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Der Brexit und die Wissenschaft

Fabian Schmidt25. Juni 2016

Großbritannien und die EU sind in der Forschung eng vernetzt - beim Austausch von Wissenschaftlern, in der Finanzierung und bei der Festlegung von Standards und Regeln. Wie geht es weiter? Mehr Fragen als Antworten.

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Symbolbild Forschung Labor Reagenzgläser Chemie
Bild: Fotolia/Tom

Wie wichtig sind EU-Gelder für die britische Forschungslandschaft?

Großbritannien zahlt zwar netto mehr in die Europäische Union ein als es herausbekommt, aber der Wissenschaftsbetrieb bildet hier eine Ausnahme. Der Grund: Großbritannien ist eine weltweit führende Wissenschaftsnation mit hochentwickelten Forschungsinstitutionen. Und die sind in der Lage, deutlich mehr Projektmittel und Fördergelder so einzusetzen, dass die zweckmäßige Verwendung auch gegenüber den Geldgebern nachweisbar ist.

Die Bedeutung der britischen Forschung lässt sich an der Anzahl der Publikationen ermessen: Unter den weltweit meist zitierten Forschungsartikeln stammt jeder sechste von mindestens einem britischen Autoren oder einer Autorin.

Insgesamt finanziert die Europäische Union durch das Horizon 2020-Programm Forschung in einem Gesamtvolumen von 80 Milliarden Euro über einen Zeitraum von sieben Jahren (2014 - 2020). Im Vorläuferprogramm hatte Großbritannien sieben Milliarden Euro Forschungs-Förderungsmittel von der EU erhalten.

Was wird mir laufenden Forschungskooperationen passieren?

Zunächst muss der Brexit ausgehandelt werden. Bis dahin werden bereits von britischen Forschungseinrichtungen unterzeichnete Förderverträge weiterlaufen und auch darüber hinaus voraussichtlich Bestandsschutz genießen. Auch müssen britische Projektpartner an laufenden Kooperationsprojekten anderer EU-Mitgliedsstaaten nicht befürchten, plötzlich ausgeschlossen zu werden.

Eine offene Frage ist, wie Forscher auf beiden Seiten des Ärmelkanals in Zukunft an die notwendigen Aufenthaltstitel gelangen. Im Rahmen der nun folgenden Scheidungsverhandlungen müssen dazu pragmatische Lösungen gefunden werden.


Was passiert mit britischen Wissenschaftlern in Forschungseinrichtungen der EU?

Viele langjährig in gemeinschaftlichen Europäischen Forschungseinrichtungen tätigen britischen Wissenschaftler spielen nach Ansicht der Leiterin des Helmholtz-Büros in Brüssel, Annika Thies, mit dem Gedanken, die Staatsangehörigkeit des Landes anzunehmen, in dem sie tätig sind. Die Institute, des Gemeinsamen Forschungszentrum der EU Kommission (JRC) liegen alle außerhalb Großbritanniens. Aber auch an diesen ist Großbritannien beteiligt. Die Details eines Rückzugs von gemeinsamen JRC-Projekten müssten einzeln ausgehandelt werden.

Bei anderen Forschungseinrichtungen dürfte die Beschäftigung von Briten weniger problematisch sein, solange die Arbeitsverträge mit dem jeweiligen Institut abgeschlossen wurden und die Mitarbeiter nicht als Beitrag Großbritanniens im Rahmen eines Barter-Geschäfts entsandt wurden.


Wie geht die Zusammenarbeit an europäischen Großforschungseinrichtungen weiter?

Forschungseinrichtungen wie die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) sind von ihrer Struktur so international aufgestellt, dass die Beteiligung Großbritanniens und auch britischer Forscher weniger Probleme bereiten dürfte. Das liegt daran, dass das CERN keine EU-Institution, sondern eine europäische Institution ist, an der auch viele nicht-EU Mitgliedsstaaten beteiligt sind. Es arbeitet unabhängig von Entscheidungen in Brüssel oder London und ist nur seinem wissenschaftlichen Auftrag verpflichtet - auch in der Personalentwicklung.

Ähnlich ist es bei der Europäischen Weltraumagentur ESA, die als "intergovernmental"-Organisation auf jährlichen Ministerkonferenzen ihre Aufgaben und Geldzusagen direkt von den Mitgliedsstaaten erhält. Einige EU-Mitglieder sind dort nur als kooperierende Staaten beteiligt, andere nicht-EU-Mitglieder, wie die Schweiz oder Norwegen, als Vollmitglieder.


Droht der britischen Forschungslandschaft ein "brain drain"?

In den letzten Jahren hat die britische Regierung ihre eigene Forschungsförderung immer weiter reduziert, während die Projektförderung durch EU-Mittel immer wichtiger geworden ist. Das ist auch ein Grund, weshalb britische Forscher der EU sehr positiv gegenüber stehen.

Ob diese nun ihr Glück eher an Forschungseinrichtungen im EU-Raum suchen werden, hängt vor allem von der zukünftigen Budgetpolitik der Londoner Regierung ab. Nur wenn sie es schafft, die Verluste auszugleichen, bleiben britische Universitäten und Institute so attraktiv, wie heute.


Was bedeutet der Brexit für britische Universitäten?

Für die britischen Hochschulen wird der Ausstieg eine große Lücke ins Budget schlagen. So erhalten einige Hochschulen über zehn Prozent ihrer Forschungsgelder von der EU. Dieses Defizit müsste die britische Regierung mit Mitteln ausgleichen, die sie durch den Brexit an Zahlungen an Brüssel einspart.

Ein riesiger Unsicherheitsfaktor dabei ist aber die allgemeine Wirtschaftsentwicklung nach dem Brexit: Sollte Großbritannien eine schwere Rezession erleiden, könnten diese Einsparungen schnell aufgefressen sein. Zu Recht sorgen sich daher britische Universitäten um ihre Finanzierung, denn jährlich fehlen damit zunächst etwa 930 Millionen Euro.


Welche Auswirkungen hat der Ausstieg für Studenten?

Britische Studenten, die bereits auf dem Kontinent studieren, müssen sich vor dem Brexit um eine Anpassung ihres Aufenthaltsstatus kümmern - sie brauchen in Zukunft ein Visum. Ob es für die Betroffenen vereinfachte Verfahren oder eine Ausnahme von der Visumspflicht geben wird, ist noch auszuhandeln.

In Zukunft müssten britische Studenten dieselben Verfahren durchlaufen wie nicht-EU-Staatsbürger. Dasselbe würde auch für Studenten aus der EU gelten, die in Großbritannien studieren möchten. Eine weitere Beteiligung Großbritanniens am Erasmus-Programm für den Studentenaustausch ist keine Selbstverständlichkeit und müsste neu ausgehandelt werden.

Hat der Brexit auch Vorteile für die britische Forschung?

In der medizinischen Grundlagenforschung und klinischen Forschung könnte der Brexit der Wissenschaft neue Impulse verleihen. Der Grund: Die EU-Richtlinien für klinische Versuche sind vielfach so streng verfasst, dass ihre penible Anwendung zahlreiche universitäre und kleinere Forschungsinstitutionen überfordert. Britische Mediziner konnten nachweisen, dass dadurch die Versuchszahlen in der EU insgesamt bereits zurückgegangen sind. Große Pharmaunternehmen können sich den nötigen Aufwand leisten. Aber viele kleinere Forschungsprojekte werden faktisch blockiert.

Sollte Großbritannien hier seine Gesetze lockern, könnte die Forschungslandschaft wieder vielfältiger werden. Auch in den Bereichen der Gentechnik könnte Großbritannien entscheiden, die derzeitigen EU-Standards zu lockern und damit interessierte Forscher an britische Universitäten uns Institute zu locken.