Was bedeutet ein Importstopp für russische Kohle?
6. April 2022Die EU arbeitet nach dem Bekanntwerden der Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha mit Hochdruck an neuen Sanktionen gegen Russland und diskutiert erstmals die Verhängung eines Energieembargos. Über den Schritt, alle Kohle-Importe aus Russland in die Europäische Union zu stoppen, scheint Einigkeit zu herrschen. Diskutiert wird aber offenbar noch über den Beginn des Importverbots.
Jede zweite Tonne Steinkohle aus Russland
Fast die Hälfte der 31,82 Millionen Tonnen, die die Bundesrepublik 2020 importierte, kam nach Angaben des Vereins der Kohlenimporteure aus Russland. Mit großem Abstand folgten die Herkunftsländer USA und Australien. Die Zahlen umfassen sowohl Steinkohle als auch das Kohleprodukt Koks, das zum Beispiel in der Stahlherstellung genutzt wird. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums machte vor dem Ukraine-Krieg russische Kohle rund 50 Prozent des deutschen Steinkohleverbrauchs aus.
70 Prozent der EU-Kraftwerkskohle aus Russland
Blickt man auf die gesamte Europäischen Union, so liegt der Anteil russischer Kohle nach EU-Angaben bei etwa 45 Prozent der Kohle-Importe. Gleiches gilt für Gas. Der Anteil russischer Ölimporte liegt bei etwa 25 Prozent. Beim Import von Kraftwerkskohle, die zur Stromerzeugung genutzt wird, kommt russische Kohle auf fast 70 Prozent, wie die in Brüssel ansässige Denkfabrik Bruegel ausgerechnet hat. Zwischen 20 und 30 Prozent der importierten Kokskohle, die zur Eisen- und Stahlproduktion verwendet wird, komme aus Russland.
Neben Polen und Niederlanden größter Kohleverbraucher
Deutschland gehört neben Polen und den Niederlanden zu den größten Verbrauchern von Kohle. Im Zeitraum Januar bis Oktober 2021 stammten 53 Prozent der deutschen Kohle-Importe aus Russland, 17 Prozent aus den USA, 13 Prozent aus Australien, 5 Prozent aus Kolumbien und kleinere Mengen aus Kanada, Polen, Südafrika und Tschechien.
Der Anteil der russischen Steinkohle wird bereits verringert. Wie das Bundeswirtschaftsministerium Ende März in einem Fortschrittsbericht Energiesicherheit mitteilte, wird ein Großteil der Betreiber von Kraftwerken bis zum Frühsommer komplett auf russische Steinkohle verzichten oder erheblich weniger verfeuern.
Auch bei den großen industriellen Nutzern von Kohle, vor allem der Stahlindustrie, erfolge bereits eine Umstellung der Lieferverträge.
Durch die Vertragsumstellungen sinke die Abhängigkeit bei Kohle in den nächsten Wochen von 50 Prozent auf rund 25 Prozent, was bereits ab April Schritt für Schritt wirksam werde: "Bis zum Herbst kann Deutschland unabhängig von russischer Kohle sein."
Kurzfristiger Importstopp wäre problematisch
In einem der Nachrichtenagentur dpa vorliegenden Bericht des Wirtschaftsministeriums an den Wirtschaftsausschuss des Bundestags hieß es, die Umstellung der Lieferketten sei noch nicht vollzogen, so dass es bei einem sofortigen Lieferstopp nach wenigen Wochen zu einer Kohleknappheit kommen könnte. Das wiederum könne Auswirkungen auf den Stromsektor haben.
Würden die russischen Importmengen kurzfristig ausfallen, würde für die Stromerzeugung auf vorhandene Vorräte an den Kraftwerksstandorten und zwischengelagerte Steinkohle in den Häfen zurückgegriffen: "Diese Vorräte reichen für etwa vier bis sechs Wochen je nach Betrieb des Kraftwerks." Nach einem Verbrauch der Vorräte müssten voraussichtlich einzelne Kraftwerke abgeschaltet werden.
Alternative Lieferländer verfügbar
Bei der Kohle kann Deutschland - anders als beim- Öl und vor allem beim Erdgas - die Abhängigkeit von Russland am schnellsten verringern. Steinkohleimporte aus Russland könnten in wenigen Monaten vollständig durch andere Länder ersetzt werden.
Besonders die USA, Kolumbien und Südafrika könnten deutlich mehr Kohle liefern, teilte Anfang März der Verein der Kohlenimporteure mit. Es gebe einen gut funktionierenden, liquiden Weltmarkt und es seien ausreichende Mengen vorhanden. Deutschland sei auch nicht von den besonderen qualitativen Eigenschaften russischer Kohle abhängig, da bei Steinkohle unterschiedliche Qualitäten leicht gemischt werden könnten, um technische Parameter zu erfüllen.
Deutsche Braunkohle mit höherem Anteil als Steinkohle
Der einzige fossile Energieträger in Deutschland, der nicht importiert werden muss, ist Braunkohle. Von den 107,4 Millionen Tonnen Braunkohle, die 2020 laut Bundesverband Braunkohle in Deutschland abgebaut wurden, kam knapp die Hälfte aus dem Rheinland, rund 40 Prozent aus der Lausitz und knapp 12 Prozent aus Mitteldeutschland. Braunkohle hatte 2021 laut AG Energiebilanzen einen Anteil von 9,3 Prozent am gesamten Primärenergieverbrauch. Der Anteil der Steinkohle lag bei 8,6 Prozent - Erdgas hatte einen Anteil von 26,7 Prozent.
Knapp ein Drittel der Energie aus deutschen Quellen
Rund 29 Prozent des Energiebedarfs konnte Deutschland 2020 laut Weltenergierat, einem internationalen Zusammenschluss von Branchenverbänden und Unternehmen, aus heimischen Quellen decken. Erneuerbare Energien etwa aus Wind und Sonne sowie Braunkohle sind demnach die einzig nennenswerten heimischen Energieträger. Die Bundesrepublik deckt hier ihren gesamten Verbrauch selbst. Die übrigen 71 Prozent wurden importiert: Steinkohle zu 100 Prozent, Öl und Erdgas zu jeweils mehr als 95 Prozent.
Stahl- und Stromerzeugung wichtigste Kohlenutzer
Knapp die Hälfte der in Deutschland verbrauchten Steinkohle wurde im vergangenen Jahr zur Stahlerzeugung genutzt. Die andere Hälfte wurde in Kraftwerken entweder zur Strom- oder Wärmeproduktion verwendet. Ein sehr geringer Anteil ging in die Wärmeerzeugung in Industriebetrieben. Die in Deutschland abgebaute Braunkohle wird zum Großteil zur Stromerzeugung genutzt.
Die Kohleverbrennung gehört zu den größten Emittenten klimaschädlichen Kohlendioxids. In Deutschland werden noch einige Kraftwerke mit Steinkohle oder Braunkohle befeuert. Heimische Braunkohle, die etwa RWE im Rheinischen Revier fördert und verfeuert, ist noch klimaschädlicher als Steinkohle. Sie muss aber nicht importiert werden, sondern wird im Tagebau hierzulande gewonnen und für die Stromerzeugung eingesetzt.
Die Preise für Importkohle sind wie auch die von Gas in den vergangenen Monaten explodiert. Die Analysten der Investment-Bank UBS gehen davon aus, dass es in den nächsten ein bis zwei Jahren keine größere Entspannung bei den Preisen geben wird.
Versorger satteln um
Der deutsche Energieriese EnBW teilte auf Nachfrage der Nachrichtenagentur Reuters mit, dass derzeit die Versorgung weitestgehend normal verläuft. Der Konzern habe Bestände vorrätig, die bereits weit in das laufende Jahr reichten und insofern auch die Strom- und Wärmeversorgung der Kunden absichere. EnBW sei gerade dabei, die Beschaffung aus alternativen Bezugsländern zu beschleunigen.
"Daher halten wir die Situation auch bei einem potenziellen Ausbleiben russischer Kohlelieferungen für kontrollierbar." Mittelfristig könnten ergänzend zu den Lieferungen aus Kolumbien, Südafrika und den USA Verträge mit Australien, Afrika und Asien geschlossen werden.
Folgen für Deutschlands Ausstiegspläne
2038 lautet das gesetzlich festgeschriebene Enddatum. Die Ampel-Regierung will es allerdings schon bis 2030 schaffen –"idealerweise". Dieses angepeilte Datum steht laut Wirtschaftsministerium auch nicht in Frage. Der Ausstieg hängt aber davon ab, ob der angestrebte massive Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sinne gelingt. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs sollen mehr Kraftwerke, die vom Netz gehen, in die Reserve - die Bedeutung der Kohle könnte wieder steigen.
Folgen für den Klimaschutz
Kurzfristig sei zu erwarten, dass Deutschland dadurch mehr Treibhausgase ausstoße, sagte Klima-Staatssekretär Patrick Graichen jüngst. "Im Strommarkt erwarte ich 2022 tendenziell eher noch mal etwas steigende Emissionen, aber das heißt nicht, dass das auch für die Gesamttreibhausgasbilanz gilt", sagte Graichen. Er versicherte, die Regierung wolle den Klimaschutz umso entschiedener vorantreiben. Auch Greenpeace geht davon aus, dass im kommenden Winter 2022/23 in Deutschland Steinkohlekraftwerke die Stromproduktion durch Gaskraftwerke schon allein aus ökonomischen Gründen ersetzen werden. Grund seien die voraussichtlich hohen Gaspreise, sagte der Klima- und Energieexperte der Umweltschutzorganisation, Karsten Smid. Gezwungenermaßen würde in der Folge auch der CO2-Ausstoß steigen.
tko/hb (dpa, rtr)