Was bringen die Atomgespräche?
24. Juli 2012Worum geht es im Atomstreit mit dem Iran?
Im Zentrum steht die Urananreicherung: Während Teheran darauf beharrt, den Kernbrennstoff für zivile Zwecke anzureichern, vermuten viele Staaten, dass es in Wirklichkeit darum geht, waffenfähiges Uran zu produzieren. Das zu überprüfen, ist Aufgabe der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), doch deren Inspektionen werden im Iran behindert.
Über diese Fragen verhandelt die sogenannte 5+1-Gruppe (Deutschland und die fünf UN-Vetomächte China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA) mit dem Iran. Die Gruppe verlangt, dass die iranische Regierung umfassende Kontrollen zulässt und die Urananreicherung auf 20 Prozent beendet. Im Gegenzug könnten die Handelssanktionen gelockert werden, die als Folge des Atomprogramms gegen den Iran verhängt worden sind.
Was ist von dem Treffen zwischen europäischen und iranischen Diplomaten am Dienstag (24.07.2012) in Istanbul zu erwarten?
Im besten Fall weitere Gespräche. Das Treffen ist Teil der Versuche, den Gesprächsfaden nicht ganz abreißen zu lassen, nachdem die Verhandlungen Mitte Juni in Moskau (siehe Bild oben) gescheitert waren. Die 5+1-Gruppe hatte vom Iran gefordert, die Anreicherung einzustellen, die Anreicherungsanlage Ghom zu schließen und bereits angereichertes Uran zu exportieren. Der Iran wiederum verlangte die Anerkennung seines Rechtes auf Anreicherung und forderte die Aufhebung der Sanktionen. "Wir haben unsere jeweiligen Positionen in einem detaillierten, harten und freimütigen Austausch dargelegt", sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton anschließend. "Es bleibt jedoch deutlich, dass es bedeutende Diskrepanzen zwischen den beiden Positionen gibt." Zu dem Treffen in Istanbul werden weder Ashton noch der iranische Chefunterhändler Said Dschalili reisen. Sollten die Gespräche in Istanbul Fortschritte bringen, wären wieder Verhandlungen auf höherer Ebene möglich.
Warum gibt es keine Einigung?
Eine mögliche Antwort lautet: Weil das Thema komplex ist. "Schon der Atomwaffensperrvertrag ist ambivalent", sagt Christian Tuschhoff, Politologe an der Freien Universität Berlin. Denn der Sperrvertrag verbietet zwar die militärische, erlaubt aber die friedliche Nutzung der Kernenergie – und die Grenze ist insbesondere bei der Anreicherung schwer zu ziehen.
Eine andere Antwort lautet: Weil der Iran unbeirrt an der Entwicklung von Atomwaffen arbeitet. Zwar steht der Iran zum Atomwaffensperrvertrag, der genau dies verbietet, aber das müsse nichts bedeuten, sagt der Sicherheitsexperte Tuschhoff: "In dem Moment, in dem man aus dem Vertrag ausstiege, wäre es sehr viel schwieriger, diese Aktivitäten zu verbergen."
Gibt es Beweise, dass der Iran nach Atomwaffen strebt?
Nein. Allerdings ist die Anreicherung an sich schon verdächtig. "Für den Iran ist es unsinnig, für ein ziviles Atomprogramm selbst Uran anzureichern - das ist überdimensioniert und viel zu teuer", analysiert Michael Brzoska, Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Die IAEO verwies in ihrem letzten Bericht im November 2011 auf Indizien für "Aktivitäten, die für die Entwicklung eines Nuklearsprengkopfes relevant sind". Auch das iranische Verhalten sorgt für Misstrauen: Die Anreicherung wurde lange geheim gehalten. Derzeit haben die Atominspektoren keinen Zutritt zur Anlage Parchin, wo Atomzünder getestet worden sein sollen. Satellitenbilder legen nahe, dass dort inzwischen Gebäude abgerissen wurden, um Spuren zu verwischen.
Warum sollte der Iran Interesse an Atomwaffen haben?
"Ein Grund für das Programm ist die Angst vor den USA", sagt der Friedenforscher Michael Brzoska. "Im Irak hat man gesehen, dass die USA bereit sind, zu intervenieren, wenn ihnen eine Regierung nicht gefällt." Zudem ist der Iran von Atommächten umringt: Russland, Israel, Pakistan, Indien und der Fünften Flotte der US-Armee im Persischen Golf.
Ist ein Kompromiss überhaupt vorstellbar?
Michael Brzoska vom Hamburger Friedensforschungsinstitut glaubt an eine Verhandlungslösung – sofern der Westen dem Iran weit entgegenkäme: "Man könnte den Iranern im Gegenzug für ein umfassendes Kontrollabkommen die Urananreicherung bis zu dem Grad von 19,8 Prozent erlauben." Zwar könne der Iran dann innerhalb eines Jahres Atomwaffen bauen, doch das würde sofort bekannt. "Das ist aus Sicht beider Gruppen keine optimale Lösung, aber die beste unter den gegebenen Interessenkonstellationen", sagt Broszka.
Ähnlich sieht das Nahost-Experte Bruce Riedel, früherer Mitarbeiter des US-Geheimdienstes CIA. Man könne die iranische Führung allenfalls davon überzeugen, sich die Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen zwar anzueignen, aber darauf zu verzichten, Waffen zu testen und zu produzieren. "Falls wir damit scheitern, sollten wir erkennen, dass das nicht das Ende der Welt ist", sagt Riedel. "Wir haben mit einem atomar bewaffneten Russland unter Stalin und einem atomar bewaffneten China unter Mao gelebt und falls wir das müssen, können wir auch mit einem atomar bewaffneten Iran leben." In Israel sehen das viele Menschen anders: Hier löst das Atomprogramm Ängste vor einem neuen Holocaust aus.
Droht ein Krieg?
Die USA weisen seit Jahren zwar regelmäßig darauf hin, dass sie einen Angriff nicht ausschließen, setzen jedoch auf eine diplomatische Lösung. Israels Regierung hat im Frühjahr mehrfach signalisiert, dass sie einen Militärschlag gegen iranische Atomanlagen vorbereitet. Unter Militärexperten ist umstritten, ob Israels Luftwaffe zu einer erfolgreichen Operation in der Lage wäre; Einigkeit besteht jedoch darin, dass das Atomprogramm auch im besten Fall nur verlangsamt würde. Die Folgen einer Militäraktion wären nicht absehbar: In positiven Szenarien gibt es nur wenige zivile Opfer und der Iran verzichtet auf einen Gegenschlag, in negativen weitet sich der Krieg auf die ganze Region aus. Kein Außenstehender kann allerdings mit Sicherheit sagen, ob es Israel ernst ist oder ob es nur darum geht, die Weltgemeinschaft zu mehr Druck auf den Iran zu bewegen.
Dennis Stute