Was Bürger an der EU mögen
29. Januar 2017Europa am Scheideweg, Europa in der Krise, die EU vor dem Scheitern. Was ist über das europäische Einigungsprojekt im Zuge von Brexit-Votum und Trump-Wahl nicht alles geschrieben und gesagt worden. Manch einer sieht gar schon das Ende für den Friedensnobelpreisträger von 2012 gekommen.
In diesen Zeiten überrascht ein Bericht, den jetzt die EU-Kommission vorlegt. Er beschäftigt sich mit dem Bewusstsein der Europäer für ihren Status als EU-Bürger: Der "EU citizenship report". Konkret geht es um die Frage, ob die Menschen in der EU sich über ihre Rechte im Klaren sind und inwieweit sie auch Gebrauch davon machen.
"87 Prozent der Europäer sind sich ihrer Unionsbürgerschaft bewusst, das ist mehr als jemals zuvor. Dennoch sind ihnen nicht immer die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte bekannt", sagt Vera Jourova, EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung. "Wir möchten die Bürgerinnen und Bürger darin bestärken, sich besser über ihre Unionsrechte zu informieren, um sie auch leichter in Anspruch nehmen zu können", erklärt die tschechische Politikerin.
Nicht wählen gehen - aus Unwissenheit
Der Bericht macht klar: Viele Europäer wollen zunehmend mehr über ihre Rechte als EU-Bürger wissen und darüber, was sie tun können, wenn ihre Rechte missachtet werden. Und: Vier von fünf Europäern wissen laut Bericht ihr Recht auf Freizügigkeit zu schätzen.
Die EU-Bürger erwarten aber auch, dass mehr getan wird, um die gemeinsamen europäischen Werte zu fördern. Dabei hoffen sie vor allem darauf, dass in den Bereichen Bildung, Kultur sowie bei der Mobilität junger Menschen noch mehr getan wird.
Von ihrem Wahlrecht bei Europa- und Kommunalwahlen machen viele Bürger - besonders, wenn sie in einem anderen Mitgliedsland als dem eigenen leben - allerdings keinen Gebrauch. Der Grund ist laut Bericht bei den meisten schlicht Unwissenheit.
Justizkommisarin Jourova will das ändern. Geplant ist unter anderem eine Infokampagne, ein zentrales Onlineportal für alle EU-Bürger und ein "Europäisches Solidaritätskorps", das jungen Menschen die Möglichkeit geben soll, karitativ zu arbeiten. Letzteres wurde im Dezember 2016 angeschoben.
Die EU hat ein Imageproblem
Der Bericht beruht hauptsächlich auf Ergebnissen einer 2015 durchgeführten öffentlichen Konsultation. Alle drei Jahre gibt die EU-Kommission eine solche Standortbestimmung heraus. Obwohl sich die Bürger zunehmend ihres Status' bewusst sind, wissen die Kommissare in Brüssel, dass die EU nach wie vor ein Imageproblem hat. Und dass noch Arbeit vor ihnen liegt, wie Dimitris Avramopoulos, Kommissar für Migration, einräumt: "Um dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger der EU ihre Rechte und Freiheiten uneingeschränkt wahrnehmen können, werden wir uns weiter für die Verbesserung der Sicherheit innerhalb der EU einsetzen".
Außerdem will man in Zukunft offenbar Fehler aus der Vergangenheit vermeiden - und zum Beispiel im Zuge der Europawahlen 2019 neue Kampagnen fahren. Damit will man die Bürger nicht nur zur Wahlurne bewegen, sondern ihnen außerdem vermitteln, dass die EU kein Papiertiger im teils weit entfernten Brüssel ist. Sie sollen erkennen, dass sie in vielerlei Hinsicht direkten Einfluss auf ihren Alltag hat - und das nicht nur beim freien Grenzübertritt im Urlaub.