Was der Brexit für den Sport bedeutet
24. Juni 2016Das Volk hat gesprochen - und jetzt? Europa rätselt, wie es nun ohne Großbritannien in der EU weiter gehen soll. Nach dem Referendum will das Vereinigte Königreich als erstes Land überhaupt die Europäische Union verlassen. Die Folgen sind kaum abzusehen - auch nicht für den europäischen Sport.
Spielen demnächst weniger Profis aus der EU in der englischen Premier League? Nützt der Brexit damit den anderen europäischen Ligen? Und was passiert im Breitensport? Viele Fragen sind nach dem Ausstieg der Briten aus der EU offen. Und die Prognosen gehen weit auseinander.
400 arbeitslose Fußballprofis?
Ohne EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs haben demnächst allein rund 400 aktuelle Fußball-Profis der Premier League keine Arbeitserlaubnis, darunter übrigens auch mehrere Deutsche. Denn Berufsfußballer mit Pass eines EU-Mitgliedslandes dürfen bislang ohne Einschränkung in die Premier League und weitere britische Fußball-Ligen wechseln. Demnächst müssen diese Sportler aber wie Athleten aus Nicht-EU-Staat behandelt werden. Für diese gelten strenge Kriterien des Innenministeriums - so hängt die Erteilung einer Arbeitserlaubnis von der Weltranglistenposition des Herkunftslandes und den Länderspielen des Spielers ab. Beispiel: Ein Profi aus einem Top-10-Land muss demnach mindestens 30 Prozent der möglichen Länderspiele der vergangenen zwei Jahre bestritten haben. Nach dieser Logik dürfte selbst Frankreichs aktueller EM-Held Dimitri Payet momentan nicht nach England wechseln. Einer dreistellige Zahl von Spielern wäre so in der vergangenen Saison ein Transfer in die Premier League verwehrt geblieben.
Die Lösung scheinen hier Ausnahmegenehmigungen, die allerdings noch erarbeitet werden müssen. Und so verwundert es kaum, dass Englands Fußball-Verbandsvorsitzender Greg Dyke von "einem ziemlichen Einfluss auf den englischen Fußball", spricht, den das Ausscheiden aus der EU haben werde. Inzwischen kämen nur noch 30 Prozent Spieler in der Premier League aus England, dies sei "eine Schande", erklärte der FA-Chef, der durch den Brexit zugleich auf eine Steigerung der Anzahl heimischer Spieler in der Premier League hofft.
Ein anderer Faktor wird den britischen Fußball aber in jedem Fall hart treffen: die Talfahrt des britischen Pfundes. Weil die Währung auf der Insel gegenüber dem Euro spürbar an Wert verlor und weiter verlieren dürfte, wird bei den Shoppingtouren der englischen Klubs auch der bislang unschlagbare Wettbewerbsvorteil der Finanzkraft zusammenschmelzen.
Ausländische Rubgystars ohne Arbeitserlaubnis
Auch für andere Sportarten zeichnen sich Konsequenzen ab: Im Rugby genießen zum Beispiel, seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2003, Sportler aus 79 Ländern in Afrika, der Karibik und dem Pazifik-Raum (AKP-Staaten) die gleichen Rechte wie EU-Athleten. Da Großbritannien nun aus der EU austritt, dürfte auch dieses so genannte Kolpak-Abkommen in unbestimmter Zukunft voraussichtlich nicht mehr gelten - Sportler aus AKP-Staaten hätten also den Status von normalen Ausländern. "Die Premiership (Englands Rugby-Liga) wird leiden, weil sie wegen ihres kosmopolitischen Flairs für Zuschauer und Sponsoren attraktiv ist", sagte Christian Abt von der Essentially Sports Management Gruppe. Formel-1-Chefvermarkter Bernie Ecclestone sieht dem Brexit gelassen entgegen: "Das macht keinen Unterschied für mein Geschäft." Acht der elf Formel-1-Teams haben ihren Sitz auf der britischen Insel. Anders sieht das an der britischen Sport-Basis aus: Großbritannien wird künftig keine Brüsseler Fördergelder aus dem ERASMUS+-Programm beziehen können, mit der Breitensport-Projekte unterstützt wurden.
Und noch etwas könnte den zuletzt so erfolgreichen britischen Sport hart treffen: Schottlands "No" zum Brexit und die damit verbundene Wiederbelebung der Separartions-Bestrebungen bedroht den Zusammenhalt der Sportnation Großbritannien: "Ich glaube, dass Schottland nach einem erneuten Referendum Großbritannien verlassen wird und es dann eine schottische Olympiamannschaft gibt", sagte der Hamburger Sportökonom und Ruder-Olympiasieger Wolfgang Maennig. Sollte Schottland Großbritannien tatsächlich verlassen, würde es in sämtlichen Sportarten und auch bei den Olympischen Spielen mit einer eigenen Mannschaft antreten. Bislang stellen Schottland, Nordirland und Wales nur im Fußball wegen ihrer traditionellen Eigenständigkeit eigene Teams.
Und was passiert in Kontinentaleuropa? Martin Gerster, Haushaltsexperte für den Sport im deutschen Bundestag, sieht durch den Brexit keine großen Auswirkungen auf den deutschen Sport zukommen. "Fundamental wird sich da nichts ändern. Die Ligen und Wettbewerbe finden weiterhin so statt wie bislang, auch wenn Großbritannien nicht mehr zur EU gehört", so der SPD-Politiker. Michael Vesper, Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), beurteilt die Lage ähnlich: "Ich bedaure die Entscheidung der Briten, sehe aber keine gravierenden Auswirkungen auf den Sport in Europa."
"Verdammte Scheiße!"
Wesentlich emotionaler sind da schon die Reaktionen aus dem britischen Sport. "Verdammte Scheiße! Ich schäme mich für meine Generation. Wir haben unsere Kinder und Kindeskinder im Stich gelassen", twitterte der ehemalige englische Fußball-Nationalspieler Gary Lineker gewohnt klar und deutlich. "Ich fühle mich, als würde ich in einem fremden Land leben", schrieb der einstige Weltklasse-Leichtathlet Jonathan Edwards. Jamie Roberts, Rugby-Star aus Wales, ist enttäuscht und Segel-Olympiasieger Ben Ainslie verglich die Abstimmung mit dem Kentern eines Schiffes: "Es ist Zeit, das Boot wieder klarzukriegen und gemeinsam in eine Richtung zu gehen."
Die englische Fußball-Nationalmannschaft hält sich dagegen aus der Debatte raus und versucht sich auf das anstehende EM-Achtelfinale gegen Island (27.6., 21 Uhr im DW-Liveticker) zu konzentrieren. "Ich denke, dass keiner von uns genug darüber weiß, um es zu kommentieren", sagte Stürmer Harry Kane. "Ich weiß nicht genug darüber, um besorgt zu sein. Und ich denke, den anderen geht es genauso." Manchmal ist Unwissenheit ein Segen.