Was geschah im Georgien-Krieg?
6. August 2009Vladimer Vardselaschwili sitzt in seinem Büro in der Stadt Gori. "Der Krieg begann nicht am 7. August, sondern am 3. August", sagt der 30-jährige Gouverneur des Gebiets Schidakartli, einer Region im Norden Georgiens. "Drei unserer Dörfer wurden zerbombt. 40 Häuser wurden zerstört, und sieben Menschen starben."
Von Gori sind es nur 20 Kilometer bis zur Grenze mit der abtrünnigen Provinz Südossetien, die sich Anfang der 90er Jahre von Georgien in einem Krieg losgelöst hat. Hier begann vor einem Jahr der August-Krieg. Laut Vardselaschvili sind die südossetischen Milizen und ihre russischen Helfer daran schuld. Georgien sei gezwungen gewesen, militärisch zu reagieren.
So sieht es auch Tsitsino Kuschaschwili, die in einem Hochhaus am Rande von Gori lebt. Die 70-jährige Rentnerin hat vor einem Jahr ihre Tochter verloren. Eine russische Bombe hat sie getötet. Neben ihrem Haus steht heute ein "Baum des Lebens", ein Denkmal aus leeren russischen Hülsen. "Wir wissen, wie man uns provoziert hat", erinnert sich die schwarz gekleidete Frau an den August 2008. "Nachts konnte man sehen, wie aus Südossetien geschossen wurde."
Hunderte Opfer
Ob es wirklich so war, eine eindeutige Antwort gibt es noch nicht. Eine europäische Untersuchungskommission unter Leitung der Schweizer Kaukasus-Expertin Heidi Tagliavini wird erst im Herbst ihre Ergebnisse präsentieren.
Fest steht: Vor Mitternacht am 7. August 2008 begann die georgische Armee mit dem Beschuss Südossetiens und marschierte in der Nachbarrepublik ein. Tatsache ist auch, dass der georgische Präsident Micheil Saakaschwili seinen Landsleuten versprochen hatte, die abtrünnige Provinz unter Kontrolle zu bringen.
Russland, das sich als Schutzmacht des kleinen Südossetiens versteht, mischte sich sofort ein und schickte seine Armee. In wenigen Tagen war der Krieg vorbei, Hunderte Menschen auf beiden Seiten sind getötet worden. Russische Soldaten haben georgische Truppen aus Südossetien vertrieben und rückten bis nach Gori und weiter in das so genannte "Kern-Georgien" vor. Das gab dem Präsidenten Saakaschwili in der georgischen Hauptstadt Tiflis einen Grund, sich als Opfer einer russischen Aggression darzustellen: "In diesem Krieg geht es nicht um Südossetien – das stand nie an erster Stelle. Es geht darum, eine kleine, demokratische Nation anzugreifen, die in Frieden und Freiheit leben möchte."
Westliche Hilfe
Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin hielt dagegen: "Georgien hat sich selbst und seiner territorialen Integrität einen tödlichen Schlag versetzt. Es ist schwer vorstellbar, dass sich Südossetien nach diesen Geschehnissen überreden lässt, in den georgischen Staatsverbund einzutreten." In Südossetien kennt man nur einen Kriegsschuldigen: den georgischen Präsidenten. Die Führung in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali wirft ihm bis heute "Völkermord" vor.
Der Westen hat sich vor einem Jahr auf die Seite Georgiens gestellt. "Wir sind alle Georgier", sagte damals der Präsidentschaftskandidat der Republikaner, John McCain. Die USA haben besondere Beziehungen zu Georgien aufgebaut. Russland sieht darin eine Mitschuld Amerikas an dem Krieg.
Die EU vermittelte einen Waffenstillstand, Russland zog seine Truppen zurück, allerdings nicht aus Südossetien. Moskau hat die Unabhängigkeit dieser und einer anderen abtrünnigen georgischen Provinz – Abchasien – anerkannt. Seit Oktober 2008 überwachen ca. 350 EU-Beobachter den Frieden im Kaukasus. Auch finanziell hat der Westen geholfen, Milliardenhilfen wurden zugesagt.
Gefahr eines neuen Krieges
Ein Jahr nach dem Krieg wird oft über einen neuen Waffengang spekuliert. Gibt es Anzeichen dafür? Oberstleutnant Jean-Patrick Boudier ist Bürochef der EU-Beobachter in Gori: "Wir haben nicht genug Hinweise um sagen zu können, ein Krieg stünde bevor. Ich persönlich glaube das nicht."
Der Politologe aus Tiflis, Ramas Sakwarelidse, sieht es anders. Er glaubt, dass Russland an einem neuen Krieg interessiert sein könnte, um den USA eine Lehre zu erteilen. Georgien strebt in die NATO, und Russland sieht die ehemalige Sowjetrepublik als sein Einflussgebiet. Der Krieg vor einem Jahr war laut Sakwarelidse "eine Botschaft an den Westen."
Doch auch der georgische Präsident sei nicht ohne Schuld, sagt Sakwarelidse. Saakaschwili sei "ein emotionaler Mensch". "Die Ereignisse im August 2008 sind vor dem Hintergrund starker Emotionen passiert", so der Politologe. Er schließt nicht aus, dass Saakaschwili im Falle einer Verschärfung der Lage im Kaukasus wieder entscheiden könnte "mit militärischen Mitteln zu reagieren".
Autor: Roman Goncharenko
Redaktion: Markian Ostaptschuk