Warum reisen Päpste - und das noch im hohen Alter?
28. August 2024Mit 87 Jahren bricht Papst Franziskus am 2. September zu seiner längsten Auslandsreise auf. Er besucht Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur. Der Augsburger Kirchenhistoriker Jörg Ernesti analysierte im Buch "Geschichte der Päpste seit 1800" den kirchlichen Weg in die Moderne. Im Interview der Deutschen Welle ordnet er die Papstreisen ein.
DW: Professor Ernesti, seit gut 60 Jahren, seit Paul VI. (1963-1978), reisen die Päpste. Verändert das das Papstamt?
Professor Jörg Ernesti: Es gab schon im Altertum oder Mittelalter einzelne reisende Päpste. So zog Stefan II. im Jahr 753 über die Alpen, um Pippin, den Vater Karls des Großen, um Hilfe gegen die Langobarden zu bitten. Aber eigentlich waren die Päpste an den Ort Rom gebunden und reisten selten. Der letzte Papst vor Paul VI., der Italien verlassen hat, war Pius VII. (1742-1823). Er reiste gegen seinen Willen: Er wurde von Napoleon nach Frankreich entführt.
Als Paul VI. im Dezember 1963 ankündigte zu reisen, war das eine faustdicke Überraschung für die Weltkirche und für die in Rom zum Zweiten Vatikanischen Konzil versammelten Bischöfe. Es bedeutete gleich eine dreifache Premiere: dass der Papst den Vatikan verlassen und reisen wollte, zweitens, dass er ein Flugzeug besteigen wollte, drittens, dass er als erster Papst seit dem Apostel Petrus ins Heilige Land zurückkehren wollte. Während seines weiteren Pontifikats hat Paul VI. dann alle fünf Kontinente bereist. Johannes Paul II. (1978-2005) hat diese Reisetätigkeit noch einmal potenziert. Heute gehört die Reisetätigkeit ganz integral zur Ausübung des Papstamtes hinzu und ist kaum mehr wegzudenken.
Bei jeder Reise sind Journalistinnen und Journalisten mit an Bord. Wie sehr sind die Reisen auch Medien-Events?
Dass Journalisten mitreisen, war zunächst der Tatsache geschuldet, dass der Vatikanstaat keinen Flughafen und keine eigene Fluglinie unterhält. Letztlich finanzieren die mitreisenden Journalisten bis heute die Flüge. Aber in der Tat sind die Reisen auch große Medienevents. Sie sind vom Vatikanischen Staatssekretariat durchgeplant und durchgestylt, was die Präsenz in den Medien angeht. Das gilt für kleine Veranstaltungen wie den Besuch 2023 in der Mongolei, in der nur wenige Katholiken leben.
Das gilt aber auch für die großen Anlässe. Als Johannes Paul II. 1995 in Manila zum Abschluss des Weltjugendtages einen Gottesdienst vor vier Millionen Menschen feierte, war das eine der größten Menschen-Ansammlungen und auch eines der größten religiösen Events in der Menschheitsgeschichte. Das war wie gemacht für die Medien.
In Ihrem Buch verweisen Sie darauf, dass die katholische Kirche im Jahr 1900 rund 266 Millionen Gläubige zählte und 2024 fast 1,4 Milliarden weltweit. Sind die Reisen Ausdruck der Pluralisierung, der Vielfalt, oder eher der Versuch, Uniformität zu wahren?
Eigentlich könnte man die Reisen der Päpste als Zeichen dafür sehen, dass sich die katholische Kirche als Weltkirche pluralisiert. Andererseits - zumindest zur Zeit von Johannes Paul II. wirkte es auch so, dass dieser Mann sehr genau wusste, was er kirchlich wollte, und die immer gleiche Botschaft in allen Zielregionen verkündete und damit den Laden auf seine Art - auf Deutsch gesagt - zusammenhielt. Franziskus ist dagegen geradezu unberechenbar.
Gibt es Regeln dafür, wie eine Papstreise auszusehen hat?
Das formulierte schon Paul VI., der erste moderne Reise-Papst. Er ist sehr reflektiert an die Sache herangegangen und hat ein Konzept der sogenannten "Apostolischen Reisen" entwickelt. Demnach müssen zu einer Reise stets Begegnungen mit den Regierenden, Begegnungen mit Jugendlichen, mit den Vertretern des Judentums und der nichtchristlichen Religionen dazugehören.
Und er formulierte eine Zielvorstellung. Es ging ihm nicht darum, dass Petrus, vertreten im Papst, die Ortskirchen zu sich kommen lässt - das wäre zentralistisch gedacht. Er macht sich vielmehr präsent bei den Ortskirchen. Diese Wertschätzung der Ortskirchen entsprach ja dem Denken des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65).
Bei Johannes Paul II. kam dann der Vorwurf des Neozentralismus. Seine Reisen changieren meines Erachtens zwischen diesem Neozentralismus im Sinne einer Unterordnung unter Rom und einer Aufwertung der Ortskirche. Johannes Paul II. wollte den Vorrang des Papstamtes auch an den entferntesten Ecken der Erde gegenwärtig halten.
Mir geht das Bild nicht aus dem Kopf, das während des Besuchs des polnischen Papstes in Nicaragua 1983 entstand. Da kniete der international bekannte Theologe Ernesto Cardenal vor ihm, den Johannes Paul II. wegen des Engagements für die linken Sandinisten aller kirchlichen Ämter enthoben hatte. Der Papst steht da mit strengem Blick und erhobenem Zeigefinger. Diese Szene steht für die Unterordnung unter Rom.
Mit Blick auf den jetzigen Papst spürt man in Deutschland und Mitteleuropa eine gewisse Ernüchterung: Er reist überall hin, aber nicht zu uns.
Bei früheren Päpsten wurde sorgsam darauf geachtet, alle Weltgegenden, alle großen katholischen Nationen mit einem Papstbesuch zu bedenken. Das ist bei Franziskus nicht so. Sein Programm ist es, an die Ränder zu gehen.Als er den Vatikan 2013 erstmals verließ, reiste er auf die Mittelmeer-Insel Lampedusa ins Flüchtlingslager. An die Ränder gehen, das empfiehlt er der Kirche und seinen Priestern und das setzt er mit seiner Reisetätigkeit um. Aber Franziskus setzt auch einen deutlichen Schwerpunkt darin, in islamische Länder zu reisen, in denen es nur kleine christliche Bevölkerungsanteile gibt. Das Moment des interreligiösen Dialogs, das Franziskus so betont, nimmt eine Tradition von Johannes Paul II. auf, der ja alle Religionen der Welt zum Dialog zusammenführen wollte. Franziskus fokussiert das auf das christlich-islamische Verhältnis und reist in islamische Staaten. Denn er sieht in einem Aufeinanderprallen von Christentum und Islam die größte Bedrohung für den Weltfrieden, aber auch die größten Chancen, etwas zum Weltfrieden beizutragen.
Zu den letzten Reisen von Papst Franziskus gehören die Bilder des Kirchenoberhaupts im Rollstuhl. Der Mann ist 87 und fliegt - erkennbar eingeschränkt - um die Welt. Ist das sein Zeichen an eine Welt, in der alles Junge gefeiert wird?
Das kann man geistlich schon so sehen. Als Konkretisierung, dass auch die letzte Lebensphase ihre Würde hat und man auch in dieser Phase etwas zu einem gelingenden gesellschaftlichen Leben beitragen kann. Aber meines Erachtens ist in der Kirche das Problem des Alterns der Päpste noch nicht wirklich reflektiert. Damit stoßen ja Dinge an ihre Grenzen. Nun ist das päpstliche Reiseprogramm jeweils stark zusammengekürzt, die Medienpräsenz ist eingeschränkt. Für mich bleibt beeindruckend, dassBenedikt XVI. (2005-2013) seinen Rücktritt auch damit begründet hat, dass er nicht mehr zu großen Reisen in der Lage sei.
Später wurde bekannt, dass Benedikt bei seinem Kuba-Besuch 2012 nachts mal arg gestürzt ist…
Im Grunde kann man das schon bei Paul VI. beobachten. Seine letzte große Reise 1970 führte ihn im Alter von 73 Jahren unter anderem nach Persien, Pakistan, Australien und Indonesien, auch nach Hongkong. Das war einfach zu viel für ihn. Am Ende ist er wirklich physisch kollabiert, auch angesichts des schwülen Klimas in Ostasien. Da hat der Papst gemerkt, dass er als alter Mann, der gerade eine Krebserkrankung überstanden hatte, an seine Grenzen stößt. Danach hat Paul VI. Italien bis zu seinem Tod 1978 nicht mehr verlassen. Die hohe, nicht nur symbolische Bedeutung der Reisen, die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit - das muss man mitdenken, wenn man das hohe Alter der Päpste sieht.
Jörg Ernesti (57) ist katholischer Priester und Kirchenhistoriker. Er lehrt an der Universität Augsburg Mittlere und Neue Kirchengeschichte. Sein Forschungsschwerpunkt ist seit 2010 die neuere Papstgeschichte. Ernesti ist Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste.
Interview: Christoph Strack