Bücherfrühling
14. Januar 2007Ein Blick auf das Jahr 2006 zeigt: Ein deutscher Autor steht auf Platz 1 der meistverkauften Belletristik-Bücher in Deutschland - Daniel Kehlmann mit "Die Vermessung der Welt" (Rowohlt). Insgesamt 850.000 Exemplare wurden bisher von seinem 2005 erschienenen Roman verkauft. Und auch im Januar 2007 führt er schon wieder die Bestsellerliste an. Noch 2005 waren die ersten Plätze von Unterhaltungsautoren wie Dan Brown und Joanne K. Rowling belegt.
Dass die deutsche Literatur national und international an Prestige gewonnen hat, dazu hat sicher auch der 2005 eingeführte "Deutsche Buchpreis" beigetragen, der sich bereits als verkaufsförderndes Markenzeichen bewährt hat.
Auf der Höhe der Zeit
Auch inhaltlich ist die deutsche Literatur auf der Höhe der Zeit: alle Themen, die derzeit in Deutschland diskutiert werden, finden sich auch in Romanen wieder. Seien es die unterschiedlichen Lebenswelten von reich und arm (Peter Truschner: Die Träumer; Zsolnay), die Desorientierung in der sich beschleunigenden Gesellschaft (Silke Scheuermann: Die Stunde zwischen Hund und Wolf; Schöffling), die unterschiedlichen Biografien in Ost und West (Sascha Lange: DJ Westradio; Aufbau) wie überhaupt die deutsche Geschichte. Das Thema Vertreibung und Vertriebenenschicksale wird dabei erstaunlicherweise auch von ganz jungen Autorinnen und Autoren aufgegriffen.
Zum Beispiel in dem Debut "Aus dem Sinn" von Emma Braslavsky. Die 1971 in Erfurt geborene Autorin stammt selbst aus einer Vertriebenenfamilie. Ihr Roman schildert die Geschichte einer kleinen Gemeinde vertriebener Sudetendeutscher in der DDR. Dabei tut sich ein Generationenkonflikt zwischen den Jungen und den nostalgischen Alten auf, den Braslavsky mit viel Sinn fürs tragisch-komische in Szene setzt.
Älterwerden
Im Gegensatz zur reichhaltigen Sachliteratur, die sich hauptsächlich mit den Folgen der älter werdenden Gesellschaft für die Sozialsysteme beschäftigt, geht es in der Belletristik darum, wie sich 'Altwerden' für den Einzelnen anfühlt. Bemerkenswert ist auch hier ein Debutroman: "Ostersonntag" von Harriet Köhler (Kiepenheuer & Witsch). Darin beschreibt die 1977 geborene Münchenerin auf bedrückende Weise die beginnende Demenz des ehemaligen Hochschulprofessors Heiner. Heiner verschanzt sich hinter seiner Zeitung, lässt seine Frau glauben, er läse: "Dabei ist es viel ernster. Im Schutz der wissensgeschwärzten Seiten sitzt du da und stirbst." "Demenz", "Gedächtnisverlust" steht in diesem Roman auch symbolisch für das Drama dieser vierköpfigen Familie, die den Selbstmord der jüngsten Tochter beharrlich als Unfall deklariert.
Gesellschaftlich relevante Themen als Ausgangspunkt für Literatur zu nehmen, das gilt besonders auch für Georg Klein, der mittlerweile zu den bedeutendsten deutschen Autoren gehört. Wer Klein kennt, weiß, dass in seinen Texten nichts so ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Und wie immer spielt er auch in seinem neuen Roman "Sünde, Güte, Blitz" (Rowohlt) mit den Genres der Unterhaltungsliteratur. In einer Mischung aus Arztroman und Dämonengeschichte geht es um Verjüngung mit Mitteln der Medizin, um erotische Attraktivität - und um unsere Wissenschaftsgläubigkeit.
Bekannte Namen
Neben etlichen Debüts sind auch wieder viele bekannte Namen im Frühjahrsprogramm der Verlage vertreten: Ingo Schulze ist dabei mit "Handy" (Berlin Verl.) "Dreizehn Geschichten in alter Manier", wie es im Untertitel heißt. Eine ironische Anspielung auf seinen internationalen Erfolgsroman 'Simple Stories' von 1998.
Thomas Brussig legt eine 'Reportage über Frauen, Sex und Prostitution' vor, so die Verlagsankündigung. Titel: "Berliner Orgie" (Piper). Wilhelm Genazino lässt dagegen seinen Helden unter mittelmäßigen Gefühlen leiden: "Mittelmäßiges Heimweh", so der Titel seines Romans bei Hanser.
Antje Ravic Strubel, die ihre neue verlegerische Heimat bei S. Fischer gefunden hat, spielt in "Kältere Schichten der Luft" mit dem Gender-Thema.
Peter Handke variiert in "Kali. Eine Vorwintergeschichte" (Suhrkamp) noch einmal das Thema Reisen. Reisen als Neuentdeckung der Welt, als Möglichkeit der "aufmerksamen und zugleich gelassenen Anschauung" (Verlagsankündigung).
Und schließlich ist 2007 auch das Jahr der 80. Geburtstage der "Großschriftsteller" Martin Walser und Günter Grass. Neue Bücher wird es von beiden geben: unter dem Titel "Dummer August"(Steidl) erscheinen Gedichte und Zeichnungen, die Grass als Reaktion auf die Debatte um seine SS-Mitgliedschaft geschrieben hat. Von Walser erscheinen unter dem Titel "Das geschundene Tier" (Rowohlt) Balladen mit Zeichnungen von Alissa Walser. Beides sind wohl eher dem Anlass geschuldete Bücher, die letzten Romane - "Beim Häuten der Zwiebel" (Grass) und "Angstblüte" (Walser) liegen ja erst wenige Monate zurück.