerstörung durch mörderische Machtkämpfe an der Parteispitze. Beim "Front National" geht das sogar bis zur Ebene der Familie Le Pen. Nun hat die AfD-Co-Chefin, Frauke Petry, in Berlin ein Drama aufgeführt, was in die Annalen der Parteigeschichte eingehen wird.
Als erste Partei am Tag nach der Wahl trat die AfD vor die Presse. Und zwar als Quartett aus den beiden Spitzenkandidaten des Wahlkampfs, Alice Weidel und Alexander Gauland, und den beiden Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und Frauke Petry. Doch schon nach zehn Minuten platzte die Bombe.
Frauke Petry tritt aus der eigenen Fraktion aus
Schon bei der Wahlparty am Vorabend hatte das Gerücht die Runde gemacht, Petry wolle möglicherweise eine eigene Partei gründen. Im TV-Interview am Morgen kritisierte sie manche Äußerungen im Wahlkampf - und dass es keinen Frieden um jeden Preis in der Partei geben dürfe. Dennoch interpretierten das manche Partei-Kollegen eher als ein Friedenssignal.
Vor der Presse führte sie das dann weiter aus: Inhaltlicher Dissens dürfe nicht tot geschwiegen werden. Die in Teilen "anarchische Partei" der vergangenen Wochen könne den Wählern kein glaubwürdiges Angebot machen, so Petry. Sie wolle Realpolitik machen, die programmatischen Aussagen personell vernünftig unterfüttern und bis 2021, also zur turnusgemäß nächsten Bundestagswahl, regierungsfähig werden. Deshalb habe sie sich entschlossen, "der AfD-Fraktion im Bundestag" nicht anzugehören.
Im Saal fiel nicht nur bei vielen Journalisten die Kinnlade nach unten. Gauland rettete sich in ein bitteres Lächeln. Weidel erstarrte und richtete ihren Blick in die Ferne. Damit hatte niemand in der Parteiführung gerechnet.
Weil es nun auch nichts mehr zu sagen gäbe, so Petry, stand sie auf und verließ die Pressekonferenz. Der Vertreter der Bundespressekonferenz, der die Pressekonferenz leitete, rief Petry noch hinterher, dass das so nicht ginge. Doch Petry war da schon fast draußen, begleitet von einem Dutzend Kameras. Der Pressechef der AfD, der auch auf der Bühne saß, schüttelte nur noch mit dem Kopf.
Im Foyer wiederholte Petry das Gesagte noch einmal, verließ dann aber umgehend das Gebäude, stieg in ein Auto mit schwarzgetönten Scheiben und fuhr weg.
Überraschte AfD-Führung zunächst ratlos
Drinnen versuchten Gauland, Weidel und Meuthen die Contenance zu wahren. Gaulands Gesichtsfarbe wechselte von kreidebleich zu puterrot und zurück. Weidels Sieges-Euphorie des Wahlabends zerbröselte von Minute zu Minute. Es dauerte 30 Minuten, bis sich beide wieder gefangen hatten. Gauland sagte dann, die AfD sei nun einmal ein gäriger Haufen und nun sei jemand obergärig geworden, das sollte aber nicht zu übermäßigem Kopfzerbrechen führen. Galgenhumor nennt man so etwas.
"Das ist nicht hilfreich", sagte Meuthen, dem man die Wut ansah. Weidel schaltete auf Angriff. Es gehöre zum "A und O jeder Führungskultur, Entscheidungen für die anderen antizipierbar" zu machen. Petry wäre es der Partei schuldig gewesen, das vorher zu besprechen, so Weidel.
Doch Petry hat sich seit dem Kölner Parteitag im Frühsommer aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen. In Köln hatte sie eine empfindliche Abstimmungsniederlage einstecken müssen. Sie wollte die AfD auf einen realpolitischen Kurs trimmen und den Wahlkampf leiten. Doch daraus wurde nichts. Kurz danach bekam sie ihr fünftes Kind und nahm, wie aus der AfD zu hören war, an keiner Vorstandssitzung mehr teil. Das Zerwürfnis zwischen ihr und den anderen war auch beim Wahlabend zu erleben. Sie kam nur kurz zur "Wahlparty", gab dort einige Interviews und verschwand wieder. Ohne auf die Bühne getreten zu sein, um zu den Parteimitgliedern zu reden.
Droht die Spaltung der Fraktion?
Wie geht es nun weiter? Petry hat ein Direktmandat in ihrem sächsischen Wahlkreis gewonnen. In ganz Sachsen wurde die AfD stärkste Kraft. Ihr Bundestagsmandat will sie nicht zurückgeben.
Schon am Dienstag und Mittwoch soll die konstituierende Sitzung der AfD-Fraktion stattfinden. "Wir werden ja sehen, wie viele der gewählten AfD-Abgeordneten dort erscheinen werden", sagte der Berliner AfD-Chef, Georg Pazderski. Daran ließe sich dann wohl absehen, wie viele Petry-Unterstützer es gibt.
Es könnte deshalb zur Spaltung der Fraktion noch vor ihrer Konstituierung kommen. Findet Petry ungefähr 35 Abgeordnete, die ihr folgen und mit denen sie die Fünfprozenthürde überspringen würde, kann sie eine eigene Fraktion gründen. Sie kann das aber auch tun, indem sie sich mit drei Direktkandidaten zusammenschließt - genau so viele hat die AfD in Sachsen gewonnen. Reicht die Zahl der Überläufer nicht aus, kann sie auch eine Gruppe gründen, die aber nicht so viele parlamentarische Rechte hat wie eine Fraktion. Oder sie sitzt allein am Rand, so wie es auch schon einmal Direktkandidaten der PDS, der Vorläuferpartei der Linkspartei, taten.
Doch rechtlich einfach ist es nicht, mal eben so eine neue Fraktion in der Fraktion zu gründen. Zwar gibt es schon jetzt eine Fraktionsgemeinschaft im Bundestag, nämlich die von CDU und CSU. Doch nur unter der Bedingung, dass sie sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen. Deshalb kann man die bayerische Schwester der CDU auch nur in Bayern wählen, wo im Gegenzug die CDU nicht antreten darf.
Dass Petry eine eigene Partei gründen wolle, das hielten viele Beobachter in einer ersten Reaktion für wenig wahrscheinlich. Schon ihr Vorgänger im Amt des Parteichefs, Bernd Lucke, hat diesen Schritt gewählt, um gegen einen Rechtsruck in der AfD zu rebellieren. Seine Neugründung aber versank in der politischen Bedeutungslosigkeit. Aber wer weiß, die AfD ist immer für neue Überraschungen bekannt.
Petry: Die nächsten Tage werden zeigen, wie es weiter geht
Wenige Stunden nach ihrem Abgang gab Petry ein TV-Interview. Sie wolle Politik im Bundestag machen. Wie genau und unter welchen Umständen, dazu wolle sie allerdings noch nichts sagen. "Mal sehen, was in den nächsten Tagen passiert", so Petry. Auf keinen Fall aber sei ihr Abgang ein Schnellschuss gewesen, sondern ein überzeugter Schritt.
Nun rätseln alle Beobachter in Berlin, ob und wenn ja, wie viele Anhänger Petry hinter sich versammeln kann. Sie ist mit dem AfD-Chef von Nordrhein-Westfalen, Markus Pretzell, verheiratet. Wie viele Abgeordnete aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland kann er in eine mögliche neue politische Ehe einbringen?
Es könnte aber auch sein, dass Petrys Verhalten im Gegenteil die Reihen schließt.
Gauland sagte in einem Interview, er wisse nicht, wie viele Abgeordnete auf Petrys Seite sein könnten. Er griff Petry an, sie habe gemeinsame Termine im Wahlkampf kurzfristig abgesagt. Dass sie in Sachsen ein so gutes Ergebnis eingefahren hat, das müsse man relativieren. Denn Sachsen sei wegen der von dort ausgegangenen Pegida-Bewegung in Dresden ein "Sonderfall". Zum generellen Streit um die Frage Regierungsfähigkeit der AfD sagte Gauland, die könne es erst geben, wenn die AfD auf Augenhöhe verhandeln könne.
Doch auch dieses Ziel scheint Petry zu verfolgen. Sie wiederholte in dem Interview noch einmal ihren Anspruch, das angenommene AfD-Potential von 30 Prozent heben zu wollen. Wie das mit einer Partei passieren soll, die ihre Wähler mit solchen Lagerkämpfen konfrontiert, bleibt abzuwarten.
Interessant wird auch zu beobachten sein, ob sich die anderen in der Partei-Führung das Benehmen Petrys gefallen lassen. Es könnte auch als "parteischädigendes Verhalten" interpretiert werden - und in einen Partei-Rausschmiss münden. Weidel jedenfalls reagierte am Mittag schon entsprechend: "Nach dem jüngsten Eklat von Petry, der an Verantwortungslosigkeit kaum zu überbieten war, fordere ich sie hiermit auf, ihren Sprecherposten niederzulegen und die Partei zu verlassen, um nicht weiteren Schaden zu verursachen."